Heft 5/2022, afrika süd-dossier: Glaube und Religion

Die Mbira als spiritueller Ausdruck

SPIRITUALITÄT ALS LEBENSWEISE. Um die Simbabwer:innen beherrschen zu können, setzten die Kolonialisten gezielt die christliche Missionierung ein. Es sollte ihnen ihre Spiritualität genommen werden, die ihnen auch im Widerstand Kraft gab. Als Begleiterscheinung westlicher Moderne ist jedoch eine wenn auch nicht ganz einfache Rückbesinnung zur Spiritualität zu beobachten.

Von Flavian Nyikadzino Gonese (Mako)nese

Vor der Sklaverei und Kolonisierung praktizierten Menschen in Afrika Spiritualität, sie hatten keine Religion nach westlichem Verständnis. Wie eine Rede von Lord Macaulay vor dem britischen Parlament am 2. Februar 1835 zeigt, sollte dies nicht so bleiben: „Ich bin kreuz und quer durch Afrika gereist und habe nicht einen einzigen Menschen gesehen, der ein Bettler oder Dieb ist, so viel Reichtum habe ich in diesem Land gesehen, so hohe moralische Werte und Menschen von solchem Kaliber, dass ich nicht glaube, dass wir dieses Land jemals erobern können, es sei denn, wir brechen das Rückgrat dieser Nation, nämlich ihr spirituelles und kulturelles Erbe. Deshalb schlage ich vor, dass wir ihr altes und antikes Bildungssystem und ihre Kultur ersetzen, denn wenn die Afrikaner denken, dass alles was fremd und englisch ist, gut und großartiger als ihr eigenes ist, werden sie ihr Selbstwertgefühl und ihre einheimische Kultur verlieren und zu dem werden, was wir wollen, zu einer wirklich beherrschten Nation."

Kolonialmissionare wurden auf ihre Aufgabe eingeschworen: „Ihr Wissen über das Evangelium, das wir geschrieben haben, wird es Ihnen ermöglichen, den Schwarzen alles zu befehlen, was Sie wollen, und es wird diese ermutigen, die Armut zu lieben. Überzeugen Sie die N* davon, dass die Armen glücklicher sind und den Himmel erben werden, und dass es für die Reichen sehr schwierig ist, in das Königreich Gottes zu gelangen. Sie müssen sich von ihnen lösen und sie dazu bringen, alles zu missachten, was sie als heilig verehren und ihnen den Mut gibt, sich uns entgegenzustellen. Ich beziehe mich auf ihr mystisches (spirituelles) System, das eine Bedrohung für unsere Eroberung darstellt. Sie müssen alles in Ihrer Macht Stehende tun, damit es verschwindet. Die N* müssen mit allen Mitteln zu Christen gemacht werden, denn nur so werden sie ihre reiche Kultur und alles, was sie an sich selbst respektieren, loslassen", so belegt es ein Auszug eines Briefes von König Leopold II. von Belgien aus dem Jahr 1883. Die Religion wurde und wird also weiterhin als Waffe benutzt, um die afrikanische Spiritualität und Kultur zu zerstören.

Religion und Spiritualität nicht verwechseln

Haile Selassie, letzter Kaiser von Abessinien bis 1974 (heute Äthiopien und Eritrea), hob hervor, dass Spiritualität nicht aus der Religion, sondern aus der Seele komme. „Wir müssen aufhören, Religion und Spiritualität zu verwechseln. Religion ist eine Reihe von Regeln, Vorschriften und Ritualen, die von Menschen geschaffen wurden, die den Menschen helfen sollten, spirituell zu wachsen. Aufgrund menschlicher Unvollkommenheit ist Religion korrupt, politisch, spaltend und ein Werkzeug für Machtkämpfe geworden. Spiritualität ist keine Theologie oder Ideologie. Sie ist einfach eine Lebensweise, rein und ursprünglich, wie sie vom Allerhöchsten der Schöpfung gegeben wurde. Spiritualität ist ein Netzwerk, das uns mit dem Allerhöchsten, dem Universum und untereinander verbindet."

In der Spiritualität und Kultur der Shona in Simbabwe wird der Allerhöchste Schöpfer „Mwari" genannt, der durch unsere Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits verehrt wird. Aufgrund der aufgezwungenen Religionen, vor allem des Christentums und des Islams, wird Mwari leider jetzt auch ohne die Ahnen direkt in der einheimischen Sprache der Shona als der Allerhöchste gehuldigt, was viel Verwirrung stiftet. Wir sprechen jetzt von Religionsfreiheit, was in Wirklichkeit nicht der Fall ist, da das Christentum und der Islam den Shona aufgezwungen wurden, die unsere Vorfahren nicht freiwillig gewählt haben. Das wirklich Traurige ist, ist, dass sich in anderen Teilen Afrikas, z.B. in Nigeria, heutzutage afrikanische Christ:innen und afrikanische Muslim:innen gegenseitig bekämpfen. So wird das Aufzwingen der Religion fortgesetzt, wie bereits während der Sklaverei und Kolonisierung zum Nachteil der afrikanischen Spiritualität. Derart zerstörerisch sind die Kämpfe, die als „Religion ist Opium für das Volk" bezeichnet werden.

