Heft 5/2021, afrika süd-dossier: Klimakrise im südlichen Afrika

Südafrika hängt an der Kohle

NUR ELF STAATEN JAGEN TÄGLICH MEHR TREIBHAUSGASE IN DIE ATMOSPHÄRE ALS SÜDAFRIKA. Seit Apartheidzeiten ist sein Energiesektor durch Kohle geprägt. Aufgrund seines Rohstoff-Energie-Komplexes weist Südafrika eine extreme Form der globalen Krise auf. Die dringend erforderliche Dekarbonisierung des Energiesektors kann nur durch einen Strukturwandel vollzogen werden.

Das Ausmaß der ineinander greifenden Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind, scheint überwältigend groß. Wir stehen vor den verschiedensten Krisen: Klima, Gesundheit und öffentliches Gesundheitssystem, Nahrung und Hunger, soziale Reproduktion, Wirtschaft und Gesellschaft, Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Lebensunterhalt und Unsicherheit. Soziale, wirtschaftliche und rassistische Probleme greifen ineinander und werden durch die ökologische Klimakrise noch weiter verschärft. Südafrika weist alle Merkmale dieser globalen Krise auf, allerdings sind sie hier in extremer Form zu erkennen. Etwa 85 Prozent der Energie des Landes werden vom staatlichen Energieversorger Eskom durch die Verbrennung von Kohle erzeugt. Damit ist Eskom der größte Emittent von Treibhausgasen in Afrika und gehört zugleich zu einem der 20 größten der Welt.

Es ist heute leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Alle gesellschaftlichen Kräfte, einschließlich der autoritären und populistischen Rechten, sind auf der Suche nach Lösungen. Bevor wir uns einen fortschrittlichen Ausweg aus der Wirtschaftskrise Südafrikas vorstellen können, müssen wir jedoch erst einmal den Ursprung des Landes verstehen.

Schiefe Struktur
Historisch gesehen wurde die südafrikanische Wirtschaft durch den Kolonialismus und insbesondere durch die Bedürfnisse des Bergbaukapitals geprägt. Durch die koloniale Eroberung wurden weite Landstriche unter private Kontrolle gestellt und monokulturell bewirtschaftet. Die Enteignung und Einzäunung von Land sowie die gewaltsame Ausdehnung der Siedlungsgrenzen und die Zerstörung von Gemeingütern durch holländische, britische und burische Siedler hatte massive Folgen sowohl für die Landnutzung als auch die Ökologie.

Nach der Entdeckung von Bodenschätzen etablierten Kapital und Staat im Laufe der Zeit – durch Versuch, Irrtum und Krieg – ein System der Wanderarbeit, bei dem Afrikaner aus „Reservaten" zur Arbeit in den Minen abwanderten. Die afrikanischen Arbeitskräfte wurden dabei auch Farmen und später den neuen städtischen Zentren „zugeteilt". Die Landenteignung sowie die Verfestigung und Ausweitung des Reservats- und später des Bantustan-Systems bedeuteten eine systematische Unterentwicklung, die durch die Raumplanung unter der Apartheid noch verschärft wurde.

Mit ihrer Flut an rassistischen Gesetzen, Zwangsumsiedlungen und der Aufrechterhaltung des Zwangsarbeitssystems hat die Apartheidpolitik zu einer weiteren Verzerrung der südafrikanischen Industriestruktur geführt. Diese war von einem starken Rohstoffsektor und den damit verbundenen Sektoren dominiert, während das verarbeitende Gewerbe, insbesondere in arbeitsintensiven Sektoren, schwach war.

Drei staatliche Schlüsselunternehmen – Eskom, Iscor und Sasol – standen im Mittelpunkt eines Entwicklungsprojekts, das auf die Industrialisierung zugunsten einer Minderheit abzielte. Eskom erzeugte billigen Strom aus Kohle und versorgte damit den Rest des Bergbaus, die Industrie sowie die weiße Minderheit mit billigem Strom. Der Eisen- und Stahlkonzern Iscor half bei der Entwicklung von Industrie und Infrastruktur. Das erst viel später gegründete Unternehmen Sasol entwickelte Flüssigbrennstoffe aus Kohle und ist heute der zweitgrößte Treibhausgasemittent Südafrikas.

