EINGEFAHRENE GESCHLECHTERROLLEN UND DAS KONZEPT VON BOTHO. Ein Blick in die geschichtliche Entwicklung Botswanas, Einflüsse aus Kolonisierung und Missionierung, die Bedeutung von gemeinschaftlichen Werten sowie mögliche Richtungsweiser für eine zukünftige Entwicklung.
Von Thsenolo Jennifer Madigele
In der traditionellen Setswana-Gesellschaft wurde der Heiratswert von Kindern schon früh beurteilt. Schon beim Spielen wurden sie unter diesem Gesichtspunkt beobachtet. Von Jungen wird erwartet, dass sie bereits im Spiel Führungsrollen übernehmen und Ambitionen zeigen, Essen nach Hause zu bringen, Häuser zu bauen, Vieh zu züchten, Autos zu besitzen usw. Denn von Männern wird traditionell erwartet, dass sie Anführer, Brotverdiener und Hausherren sind (Meriam und Ntseane, 2008). Die Namen, die Jungen bei der Geburt erhalten, sind üblicherweise mit Erfolg und Reichtum assoziiert und sollen somit ihren sozialen Status erhöhen. Namen wie „Kgosietsile" (der Häuptling ist gekommen/geboren), „Mmereki" (der Arbeiter), „Mmusi" (der Anführer oder Herrscher) oder „Mokganedi/Modisa" (Hirte) (Nkomazana, 2008) verleihen Jungen schon in zartem Alter Wert und Mut und gaben ihnen den Status, zu echten zukünftigen Ehemänner zu werden.
Mädchen werden beobachtet, wie sie sich im Kochen üben, um ihre Puppen kümmern, ihren Spielplatz fegen usw. Wenn sie erwachsen sind, wird von ihnen erwartet, dass sie in die Familie ihres Mannes eintreten, sich um die Schwiegereltern kümmern, Kinder großziehen und den Ehemann unterstützen (Meriam und Ntseane, 2008). Ihre Rolle wird mit einer Art „Spielplatz" (mantlwaneng) verglichen. Dieser gilt als Modell eines traditionellen Setswana-Haushalts. Hier wird Essen gekocht, der Hof geputzt, das Vieh gezüchtet. Traditionell wird daran geglaubt, dass eine Frau im Kindesalter beim Spielen entdeckt wird, was mit mmamotse o bonwa mantwaneng bezeichnet wird. Es wird zudem von Ntsanyana ya maitaya sebatana e bonwa mabotobotong ausgegangen, was übersetzt bedeutet, dass ein Kind bereits früh offenbart, was es in Zukunft sein wird.
Mädchen werden von Kindheit an dazu erzogen, den Haushalt zu führen, damit sie in Zukunft für ihre Familien sorgen können. Außerdem werden sie darauf vorbereitet, Kinder zu gebären. Ihre Ausbildung umfasst das Fegen des Hofes im Morgengrauen, das Holen von Wasser und die Zubereitung von Brei und anderen Mahlzeiten für die Familie (Nkomazana, 2008). Es ist zu beobachten, dass sich die Anweisungen und Erwartungen an zukünftige Ehemänner und Ehefrauen deutlich unterscheiden.
Die Sozialisierung der Kinder ist nicht auf die Ebene der Familie beschränkt. Auch in der Gemeinschaft werden Kinder in zwischenmenschlichen Beziehungen sozialisiert. Hier nehmen Frauen automatisch die Identität von Hausangestellten an. Das ist allerdings mit diversen Nachteilen verbunden, denn die Arbeit in Fürsorge (Versorgung von Familienangehörigen und Dritten) und Haushalt ist mit maßgebliche finanziellen Belastungen verbunden, die die Frauen bis zu einem gewissen Grad verarmen lassen. Außerdem wird ihnen dadurch später eine angemessene Mindestrente verwehrt.
Männer hingegen werden dahingehend sozialisiert, Positionen von Macht und Kontrolle einzunehmen, die von der Familie bis zur Gemeindeebene reichen. Von ihnen wird erwartet, dass sie Versorger und Familienoberhaupt sind. Leider schwindet diese Macht mit dem Alter, da sie mit Funktionalität verbunden ist. Alter geht also mit einem Verlust an Macht, Kontrolle, Freiheit und Autonomie einher. Sie werden vom Versorger zu Pflegebedürftigen, die in Bezug auf ihre emotionalen, psychologischen und seelischen Bedürfnisse dann von ihren Ehepartnerinnen abhängig sind. Ihre Position als funktionale Einheit verwandelt sich in einer späteren Lebensphase in eine Verwundbarkeit, was eine der Hauptursachen für psycho-emotionale und soziale Probleme sein kann.
