RELIGIÖSE PRAKTIKEN, SCHUTZ VOR MISSBRAUCH UND PERSÖNLICHE FREIHEIT IN SÜDAFRIKA
Von Dion Forster
Der Staat hat die Pflicht einzugreifen, wenn die Überzeugungen oder Praktiken religiöser Einzelpersonen oder Gemeinschaften schädlich oder rechtswidrig sind. Der „Staat" bezieht sich in diesem Fall auf alle drei Arme der Regierung: die Exekutive, die Legislative und die Judikative. Die „Kirche" bezieht sich auf religiöse Gruppierungen im Allgemeinen (nicht nur das Christentum). Ein gutes, funktionierendes Verhältnis zwischen dem Staat und den religiösen Gruppierungen ist wichtig für die Demokratie.
Religionsfreiheit in der Verfassung verankert
In Südafrika ist die Religionsfreiheit durch die Verfassung geschützt. Es kommt jedoch vor, dass die Justiz über Angelegenheiten, die die Kirche und ihre Mitglieder betreffen, sowie bei Konflikten zwischen Religionsgemeinschaften und dem Staat entscheiden muss. Ein gutes Beispiel ist das Gerichtsverfahren von Ecclesia de Lange gegen die Methodistenkirche im Jahr 2013. Reverend De Lange wurde von der Kirche entlassen, nachdem sie ihre gleichgeschlechtliche Partnerin geheiratet hatte. Die südafrikanische Verfassung schützt die Rechte und Freiheit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Intersexuellen und Queers (LGBTIQ+) sowie das Recht, sich mit Religionsgemeinschaften zu identifizieren. Welches Recht muss geschützt werden: das der Religionsgemeinschaft oder das des Einzelnen? Das Gericht entschied aus verfahrensrechtlichen Gründen zugunsten der Kirche. Es gibt andere Fälle, in denen Gerichte Bürger:innen vor Schaden durch religiöse Führer schützen mussten. So wurde beispielsweise ein Pastor der Körperverletzung für schuldig befunden, nachdem er Gemeindemitglieder mit einem Insektizid besprüht und behauptet hatte, dies heile Krebs und HIV.
Die meisten Religionsgemeinschaften funktionieren als freiwillige Vereinigung nach dem Gewohnheitsrecht. Die Mitglieder unterwerfen sich ihren Regeln, wenn sie beitreten. Wenn sie jedoch die Anwendung der kirchlichen Regeln anfechten, wenden sie sich häufig an die weltlichen Gerichte, um ihre verfassungsmäßigen Rechte zu schützen. Das erscheint nachvollziehbar. Warum also sollte dies zu Spannungen oder gar Konflikten zwischen Religionsgemeinschaften und dem Staat führen?
Ich habe mich jahrelang mit den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Südafrika befasst. Auch ich bin Mitglied einer Religionsgemeinschaft und setze mich für die Demokratie ein. Ich habe gesehen, wie sowohl der Staat als auch die Kirche in der Vergangenheit ihre Positionen des Vertrauens und der Verantwortung missbraucht haben, was zu Ungerechtigkeiten geführt hat. Ich halte es im Interesse der Demokratie und des Gemeinwohls für wichtig, dass Südafrika ein gesundes und kritisches Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und der Verantwortung des Staates aufrechterhält.
Kirche und Staat – damals und heute
Viele Jahrhunderte lang beherrschten Religionen Nationalstaaten. Das liegt an ihrer transnationalen Reichweite. Religiöse Bewegungen und Führer spielten eine Rolle bei der Ernennung (und Absetzung) von Königen und Herrschern. Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass den Religionen damals politische Macht zugestanden wurde, weil die Menschen in einer „verzauberten" Welt lebten, in der man glaubte, dass Gott einen direkten Einfluss auf die menschlichen Angelegenheiten hatte. Gott wurde als die höchste Autorität in allen Lebensbereichen angesehen. Als die Welt zunehmend säkularisiert und „entzaubert" wurde, gewann der Staat an Macht und Unabhängigkeit von religiöser Kontrolle. Eine Zeit lang gab es eine Art Partnerschaft zwischen Religion und Staat. Das lag daran, dass viele Menschen in mächtigen weltlichen Positionen – wie Könige, politische Führer, führende Intellektuelle – immer noch an Gott glaubten.