Das System beruhte auf einem großen Angebot an billigen schwarzen Arbeitskräften, die von den Produktions- und Vertriebskreisläufen und einem Großteil des Konsums ausgeschlossen waren. Es zielte darauf ab, die Afrikaner aus der Armut und der Landwirtschaft in den Bergbau und andere Industriezweige zu bringen. Angesichts des Umfangs der für die Minen erforderlichen Finanzmittel war das Finanzkapital von zentraler Bedeutung für Südafrikas spezifische Art der Akkumulation. Im Laufe der Zeit führte das Projekt zu einer verzerrten Wirtschaft, die von großen Unternehmensgruppen dominiert wurde, die Bergbau-, Finanz- und andere Produktionssektoren unter ihrem Dach vereinten.

Ein Herz aus Kohle
Kohle war schon immer ein wichtiger Rohstoff. Sie sorgt für lukrative Exporteinnahmen und liefert billigen Strom, von dem große Unternehmen profitierten. Mit der Gründung von Sasol 1950 wurde der bergbau- und kohlenstoffintensive Kern der südafrikanischen Wirtschaft weiter ausgebaut. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung der weißen Minderheit gewährte der Staat weitere Subventionen und sorgte sich in den 1970er-Jahren angesichts möglicher Sanktionen gegen das Apartheidregime zunehmend um die Energiesicherheit des Landes.

Diese historische staatliche Unterstützung schuf ein System „billiger" fossiler Brennstoffe. Eskom und Sasol profitieren nach wie vor in erheblichem Maße von staatlichen Subventionen, eine ähnliche Unterstützung erhalten die in Südafrika tätigen Ölgesellschaften wie Shell, BP, Total, Chevron und Engen. Dies hat das Land in eine chronische Abhängigkeit von Kohlenstoff gebracht.

Die Konglomerate sind heute noch da, wenn auch radikal umstrukturiert. Zu den Bergbau-, Bank-, Finanz- und Versicherungsinteressen sind rasch expandierende Einzelhandels- und Telekommunikationsunternehmen hinzugekommen, sodass die Dominanz des Anglo American-Konzerns an der Johannesburger Börse abgenommen hat. Doch trotz der Schwankungen der Rohstoffzyklen macht der Bergbau weiterhin 50 Prozent oder mehr der Exporterlöse aus.

Die Wirtschaft hat sich seit 1994 zwar verändert, doch es hat keine Transformation gegeben. Die Verabschiedung eines neoliberalen Wirtschaftsrahmens durch den ANC und die freiwillige Liberalisierung des Handels und der Finanzmärkte haben die bereits schiefen Produktionsstrukturen noch weiter untergraben. Die Wirtschaft hat eine weitreichende Deindustrialisierung und eine zunehmende Finanzialisierung erfahren, was zu extremen Lohnerhöhungen für die Wohlhabenden geführt hat. Dies ist aber nur durch eine dramatische Verschuldung aller anderen Arbeitnehmer*innen möglich. Für Letztere wurde die Arbeit immer unsicherer und die Löhne sowie die Gesamtbeschäftigung sind stark gesunken.

Die Wirtschaft ist von einem fehlerhaften System in ein anderes übergegangen. Der staatlich gelenkte Rohstoff-Energie-Komplex der Apartheid hat sich in einen neoliberalisierten und finanzialisierten Komplex verwandelt. Dieser Wandel und sein Zusammenhang mit der Klimakrise lassen sich nirgendwo besser verdeutlichen als in der Entwicklung dieser drei staatseigenen Unternehmen.

Sasol, dessen Werk in Secunda nach Schätzungen von Greenpeace der weltweit größte Einzelverursacher von Kohlenstoff- und Stickstoffdioxidemissionen ist, wurde 1979 privatisiert und gilt heute als eine privatwirtschaftliche „Erfolgsgeschichte". Die Stahlproduktion brach durch die Privatisierung und der damit verbundenen Öffnung hin zu internationalen Märkten ein. Die Stahlproduktion, die u. a. von Iscor betrieben wird, ist ein schmutziger Industriezweig, aber im Gegensatz zu Energie gibt es keinen klimafreundlichen Ersatz hierfür.

Die Krise von Eskom ist inzwischen tiefgreifend und vielschichtig. Die Privatisierung in den 1980er-Jahren, gefolgt von der Übernahme des Vollkostendeckungsmodells der Weltbank, bedeutet, dass die zuvor ausgeschlossene Bevölkerungsmehrheit nun mit hohen und oft unerschwinglichen Strompreisen konfrontiert ist. Massive Unterinvestitionen und mangelnde Planung gehen nun einher mit steigender Verschuldung und Korruption und – fast schon ironisch – mit einer Versorgungskrise für Unternehmen. Medupi und Kusile – zwei südafrikanische Kohlekraftwerke – klammern sich weiter an die Kohleverstromung und häufen Schulden an.