Während der Kolonialzeit bildeten sich in Simbabwe einige afrikanische apostolische Kirchen, die die afrikanische Spiritualität in das Christentum einfließen ließen und verschleierten. Entgegen der Bekundung bei Gründung haben diese Kirchen mit der Unabhängigkeit nie das Christentum aufgegeben, wodurch bis heute weitere Verwirrung gestiftet wurde. Andererseits haben die Kirchen im Laufe der Zeit auch Aspekte der afrikanischen Spiritualität integriert, um Mitglieder zu werben. Afrikanische Musikinstrumente durften dort ursprünglich nicht gespielt werden. Einige Musikinstrumente wie Trommeln und die simbabwische Hosho-Rassel, die aus einem Paar Maranka-Kürbissen mit darin enthaltenen Hota-Samen besteht und als Hauptinstrument in vielen traditionellen Shona-Musikgenres, z.B. bei Mbira-Ensembles und im Mhande-Tanz, verwendet wird, sind aber heute wieder weit verbreitet. Die Mbira, ein afrikanisches Musikinstrument, das aus einem Resonanzkörper aus Holz oder Kürbisschale und einer unterschiedlichen Anzahl gestimmter Metall- oder Holzzungen besteht, die beim Zupfen vibrieren, hat jedoch aufgrund ihrer hohen Spiritualität nie eine Heimat in der Kirche gefunden. Wenn Mbira, Trommeln und Hosho während Shona-Zeremonien gespielt werden, rufen sie die Geister der Vorfahren, um mit Mwari durch spirituelle Medien zu kommunizieren, nämlich Midzimu für die Familie, MaSvikirio für die Region und Mhondoro und Makombwe für die Nation.

Spirituelle Medien des Widerstands

Für die Shona war Chaminuka, dessen spirituelles Medium Pasipamire war, ein berühmter Mhondoro, der das Kommen der Kolonisator:innen prophezeite und zu seiner Zeit viele Wunder vollbrachte. Die Mhondoroer führten, wie von Chaminuka prophezeit, bei Ankunft der Kolonisator:innen den Kampf gegen diese an. Zu ihnen gehörten Charwe Nyakasikana, Mbuya Nehanda genannt, als spirituelles Medium des Ahnengeistes Nehanda – zuständig für Regen und kriegerische Aktivitäten – und Kaguvi, die schließlich nach langem und beherztem Widerstand gefangen genommen und zum Tod durch Erhängen verurteilt wurden. Bevor sie gehängt wurden, versuchte Pater Francis Richartz von der Gesellschaft Jesu (Jesuiten), sie zu taufen. Nehanda verweigerte dies strikt und prophezeite: „Meine Gebeine werden wieder auferstehen!" So wurde ihre Shona-Spiritualität nicht durch die Konversion zur christlichen Religion befleckt. Kaguvi „stimmte" in seiner Verwirrung der Taufe zu und erhielt den Namen Dismas, „der gute Dieb". An dem Tag wurden zehn spirituelle Medien gehängt und ihre Körper als „Trophäen" nach Großbritannien zur Ausstellung in Museen geschickt. Insgesamt wurden mindestens 26 Leichen von Chimurenga-Kämpfer:innen (spiritueller Krieg) an britische Museen geschickt, die bis heute noch nicht nach Simbabwe zurückgebracht worden sind, um ein würdiges Begräbnis erhalten zu können.

Wie von Nehanda prophezeit, stiegen tatsächlich ihre Knochen im Geiste wieder auf und führten zusammen mit anderen Midzimu, MaSvikiro, Mhondoro und Makombwe den Chimurenga-Kriegseinsatz an, der schließlich zur Befreiung Simbabwes von der Kolonialherrschaft führte. Da sich die sterblichen Überreste der 26 Medien jedoch immer noch in den Museen im Vereinigten Königreich befinden, konnten die spirituellen Rituale, die bei Erlangung der Unabhängigkeit hätten durchgeführt werden müssen, seit 42 Jahren noch immer nicht durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund sollte an die britische Regierung appelliert werden, die Überreste zurückzugeben, wie dies von der deutschen Regierung im Fall Namibias ausführlich demonstriert wurde.

Spirituelle Lebensbereiche, Orte und Tage

Zur Spiritualität der Shona gehört die Verehrung bestimmter Orte, Berge, Hügel, Flüsse und Bäume. Ein solcher Ort, an dem die Shona um Regen und viele andere Dinge bitten, ist Mabweedziva (Granitsteine der Wasserbecken). Dies ist der Ort, den Cecil John Rhodes, der die Kolonisierung Simbabwes leitete, und seine Leutnants als eigene Grabstätte „wählten". Wenn man die Gräber betritt, findet man auf dem Granitstein eine Inschrift, auf der zu lesen ist: „Dieser Ort wurde dem Christentum geweiht", was bedeutet, dass sie durch ihre Beerdigung an diesem heiligen Ort die afrikanische Spiritualität besiegeln.

