Heft 5/2022, Editorial

Eine Frage von Interessen

„Fossile Brennstoffe sind tödlich, aber Hunger tötet noch schneller". Auf diese einfache Formel brachte es Südafrikas Minister für Bodenschätze und Energie, Gwede Mantashe, auf der „Africa Oil Week" Anfang Oktober 2022 in Kapstadt, und bezog sich dabei auf Protestplakate von Umweltaktivist:innen draußen vor dem Veranstaltungsort. Mantashe ist ein glühender Verfechter von Kohle als vornehmlicher Energiequelle für die Stromerzeugung. Der ständige Ruf nach erneuerbaren Energien nervt den Minister, denn der Druck auf die afrikanischen Volkswirtschaften, sich schnell zu dekarbonisieren, setze sie dem Risiko aus, dass die Menschen keinen Zugang zu zuverlässiger und erschwinglicher Energie mehr haben, wenn die Regierungen überstürzt handelten.

Mantashe spricht von Heuchelei und trifft ins Mark eines als Klima-Ungerechtigkeit wahrgenommenen weltweiten Widerspruchs: Obwohl der afrikanische Kontinent nicht für den von den Industrieländern verursachten Klimawandel verantwortlich ist, ist er mit dessen schlimmsten Auswirkungen konfrontiert. Warum also sollte Afrika auf die Forderungen des Westens und seiner politisch-finanziellen Institutionen, die eigenen natürlichen Ressourcen in der Erde zu lassen, eingehen?

Scheinheiligkeit, Doppelmoral oder gar Ökokolonialismus des industrialisierten globalen Nordens: Der Heuchelei-Vorwurf aus Afrika hat neue Nahrung bekommen, seit sich Europas Staaten nach der Verhängung von Sanktionen gegen Moskau und dem Versiegen der Gaslieferungen aus Russland plötzlich ihrer Energieverwundbarkeit bewusst werden und hektisch auf dem Weltmarkt umschauen, wo sie das für die Aufrechterhaltung ihres Wohlstands benötigte Gas her bekommen, koste es, was es wolle. Statt die energiepolitischen Folgen des Ukraine-Kriegs als Chance wahrzunehmen und die Energiewende massiv zu beschleunigen, geht in Europa die Angst vor einer Rezession um. Langfristiges Handeln zur wirkungsvollen Eindämmung des unaufhaltsamen Klimawandels wird von Panik geleiteten kurzfristigen Entscheidungen verdrängt: Die Adelung von Gas als „grüner Energie" durch Brüssel.

Gleichzeitig verurteilte das europäische Parlament in Straßburg kürzlich eine geplante Pipeline, die im Westen Ugandas entdecktes Erdöl an die 1500 Kilometer entfernte Küste des Indischen Ozeans in Tansania führen soll. Was für Europa gilt, soll Afrika also vergönnt bleiben? Es ist, wie letztlich immer, eine Frage von Interessen. Es gibt sie weiterhin, die Stimmen, die sagen, dass Europa so schnell wie möglich selbst aus Kohle und Gas aussteigen muss, um international glaubwürdig zu bleiben. Und gleichzeitig schreit die Industrie, dass ihr der Brennstoff ausgeht und Arbeitsplätze gefährdet sind, und treibt die Politiker:innen, auch wenn sie noch so „grün" sind, vor sich her.

Europas Unterhändler waren längst aktiv: „Alles Gas und Öl, das wir entnehmen, landet zu über 80 Prozent in Europa, China oder Indien. Es wird nicht einmal auf dem afrikanischen Kontinent genutzt", stellte der ghanaische Energieminister Matthew Opoku Prempeh auf einer ebenfalls in Kapstadt stattgefundenen „Africa Energy Week" fest, auf der sich einige Energieminister des Kontinents auf den im November in Sharm El Sheikh in Ägypten anstehenden Klimagipfel Cop27 abgestimmt haben.

Der Run auf Südafrikas begehrte Steinkohle hat dazu geführt, dass der Kohleeinkauf in die EU innerhalb kürzester Zeit um das Achtfache gestiegen ist. Auch Botsuana hat Kohle als Königsenergie neu entdeckt, und Namibia träumt davon, nach gigantischen Öl- und Gasfunden vor seiner Küste ähnlich wie Angola zu einem Erdöl produzierenden Staat zu werden. Gerade erst ist eine Erdgaspipeline, die Sambia mit dem namibischen Hafen Walvis Bay verbinden soll, vereinbart worden. Also „Bohren, Baby, bohren; Gas, Baby, Gas", wie der Daily Maverick (23.10.22) die Forderung von NJ Ayuk, geschäftsführender Vorsitzender der Afrikanischen Energiekammer, auf der afrikanische Energiewoche in Kapstadt zusammenfasst? „Europa will Gas als grün bezeichnen: Es war schon immer grün. Wenn es grünes Gas für Europa ist, warum ist es dann nicht auch grünes Gas für Afrika?" fragt Ayuk und fordert Schluss mit der Rhetorik, wonach Energieerzeuger böse oder schlechte Menschen seien. „Wir müssen zur Cop27 gehen und unsere Energieerzeuger unterstützen. Wir sollten uns nicht für unseren Energiesektor entschuldigen. Das ist die Botschaft, die wir vermitteln sollten."

Es wäre dringlich, wenn Afrikas Rohstoffreichtum dann tatsächlich der Bevölkerung zugutekäme und nicht allein der Raubgier der Elite: Angola ist da ein schlechtes Beispiel, wie man aus der Dos-Santos-Ära mit den verschwundenen Ölmilliarden weiß. Rohstoffsegen hat bislang in Afrika zumeist Rohstofffluch bedeutet, das zeigen die Lehren aus Nigeria, dem Kongo oder Mosambik. Eine Frage von Interessen – auch Heuchelei ist kein Exklusivrecht Europas.

Lothar Berger