Heft 5/2021, afrika süd-dossier: Klimakrise im südlichen Afrika

Traditionen im Wandel des Klimas

DER KLIMAWANDEL VERÄNDERT DEN UMGANG MIT TRADITIONELLEN RITEN.

Das Leben einer afrikanischen Gemeinschaft dreht sich traditionell um das Klima. Bei den amaXhosa (von der Nguni-Gruppe) im südlichen Afrika ist dies als imozulu, was wörtlich übersetzt Wetter bedeutet, bekannt. Dazu gehört ein tiefgehendes Wissen über die Jahreszeiten und dessen, was die Natur normalerweise in diesen Jahreszeiten bereitstellt. Die Klimaschwankungen machen den jahreszeitlichen Wandel jedoch unvorhersehbarer, was dazu führt, dass das indigene Wissen heute weniger relevant ist bzw. in manchen Fällen überhaupt keine Prognosen mehr möglich sind. Zusammen mit der massiven Urbanisierung wirkt sich dies auf die Art und Weise, wie Gemeinschaften mit dem Land (umhlaba), den Jahreszeiten, den Übergangsriten (imisebenzi) und der Nahrungsmittelproduktion (ukutya) umgehen, aus.

Persönliches Wachstum in Verbindung zu den Jahreszeiten
Die Bedeutung der Jahreszeiten wird bei den amaXhosa auch soziokulturell dargestellt. Das Wachstum eines Menschen wird nicht in Jahren, sondern in Jahreszeiten gezählt. Wenn ein neues Mitglied in die Familie hineingeboren wird, sagt man, dass es in der Familie „dämmert". Diese Metapher steht für die Geburt eines neuen Lebens und eines neuen Familienmitglieds. Von dem Neugeborenen wird erwartet, dass es zu einer verantwortungsbewussten Person heranwächst, die für die Familie, den Clan und somit für die große Gemeinschaft sorgt und sie aufbaut. Dies beruht auf den Grundlagen des Ubuntu-Prinzips, das besagt, dass man durch die Menschen, die einen umgeben, existiert – kein Mensch ist eine Insel, denn wir können ausschließlich durch unsere Beziehung zu anderen Wesen existieren. Dies wird durch das isiXhosa-Sprichwort ausgedrückt: Umntu ngumntu ngabantu – „Ich bin, weil ihr seid". Dieses Sprichwort kommt in allen isiNguni-Sprachen vor: isiZulu, SiSwati, isiNdebele und isiXhosa. Außerdem wird alles, was Hoffnung und Erfolg bringt, dem Frühling (iNtlakohlaza) bzw. dem Sommer (iHlobo) zugeschrieben, also den Jahreszeiten der Blüten, Früchten und Ernten.

Alle Jahreszeiten eines menschlichen Lebens sind abhängig von dem, was die Natur zu bieten hat. Und so ist es selbstverständlich, dass Klima eine Schlüsselrolle in den Zeremonien, Ritualen und im Wachstum der Menschen innehat bzw. innehatte. Gesellschaftlicher Druck (die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt im kapitalistischen System zu verdienen) sowie Umweltdruck haben dazu geführt, dass sich die Art und Weise, wie die Übergangsriten in den Gemeinschaften durchgeführt werden, verändert hat.

Übergangsriten, die Natur und das Klima
Die Übergangsriten werden entsprechend den Lebensjahren berechnet und gefeiert. Wenn ein neues Mitglied geboren wird, wird es den Ahnen in einer Zeremonie namens ukwaziswa (wörtlich: bekannt machen) oder imbeleko (wörtlich: Nabelschnur) vorgestellt. Dies entspricht der Taufzeremonie in einer christlichen Gemeinschaft. In beiden Zeremonien wird das Kind/Neugeborene der Gemeinschaft vorgestellt und sein Name bekannt gegeben. Dies wird als die erste Lebensphase angesehen. Auf diese Phase folgt der Übergang zum Erwachsensein, wobei Mädchen eine Zeremonie namens ukuthomba oder intonjane und Jungen ulwaluko (Beschneidung des Mannes) durchlaufen.

Im Gegensatz zu diesen Riten sind andere Übergangsriten weniger von klimatischen Veränderungen betroffen, da bei ihnen die richtige Durchführung nicht vom Klima abhängig ist. Sobald sowohl Jungen als auch Mädchen die Initiation zum Erwachsensein abgeschlossen haben, sind sie bereit, ihre eigenen Familien zu gründen. Dies beinhaltet auch das Befolgen entsprechender Protokolle; z. B. eine junge Frau um ihre Hand bitten, indem der Mann einen Lobola (Brautvertrag), also einen Akt der Vereinigung der Vorfahren des bald verheirateten Paares, mit der Familie der Braut abschließt. Auch das Schlachten von Kühen ist ein zentraler Bestandteil dieser Rituale, und die Kuh ist hierbei eine Opfergabe für die Ahnen. Angesichts des Klimawandels wird es jedoch immer schwieriger, Vieh zu halten.