Die Krise der Wirtschaft ist die Krise des Rohstoff-Energie-Komplexes. Südafrika hat es versäumt, sich von diesem Kern zu lösen. Stattdessen haben Finanzialisierung und Internationalisierung die Deindustrialisierung des Landes vorangetrieben und es noch abhängiger vom Bergbau gemacht. Gleichzeitig wurden soziale Dienste kommerzialisiert, was zu einer Krise der Grundbedürfnisse geführt hat.

Wer wird die Arche bauen?
Die Krise ist also tiefgreifend. Und sie wird noch verschärft durch eine Klimakrise, die weit über Treibhausgasemissionen und Luftverschmutzung hinausgeht. Dürre, Bodendegradation und Ernährungsunsicherheit sind entscheidende Aspekte des Problems.

Die Region des südlichen Afrika gilt als ein Hotspot des Klimawandels – eine Region, die überdurchschnittlich stark vom Klimawandel betroffen ist. Die Temperaturen sind hier in den letzten 60 Jahren doppelt so schnell gestiegen wie der Durchschnitt der globalen Erwärmung. Und während es in weiten Teilen der Welt wärmer und feuchter wird, wird es im südlichen Afrika immer trockener. Gleichzeitig werden die Überschwemmungen wahrscheinlich zunehmen, da ein größerer Teil der abnehmenden Niederschläge (Südafrika gehört bereits jetzt zu den 30 wasserärmsten Ländern der Welt) in Form von zerstörerischen Stürmen auftreten wird, bei denen die Niederschläge die Aufnahmefähigkeit des Bodens übersteigen.

Auch wenn sich der Energiemix zweifellos ändert, bleibt die Kohle von zentraler Bedeutung, ebenso wie die Rohstoffe als Ganzes für die Exporteinnahmen. Viele plädieren nun dafür, Offshore-Öl und -Gas in den Mix mit aufzunehmen.

Die Klimapolitik ist zwar in den Mittelpunkt der Weltbühne gerückt, aber in Südafrika ist sie weder weit noch schnell genug vorangeschritten. Marktwirtschaftliche Lösungen, innovative unternehmerische Anstrengungen zur Förderung des „grünen Wachstums" und Mainstream-Ansätze, die Anreize für das individuelle Verbraucherverhalten setzen, werden uns so langsam wie sonst nirgends voranbringen.

Eine rasche Dekarbonisierung, wie sie Südafrika braucht, kann nur durch einen klaren Strukturwandel erreicht werden. Das bedeutet einen raschen, weitreichenden und gesamtwirtschaftlichen Wandel. Wenn der Übergang gerecht sein soll, muss er die Schaffung von Klimaarbeitsplätzen im öffentlichen Sektor sowie die Ausweitung und Vertiefung der wirtschaftlichen Demokratie und Planung bedeuten. Der Green New Deal, der in den Vereinigten Staaten und anderswo diskutiert wird, zielt darauf ab, Ressourcen für die Umwelt in einer Weise zu mobilisieren, wie es bisher nur für den Krieg geschehen ist. Dabei sollen der Klimawandel, die Ungleichheit sowie die wirtschaftliche Diversifizierung mit einer gezielten Wirtschaftsplanung und Industriepolitik angegangen werden.

Solche Klima-Jobs könnten dazu beitragen, die Grundbedürfnisse von Gemeinschaften auf gerechte und nachhaltige Weise zu befriedigen, wobei sich die Verknüpfungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere der Wind- und Solarenergie, die Nachrüstung von Gebäuden, neue Bauvorhaben und -methoden, den Ausbau des mit erneuerbaren Energien betriebenen öffentlichen Nahverkehrs, die Ausweitung und Verdichtung des öffentlichen Wohnungsbaus sowie die Wiederbeschäftigung oder die Gewährung von Zuschüssen für diejenigen in der Kohleindustrie und in anderen Sektoren, die ihren Arbeitsplatz verlieren würden, konzentrieren.

Der letzte Punkt sollte vielleicht unser erster Ausgangspunkt sein: Keines dieser dringenden Probleme kann angegangen werden, solange Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen nicht rückgängig gemacht werden!

Sam Ashman

Die Autorin ist Dozentin an der School of Economics der Universität von Johannesburg. Derzeit arbeitet sie an dem Buch „South Africa: An Economy of Extremes".

Ihr Aufsatz erschien im Rahmen des Forums „New Frame, New Economy" zum Thema Rohstoffe und Klima am 30. August 2021 auf New Frame.
https://www.newframe.com/sas-climate-crisis-is-embedded-in-coal-and-exports/