Geschlechterdynamik
In den traditionellen afrikanischen Gesellschaften werden soziale Organisationen und Identitäten von den Kräften der soziokulturellen Geschlechterbeziehungen geleitet. Diese Kräfte sind nicht notwendigerweise statisch, obgleich auch richtungsweisend. Vielmehr sind die Geschlechterbeziehungen dynamischer Art (Calasanti 2005). Zum Beispiel waren die Gemeinschaften in Botswana vor der Einführung von Christentum, Kolonisation und „Zivilisation" – der „drei C" (christianity, colonization and civilization) – sehr homogen. Die Migration vom Land in die Stadt wurde maßgeblich durch die Industrialisierung, die „Zivilisierung" und die westliche Bildung ausgelöst. Dieser Prozess ging mit sozioökonomischen Veränderungen einher. Viele Männer zogen in die Städte und ließen Frauen und Kinder in den Dörfern zurück. Die Frauen wurden also zu den primären Bezugspersonen. Die Männer hingegen übernahmen die Rolle des Versorgers. Diesmal allerdings versorgten sie ihre Familien nicht mehr auf traditionelle Art durch Lebensmittel, die aus der Subsistenzlandwirtschaft entstanden, sondern brachten Geld nach Hause. Geldwirtschaft ersetzte also die subsistenzielle Wirtschaftsweise und deren Lebensstil. Die Weltanschauung der kommunalen Lebensweise wurde durch individualistische Werte ersetzt.
Christentum verleiht Männern Machtrolle
Der Kolonialismus hat wesentlich zu den sozioökonomischen Veränderungen in Botswana beigetragen. In der Folge trennte er Menschen nach ihren Geschlechtern und geografischen Landschaften. Frauen, die in die Städte zogen, übernahmen Aufgaben in der Fürsorge und im Haushalt, zum Beispiel als Sekretärinnen, Krankenschwestern und Lehrerinnen, während Männer wie erwähnt eher Macht- und Kontrollpositionen übernahmen. Das Christentum hat tendenziell die männliche Dominanz in unserem Kontext gefördert. Bibeltexte wie Richter 19 und Genesis 19:8 sehen Frauen als Eigentum des Mannes, das beliebig kontrolliert, gebraucht und missbraucht werden kann. Andere Texte wie Gen 2:4ff und Epheser 5:22 könnten verwendet werden, um die Stellung des Mannes als Entscheidungsträger, Versorger und Familienoberhaupt zu unterstreichen.
Das Christentum in Verbindung mit der Kolonialisierung und der „Zivilisierung" hat dem Mann eine unbestreitbare Position der Macht und Kontrolle verliehen. Togarasei (2013) vertritt die Auffassung, dass Jesus bei Lukas das richtige Vorbild ist, das Initiativen bei der Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse in Botswana leiten könnte. Im Lukasevangelium waren Frauen Jüngerinnen (8:1-3) und Schülerinnen Jesu (10:39) sowie wichtige finanzielle Unterstützerinnen (8:2-3). Jesus stellte außerdem Tabus in Frage, die die Frauen in der Gesellschaft untergruben. Die selektive Verwendung von Texten, die mehr Schaden anrichten und die Gemeinschaft zersetzen, könnte durch die Verwendung des Modells von Jesus in der Bibel in Frage gestellt werden.
Wie bereits erwähnt, werden die Beziehungen durch den Kontext, die Menschen und die Bedürfnisse bestimmt. Heute scheint es notwendig zu sein, die Werte, die die zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmen, neu zu definieren, denn Mädchen, Frauen und Großmütter befinden sich am Rande der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang befinden sich viele Frauen in einer tiefen wirtschaftlichen, physiologischen und psychologischen Krise. Von Männern hingegen wird erwartet, dass sie stark sind, Risiken eingehen und als Versorger auftreten. Ihre Rolle ist mit wenig emotionalem Ausdruck verbunden. Diese Eigenschaften sind sehr ungesund für Botswana (Togarasei 2013).
Die traditionellen Gesellschaften der Setswana sind jedoch auf Ganzheitlichkeit und ein System wechselseitiger Beziehungen ausgerichtet. Diese Weltanschauung prägt die Praxis, die Veränderung und den Wandel und stärkt positives Verhalten. Die Vision der Setswana-Weltanschauung besteht darin, die Beziehungen zwischen den Menschen in der Gemeinschaft zu fördern und so Wachstum zu erhalten. Die Werte Liebe, Verantwortung, Rechenschaftspflicht, gegenseitige Abhängigkeit und Achtung prägen die inner- und zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern sind im Allgemeinen dynamisch und können im Interesse eines friedlichen Umgangs zwischen den Menschen in der Gesellschaft stets überholt und verändert werden (Calasanti 2005).