Aus verschiedenen Gründen finden Zeremonien, wie beispielsweise die Beschneidung des Mannes (ulwaluko), die früher traditionell in den Wintermonaten stattfand, heute in den Sommermonaten statt. Dies bringt manche Herausforderung mit sich. In Südafrika zum Beispiel bezeichnen die amaXhosa-Männer ihre Mannesjahre mit Izilimela. Izilimela bezeichnet zugleich den Monat Juni, also die kalte Jahreszeit mitten im Winter, in der die Männer früher in die Initiationsschule gingen. Der Juni war mit Bedacht für die Izilimela gewählt, wurde er doch allen Anforderungen an die Rituale auf dem Weg zur Männlichkeit gerecht. Im Winter halten sich die Menschen nicht auf dem Berg (intaba) und in den Wäldern auf. Die Familien sind versorgt, da bereits vorab Holz gesammelt und gelagert wurde, welches dann während der kalten Winterzeit verbrannt werden kann und die Familien so warm gehalten werden. Die Berge und Flüsse sind somit ein essenzieller Bestandteil der Gemeinschaften, da sie sie mit Lebensmitteln und Brennholz versorgen. Darüber hinaus sind sie auch für die rituellen Praktiken von Bedeutung. Die Berge gelten als heilige Stätte für die Durchführung der Rituale. Für Frauen und Kinder, die nicht an der eigentlichen Beschneidungszeremonie teilnehmen, sind die Berge (ezintabeni) tabu. Sie spielen vor der eigentlichen Beschneidung sowie während der Feierlichkeiten, wenn der junge Mann nach Hause zurückkehrt, lediglich eine unterstützende Rolle. Zudem birgt die Kälte des Junis u. a. auch ein geringeres Risiko, dass sich die Wunde infiziert.

Für die Initiationsschulen waren ursprünglich keine Berge oder Wälder, die sich in der Nähe der Gemeinden befanden, bestimmt. Stattdessen wurde für diesen Übergangsritus ein Berg, der weit von der Öffentlichkeit entfernt war, ausgewählt; gleiches galt für Flüsse (imilambo) und Brunnen (imitombo), die sich in der Nähe des Berges befanden. Aufgrund des Klimawandels fließen die Flüsse jedoch nicht mehr so wie früher. Wälder und Berge werden immer wieder von Waldbränden heimgesucht. Das bedeutet, dass wenn ein Fluss versiegt, sich auch die Art des Reinigungsrituals ändern muss. Die Eingeweihten werden in städtischen Gebieten dann eher mit Wassereimern gewaschen, anstatt sich nach Abschluss des Rituals in saubere, fließende Bäche zu tauchen, um sich zu reinigen.

Flüsse sind ein wichtiges Schlüsselelement in diesem Übergangsritus, denn die Ingceke, der spezielle Ton, den die Eingeweihten während dieser Zeit verwenden, wird nur an den Ufern des Flusses geerntet. Dieser gilt als rein und soll mit Heilkräften durchzogen sein. Das Gleiche gilt für das Wasser (amanzi), das während dieser Zeit verwendet wird. Auch heute noch gilt, dass nach indigenem Wissen das unbehandelte Wasser aus dem Boden, den Flüssen und Brunnen rein ist und ein höheren Nutzen als technologisch gereinigtes Wasser hat.

In der Nähe des Dorfes Port St. Johns an der wilden Ostküste gibt es einen Ort namens Isinuka (Ort des Geruchs), an dem das unterirdische Schwefelwasser als heilig gilt und Heilkräfte besitzen soll. Die Eingeweihten schöpften daher nur Wasser aus den Flüssen und Brunnen rund um den Berg und den Wald, der ihnen zugewiesen wurde. Das ist derselbe Fluss, den die Jungen am letzten Tag der Initiationsschule benutzen werden, um alles abzuwaschen, was sie zurücklassen müssen, um sich auf eine neue Reise ihres Lebens, die ubudoda (Männlichkeit), zu begeben.

Das Baden im Fluss, wie in der biblischen Zeit, als Johannes der Täufer Jesus im Fluss Jordan taufte, um den Beginn von Jesu öffentlichem Wirken zu markieren, drückt auch den Beginn der wirklichen Männlichkeit von amaXhosa, amaHlubi und aBesuthu und ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft als Männer aus. Sie verließen ihr Zuhause als Jungen (amakwenkwe) und kehren nun als Männer (amadoda) zurück.

