UNTERSCHIEDLICHE PERSPEKTIVEN AUF EINIGE DER BEGRIFFE IN DIESEM SCHWERPUNKTHEFT
Religion und Glaube
Im deutschen Sprachgebrauch wird „Religion" als ein meist von einer größeren Gemeinschaft angenommener Glaube bzw. ein Bekenntnis hierzu verstanden. Bei dieser religiösen Weltanschauung wird das Leben einer alles Sein bestimmenden göttlichen Macht untergeordnet. Deren Glaubenslehre und Satzungen werden dabei üblicherweise institutionell organisiert und festgelegt. In der Theologie wurden Religion und Glaube in der europäischen Neuzeit in Bezug zueinander gesetzt, und dann grundlegend als Antithese. Vielfach wurde religio als „Vernunft behaftet" verstanden, im Gegensatz zur fides (Glaube), die höchstens zu „Wahrscheinlichem" führen könne. Neuzeitlich spielte diesbezüglich die religio naturalis (natürliche Religion bzw. vernunftbezogene Gotteserkenntnis) eine herausragende Rolle, die als Alternative oder als Antithese zur religio revelata (Offenbarungsreligion der übernatürlichen göttliche Lehre) etabliert wurde. Die neuzeitliche natürliche Religion als allein vernünftige Religion wie auch die über sie hinausgehende oder als alternativ zu ihr gedachte bzw. erlebte Religion als Gefühl wurde weithin und bevorzugt als dezidierter Gegensatz zu allem Glauben aufgefasst.
Von vielen Afrikaner:innen werden als „Religionen" hauptsächlich die abrahamischen Monotheismen bezeichnet, die entweder aus dem arabischen Raum oder Europa importiert wurden, wohingegen die afrikanischen Interaktionen mit Übersinnlichem entweder als „Glaube" oder sogar als „Kultur" von ihnen selbst benannt werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die frühen europäischen Anthropolog:innen und Missionare grundsätzlich der Auffassung waren, dass auf dem afrikanischen Kontinent keine dem Christentum ebenbürtigen Glaubensformen existierten, sodass die teilweise sogar gewaltvolle Verbreitung dessen nicht als Dominanzakt, sondern im Zuge der „Zivilisierung" als Großzügigkeit und „Erhellung" dargestellt werden konnte. Zudem ist die konzeptuelle Unterscheidung zwischen Geist und Materie, Subjekt und Objekt bzw. Natur und Kultur ebenso ein Produkt der westlichen Aufklärung, die als sich gegenüberstehende Einheiten in vielen afrikanischen Kulturen so nicht grundsätzlich vorhanden sind. Oft hingegen gehen Rationales und Übersinnliches innerhalb eines Spektrums ineinander über, weshalb „Kultur" und „Spiritualität" nicht grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind.
Spiritualität und Animismus
Der Begriff „Spiritualität" geht auf das lat. spiritus (Geist) zurück und beschreibt die Geistigkeit oder persönliche Beziehung des Menschen zu Gott oder anderen übersinnlichen Kräften. Diese kann sich in verschiedenen Haltungen, Lebensformen und Praktiken ausdrücken, wie z. B. im Gebet oder der Meditation. Sie kann auch als eine geistige Haltung verstanden werden, die in all die unterschiedlichen Bereiche und Aspekte des Lebens wie Familie, Ackerbau, Fruchtbarkeit oder auch bestimmte Orte übertragen wird. Spiritualität wird so zum Bindeglied eines gesellschaftlichen Lebens uns seiner Ordnung.
Die Autor:innen dieser Ausgabe verwenden den Begriff hauptsächlich übergeordnet für jegliche Beziehungen zu und Verbundenheit mit Formen von Übersinnlichem, unabhängig von deren Kategorisierung als Religion oder nicht. Oft wird der Begriff „Spiritualität" auch als Synonym für „animistische Glaubensformen" (lat. anima für Seele bzw. animus für Geist) verwendet, womit allerdings spezifischer ein Verständnis von einer Beseeltheit der Natur (von Pflanzen, Tieren und Dingen), der Verehrung von Schutzgottheiten und Ahnen sowie ein Glaube an die Unsterblichkeit der Seele gemeint ist. Da der Begriff „Animismus" in der Vergangenheit insbesondere von „westlichen" Forscher:innen oft mit einer Geringschätzung der Praktizierenden einherging, wird der Begriff hierzulande mittlerweile oft versucht zu vermeiden. Teilweise wird er auch ersetzt durch Formulierungen wie „afrikanische Religion", um dem althergebrachten Stigma, in Afrika gäbe es keine „ernstzunehmenden" Glaubensformen (siehe oben bei Religion und Glauben) selbstbewusst entgegenzuwirken und spirituelle Handlungen mit Geistern in der Natur gezielt als den Monotheismen ebenbürtige Formen von Religion zu bezeichnen.
Missionierung
„Mission" bezeichnet zunächst grundsätzlich die Aussendung einer Personengruppe mit einem besonderen Auftrag. Religionsgeschichtlich betrachtet ist der Begriff jedoch ein spezifisch christlicher und ist zudem auch überkonfessionell angelegt. Er leitet sich von lat. misso ab und bedeutet „Sendung", was sich in diesem Kontext auf die geplante und organisierte Verbreitung insbesondere des christlichen Gedankenguts bezieht. Dabei sollen sogenannte Andersgläubige, Nichtgläubige oder Heid:innen zum Christentum bekehrt werden. Die Motivation der Ausführenden besteht in der Überzeugung, hiermit anderen Menschen den Zugang zum Paradies zu ermöglichen und sie von ihrem sicheren Gang zur Hölle nach dem Tod zu bewahren. Die Missionsgeschichte des Christentums begann bereits in der Antike innerhalb Europas mit der Ausbreitung des christlich römischen Reichs im Gegensatz zu den „heidnischen Barbaren" in Mittel- und Nordeuropa und setzt sich bis in die Gegenwart fort.
Noch heute sind christliche Missionsgesellschaften weltweit in „göttlichem Auftrag" unterwegs, z. B. sowohl in den USA wie auch in Uganda und Kambodscha. Auf dem afrikanischen Kontinent gewann die Missionierung an Momentum im Zuge der ersten großflächigen Handelsunternehmungen ab dem 15. Jahrhundert und ist dabei noch vor dem Beginn des exzessiven transatlantischen Sklavenhandels und der strategischen Kolonisierung anzusetzen. Diesen Projekten war die Missionsarbeit zunächst aber nicht undienlich, da durch die zahlreichen Bibelübersetzungen in afrikanische Sprachen bereits viel Vorarbeit über Sprachen und Kulturen geleistet worden war, durch die auch Unterwerfung und Ausbeutung leichter umzusetzen wurde. Im späteren geschichtlichen Verlauf nahmen jedoch die meisten Missionsgesellschaften eine vergleichsweise frühe Haltung gegen die Sklaverei ein, da nach ihrem christlichen Verständnis getaufte Afrikaner:innen als „volle Menschen" betrachtet werden mussten. Dies widersprach dem Grundmotiv der Sklaverei, das die Misshandlung von Afrikaner:innen dadurch rechtfertigte, dass es sie mit allen Mitteln als unmenschliche Wesen, den Tieren gleich, zu beschreiben versuchte.