Wie das Beispiel der Shona zeigt, wurde die afrikanische Spiritualität und Kultur von der Sklaverei bis zur Kolonialisierung also immer wieder angegriffen. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass die Mehrheit der Shona, die sich mit einer Religion identifizieren, auch der afrikanischen Spiritualität und Kultur folgt. Da 70 Prozent der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten leben, konnten sich Bauern- und Bergbaugemeinschaften erhalten, die unter der Zuständigkeit von traditionellen Oberhäuptern (Chiefs) die Spiritualität, Kultur und Werte der Shona bewahren, und es wird zunehmend gefordert, diese auch darüber hinaus wieder zu etablieren. Chisi, ein heiliger Tag in der Woche, der in meiner Dorfgemeinschaft am Donnerstag gefeiert wird, wird geachtet und es wird nicht gearbeitet. Interessanterweise wird der heilige Monat November im ganzen Land begangen und es werden keine Lobola-Zeremonien, Hochzeiten oder Rituale für die Verstorbenen durchgeführt.

Lobola wird immer noch auf kulturelle Weise vollzogen und eine ganze Reihe von Menschen führt noch Rituale für die Verstorbenen durch. Vor der Regenzeit werden bis heute Mukwerere-Rituale von den Häuptlingen und spirituelle Medien abgehalten, die um reichlich Regen bitten, der nicht zu hart und zerstörerisch ist.

Wiederaufleben der Spiritualität

Die Kolonisierung brachte auch eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten mit sich. Es ist jedoch erfreulich, dass mit dem Aufkommen der Covid-19-Pandemie nun eine Tendenz zur Bevorzugung traditioneller Lebensmittel und Kräuter zu beobachten ist, die einigen Menschen geholfen haben, die Pandemie zu überleben. Die Covid-19-Pandemie hat also auch zu einem Wiederaufleben der afrikanischen Spiritualität und Kultur geführt. Es ist heute üblich, dass selbst Jugendliche Bute, ein traditionell hergestelltes Puder auf Pflanzenbasis und mit nachgesagter Heilwirkung, schnüffeln, was von unseren Vorfahren seit jeher praktiziert wurde.

Durch Musik und Tanz gibt es auch wieder ein wachsendes Interesse bei den Jugendlichen an der Herstellung, dem Spiel und dem Tanz zu Mbira, Ngoma (Trommeln) und Hosho. Die Spiritualität der Mbira stößt auch in anderen Ländern wie den USA, Großbritannien, Japan usw. auf reges Interesse und wird in Clubs unterrichtet und aufgeführt.

Dies bringt Peter van der Veer (2009), Direktor der Abteilung für religiöse Vielfalt am Max-Planck-Institut, auf den Punkt: „Spiritualität tritt als Zeichen westlicher Moderne in Erscheinung." „Für manche Menschen entsteht dieser spirituelle Ausdruck durch die Auseinandersetzung mit den Wurzeln einer intensiven traditionellen Musik", knüpft James Daniel Lindroth in seiner Masterarbeit (2018) daran an. „Westler:innen" sehnen sich nach solcher „emotional elektrisierenden Musik", wie es Deborah Kapchan (2007), eine amerikanische Folkloristin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Ethnographin bezeichnet, weil ihnen solche Erfahrungen in ihrer eigenen Kultur fehlen, und van der Veer zufolge wegen ihres „Misstrauens gegenüber der materiellen Zivilisation."

Ambuya Stella Chiweshe Chihera, eine der berühmtesten und großartigsten simbabwischen Mbira-Spielerinnen, die jetzt in Deutschland lebt, beschreibt dieses Gefühl im Titelsong ihres Albums „Through Mbira". Darin bringt sie zum Ausdruck, wie das Materielle die Gesellschaft von ihrer Spiritualität, die Eckpfeiler der Gesellschaft war, entfernt und zu Egoismus und monetärem Gewinnstreben geführt hat, wodurch wiederum Gemeinschaften zerfallen sind und einige Menschen psychisch und körperlich krank wurden sowie andere zu viel trinken oder fernsehen. Sie beschreibt die Disharmonie in der Gesellschaft, die sie um sich herum sieht und auch ihre Familie nicht verschont hat.

Die Mbira, insbesondere die Mbira Dzavadzimu (Mbira der Ahnengeister), sieht Chiweshe als Antwort auf diesen zügellosen Materialismus, ein Beispiel für eine solche „emotional elektrisierende Musik", die Kapchan zufolge auch von „Westler:innen" begehrt wird.

Der Autor ist ein Simbabwer, der afrikanische Spiritualität praktiziert, und ein Befürworter einer nachhaltigen Entwicklung in Afrika, basierend auf dem Ausgleich der „three Ps": people, planet und profit (Mensch, Umwelt und Profit).

Übersetzt aus dem Englischen.

Literatur:

  • Kapchan, D. 2007. Traveling Spirit Masters. Middletown: Wesleyan University Press
  • Lindroth, J.D. 2018, Zimbabwean Mbira Music and Modern Spirituality in the Western United States, The Ohio State University
  • Van der Veer, P. 2009. Spirituality in Modern Society. Social Research: An International Quarterly 76(4): 1097-1120