Dürre und ausgetrocknete Flüsse verändern die Abläufe
Aufgrund der klimatischen Veränderungen und der massiven Verstädterung findet dieses Ritual heute jedoch häufig in der Nähe zu Großstädten statt. Hütten, die ursprünglich aus in den Wäldern gesammelten Pfählen und aus in der Steppe und in den Ebenen geschnittenem Stroh gebaut wurden, werden nun durch mit Plastik überzogene Strukturen ersetzt. Diese sind im Wesentlichen stickig und unhygienisch, was zu gesundheitlichen Problemen und in einigen Fällen sogar zum Tod führt.

Wie die Jungen durchlaufen auch die Mädchen ihre eigene Initiation (intonjane), wenn sie in das Stadium des Erwachsenseins eintreten, in die Phase, in der sie alt genug zum Heiraten sind. Dieses Ritual ist in keiner Weise invasiv und somit gänzlich anders als die männliche Beschneidung. Die jungen Mädchen müssen auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereitet werden; sie sitzen auf umhlanga (Schilfmatten), die im Fluss geerntet werden, und verwenden während der Initiationszeit ingceke (Lehm), den sie am letzten Tag ebenfalls im Fluss abwaschen. Heutzutage verwenden sie ukhuko oder icantsi in isiHlubi (eine Grasmatte), denn was früher Flüsse waren, sind heute nur noch trockene Ufer, die selbst in der Regenzeit kein Wasser führen. Die Dürre und das Austrocknen der Flüsse haben somit einschneidend negative Auswirkungen auf die Übergangsriten.

Das Gleiche gilt für die traditionellen Heiler oder die Eingeweihten der Amagqirha, die während der Einweihungszeit nicht in die Berge gehen, sondern sich auf das verlassen, was die Flüsse zu bieten haben: ingceke (Lehm), umhlanga (Schilf) und das Wasser. Je nach ihrer besonderen Berufung müssen die Eingeweihten in die trockenen Berge gebracht werden, um dort Heilkräuter und Wurzeln zu ernten und zu lernen, wie man Tränke für bestimmte Beschwerden und Krankheiten zubereitet. Das ist schwierig für sie, weil das Land aufgrund der negativen Auswirkungen des Klimawandels, der Abholzung der Wälder und der Waldbrände kaum mehr etwas zu bieten hat. Da es sich um einen Übergangsritus handelt, der keine Abkürzungen zulässt, reisen die Eingeweihten in Gebiete, die weit von zu Hause entfernt sind, um die (von den Ahnen) vorgeschriebenen Wurzeln und Kräuter zu ernten, um das Handwerk zu erlernen und zum Abschluss der Einweihungsphase die Flussreinigung zu erleben.

Die während dieser Phasen verzehrten Speisen sollen aus dem Boden kommen, da man glaubt, dass alles, was aus dem Boden kommt, von den Ahnen gesegnet ist und die Eingeweihten daher mit den Ahnen verbindet und ihnen (lebenslangen) Schutz gewährt. Man geht davon aus, dass die Gründe für die Zunahme der Todesfälle, insbesondere bei der Initiation in die Männlichkeit, darin liegen, dass die Tradition und die Praxis nicht mehr authentisch sind – sie sind verwässert, da die Menschen aufgrund des Klimawandels improvisieren müssen, anstatt den traditionellen Wegen zu folgen.

Eine Terminologie zum Klimawandel wurde noch nicht entwickelt, aber bestimmte Begriffe tauchen in den Terminologielisten der Naturwissenschaften und der Technik auf. Die Menschen haben schon immer darauf geachtet, die Umwelt zu erhalten, damit die Natur für sie sorgen kann, aber aufgrund der Urbanisierung und der sogenannten „Zivilisation" haben sich die Menschen von traditionellen Methoden zur Erhaltung der Natur abgewandt, was sich nun negativ auf die kulturellen Praktiken und die Kultur auswirkt. Dies hat auch Folgen für die Natur, da Wörter in den einheimischen Sprachen, die sich auf die Natur beziehen, verloren gehen, was zu einem Verlust des Respekts vor bestimmten Arten und der Natur im Allgemeinen führt. Etwas Unbenanntes kann nicht geschützt werden. Die afrikanische Lebensweise, die Natur und das Klima bleiben daher eng miteinander verbunden, auch im Bereich des Klimawandels.

Sebolelo Mokapela & Russell H. Kaschula

Dr. Sebolelo Sebo Mokapela ist Leiter des Department of African Language Studies an der University of the Western Cape (UWC), Bellville, Cape Town

Prof. Russell H. Kaschula lehrt am Department of African Language Studies der UWC

Literatur:
Kaschula, R.H. 1997. Xhosa. New York, USA: Rosen Publishing Group.