Botho und Christentum als Methoden der Geschlechterkonstruktion
Eine Lebensweise mit einer humanistischen Ethik ist in dieser Art von Gesellschaft lobenswert. In Botswana richtet die Ethik des Botho die menschlichen Beziehungen auf das Gemeinwohl, das Mitgefühl und die gegenseitige Unterstützung aus. Das Konzept wurde durch die Maxime motho ke motho ka batho bekannt, was bedeutet, dass ein Mensch durch und wegen anderer Menschen zu einem solchen wird. Die Maxime drückt (wörtlich) aus, dass die Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse oder kulturellem Hintergrund miteinander verbunden sind. Das Konzept legt den Schwerpunkt auf Harmonie und Integration, wo Disharmonie und Desintegration zu herrschen scheinen. Das menschliche Leben wird über das menschliche Kapital gestellt, und der Sinn für Solidarität unter den Mitgliedern der Gemeinschaft wird in hohem Maße gefördert. Das bedeutet, dass das Konzept von Botho jeder Form von Ungerechtigkeit oder Ungleichgewicht entgegenwirkt. Die Gemeinschaftlichkeit wird als Norm angesehen, und die Vorfahren werden als Teil der Gemeinschaft betrachtet. Sie gelten als Richtschnur des Botho, der inner- und zwischenmenschlichen Beziehungen. Ihre Vormundschaft erstreckt sich auf die künftigen Generationen und das gesamte Universum (Ramose 2005). Man kann also mit Sicherheit sagen, dass die Vorfahren das Botho-Konzept verfassten. Ihre ständige Verbindung mit der Gemeinschaft als informative Vermittler des Lebendigen beweist, dass sich das Leben entwickelt, verändert und situativ ist.
In Botswana wird die Kluft zwischen Männern, Frauen und anderen Geschlechtern immer größer. Die traditionelle Aufteilung der Setswana-Geschlechterrollen, die unseren historischen Fußabdruck ausmachen, hat zu einer zerrütteten Gesellschaft geführt und schürt weiterhin Wut, Ungleichheit, Hass, Vorurteile, Zorn und Eifersucht. Die Leute sind aufgrund der strukturellen Ungerechtigkeiten, mit denen sie täglich konfrontiert sind, emotional und psychologisch geschädigt. Wie oben dargelegt, führt die traditionelle kulturelle Geschlechterrollentrennung zu sozioökonomischer Segregation, unzureichenden Sozialleistungen und sozialer Ungerechtigkeit (Ellison 1999:123). Sie führen auch zu psychosozialen Krankheiten. Mit dem Konzept von Botho wurde versucht, diese Herausforderungen anzugehen, doch das hat seine Grenzen.
So ist es beispielsweise von ausschließendem Charakter, weil es den Interessen der Mehrheit dient. In einem Kontext, der hauptsächlich heterosexuell ist, stellen Homosexuelle und Menschen mit anderen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten die Minderheit dar und laufen Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden. Botho ist ein lebensveränderndes Konzept, das auf alle ausgedehnt werden sollte. Die Regierung von Botswana sollte sicherstellen, dass dabei alle als gleichberechtigte Bürger:innen einbezogen werden.
Die Autorin ist Dozentin an der Universität Botswana im Bereich Theologie und Religionswissenschaften. Ihr Forschungsbereich erstreckt sich von menschlicher Sexualität mit speziellem Fokus auf LGBTI-Gemeinschaften bis hin zu seelsorgerischer Betreuung und Beratung.
Übersetzt aus dem Englischen.
Literatur:
- Calasanti, T.M. 2005. Feminist Gerontology and Old Men. Journal of Gerontology: Social Sciences Theory 59 (6), S. 305–314.
- Ellison, G.T.H. 1999. Between equity and prosperity: Confronting the impact of social inequality on health in South Africa. In G. Maharaj (Hrsg.), Between unity and diversity: Essays on nation building in post-apartheid South Africa, S. 123–145. Idasa & David Philip Publishers: Cape Town.
- Merriam, S.B. & Ntseane, G. 2008. Transformational learning: How culture shapes the process. Adult Education Quarterly 58 (3), S. 183–197.
- Nkomazana, F. 2008. The contribution of missionary wives in the planting of the church in Botswana in the late nineteenth and twentieth centuries. Studia Historiae Ecclesiasticae XXIV, S. 333–358.
- Ramose, M. B. 2005 [1999]. African Philosophy through Ubuntu. Harare: Mond Books.
- Togarasei, L. 2013. Christianity and hegemonic masculinities: Transforming Botswana hegemonic masculinity using the Jesus of Luke. Scriptura 112 (1), S. 1–12.