Heute scheint der Staat viel mehr gesellschaftliche Macht zu haben als die Religionsgemeinschaften. Das liegt zum Teil daran, dass weniger Menschen – wie z. B. Politiker:innen und Richter:innen – ihren Glauben prominent in ihre öffentliche Rolle einfließen lassen. Zudem wird Religion weitgehend als etwas Privates angesehen. Doch so etwas wie eine „private" Religion gibt es eigentlich nicht. Alle Überzeugungen haben öffentliche Auswirkungen. Sie beeinflussen, was manche Menschen in der Gesellschaft für richtig und gut halten, und wie sie mit anderen umgehen.
Dies kann zu Besorgnis über die Beschneidung der Religionsfreiheit führen und sogar Konflikte zwischen Religion und Staat auslösen. Gleichzeitig dürfen religiöse Überzeugungen und Praktiken aber auch nicht völlig unkontrolliert ausgeübt werden, da sie dem Einzelnen oder der Gesellschaft unbemerkt oder bemerkt schaden können.
In Südafrika ist es wichtig, eine gesunde Spannung zwischen Religionsfreiheit und rechtlichem Schutz vor Missbrauch durch Religionsgemeinschaften aufrechtzuerhalten. Erstens ist dies wichtig, weil die Südafrikaner:innen tiefgreifend religiös sind. Eine Umfrage von Statistics South Africa ergab, dass 92,3 Prozent der Südafrikaner:innen sich zu irgendeiner Form von Religion bekennen, wobei sich 84,2 Prozent als Christ:innen identifizieren. Die World Values Survey 2014-2017 zeigte, dass 74 Prozent der Südafrikaner:innen religiösen Führern und Religionsgemeinschaften mehr Vertrauen entgegenbringen als dem Staat oder Politiker:innen. In ihrer moralischen Orientierung lassen sie sich von religiösen Führern und deren Überzeugungen leiten.
Zweitens spielt die Religion in der südafrikanischen Demokratie eine wichtige Rolle. Religiöse Gruppierungen bilden eine große und mächtige Wählerschaft, die mächtige Personen und Institutionen zur Verantwortung ziehen kann. Der Südafrikanische Kirchenrat zum Beispiel hat eine lange Tradition darin, der Staatsgewalt mit der Wahrheit die Stirn zu bieten.
Drittens hat Südafrika eine schmerzliche Geschichte, in der der Staat die Rede- und Vereinigungsfreiheit beschnitten hat, um sich vor Anfechtungen und Kritik während der Apartheid zu schützen. Viele religiöse Führer – darunter Erzbischof Desmond Tutu und Imam Haron – wurden verhaftet, weil sie angeblich „eine Revolution planten", als sie sich auf die Seite des Freiheitskampfes stellten.
In jüngster Zeit hat die Regierung versucht, die Kritik von religiösen Führern, die sich gegen Korruption und politischen Missbrauch aussprachen, zum Schweigen zu bringen.
Ein Gleichgewicht finden
Was ist also zu tun, um das Gleichgewicht zwischen verantwortungsvoller Religionsfreiheit und dem Recht des Staates zu wahren und um seine Bürger:innen vor möglichem religiösen Missbrauch und Schaden zu schützen?
Erstens müssen die in der Verfassung verankerten Rechte aufrechterhalten werden.
Zweitens sollten die Südafrikaner:innen sowohl den Staat als auch die Religionsgemeinschaften mit kritischem Blick betrachten. Beide sind nicht frei von Fehlern.
Drittens sollten beide Institutionen im Rahmen ihrer Aufgaben verantwortungsbewusst handeln – der Staat als unparteiischer Beschützer der Bürgerrechte und die Kirche als verantwortungsvoller Diener des Gemeinwohls.
Und schließlich sollte es der Religion nicht gestattet sein, Gesetze in unzulässiger Weise zu beeinflussen, um gemeinsame Freiheiten zu beschneiden – wie etwa die reproduktiven Rechte, die sexuellen Freiheiten und natürlich die Religionsfreiheit.
Ebenso sollte der Staat säkular bleiben und keine theologischen Positionen wie die Blasphemiegesetze, Doktrinen oder enge, religiös geprägte moralische Sichtweisen einnehmen.
Der Autor ist Professor und Institutsleiter für Systematische Theologie und Ekklesiologie am Beyers Naudé Centre for Public Theology an der Stellenbosch University.
Der Originalbeitrag wurde am 20. Juli 2022 bei The Conversation veröffentlicht.
Übersetzt aus dem Englischen.