ALS BINDEGLIED ZWISCHEN SWAPO UND KIRCHE WIRD ZEPHANIA KAMEETA ZU EINER DER PRÄGENDEN FIGUREN DES BEFREIUNGSKAMPFES. Im Mandatsgebiet Südafrikas Namibia galten auch die Gesetzte der Apartheid. „Zur Versöhnung gehört, dass die Trennmauern niedergerissen werden". 1971 beendeten die namibischen Kirchen ihr Schweigen mit einem offenen Brief an Südafrikas Premier und schlossen sich damit dem politischen Widerstand an.
Von Roderick L. Ressmann
Es ist der dringende Wunsch der Kirchenvorstände, dass [...] Ihre Regierung eine friedliche Lösung für die Probleme unseres Landes anstrebt und dafür sorgt, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Kraft gesetzt wird und dass Süd-West-Afrika ein selbstbestimmter und unabhängiger Staat wird.
Mit diesen Worten endet der offene Brief der beiden ‚schwarzen' Lutherischen Kirchen Namibias an den Premierminister Südafrikas und damit auch ihr langes Schweigen zu dem von der südafrikanischen Regierung aufgezwungenem Apartheidregime. Denn seit der Neuverteilung der deutschen Kolonien nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde „Süd-West-Afrika" unter das Mandat Südafrikas gestellt. Die rassistischen Gesetze, welche die Gesellschaft zugunsten der weißen Minderheit ordneten, wurden somit auch in Süd-West-Afrika, dem heutigen Namibia, implementiert. Das fruchtbarste Farmland bekamen die Weißen und in den Städten durften sich Schwarze nur mit Sondergenehmigungen aufhalten. Frei durften sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nur in den ihnen zugewiesenen „Homelands" bewegen, die mit den ursprünglichen Siedlungsgebieten meist nicht viel zu tun hatten. Eine Gesellschaftsordnung, die das südafrikanische Regime im Verbund mit der Nederduits Gereformeerde Kerk (NGK) vor allem theologisch zu rechtfertigen versuchte.
Den wohl bedeutendsten Beitrag zu dieser Argumentation lieferte die von der NGK-Generalversammlung im Oktober 1974 verabschiedete „Erklärung über die menschlichen Beziehungen der Völkerschaften Südafrikas im Lichte der Heiligen Schrift". Sie bezieht sich auf die Geschichte vom Turmbau zu Babel (1. Moses), in der Gott die Menschheit in verschiedene Sprachen und Wohngegenden zerstreut. Eine Handlung, die die Menschheit vor dem Untergang durch Identitätsverlust infolge von Vermischung bewahrt hätte, so interpretierte es die NGK. Hinzu kam die unter Christen lang verbreitete Auffassung, dass Ham als Stammvater der ‚schwarzen' Menschen von seinem Vater Noah zur Knechtschaft gegenüber allen anderen Völkern verflucht wurde.
Theologiestudierende reagieren auf UN-Resolution
Am 21. Juni 1971 bestätigte der Internationale Gerichtshof allerdings die UN-Resolution 2145 von 1966, die das südafrikanische Mandat über Namibia widerrufen hatte. Das Urteil forderte Südafrika dazu auf, seine Präsenz aus dem Nachbarland zurückzuziehen und es damit in die Unabhängigkeit zu entlassen. Diese langersehnte Entscheidung vernehmend, machte sich eine Gruppe von Studenten des theologischen Seminars in Otjimbingue sofort daran, einen offenen Brief aufzusetzen, den sie anschließend an die in Windhoek tagenden Kirchenvorstände der beiden ‚schwarzen' lutherischen Kirchen Namibias schickten.
Der dann am 30. Juni veröffentlichte Brief wurde zum Auftakt kirchlichen Widerstands gegen die Apartheid. 1974 gründete sich zunächst aus der Anglikanischen, der Römisch-Katholischen und den Evangelisch-Lutherischen Kirchen das Christian Center, das vier Jahre später durch den Beitritt einiger kleinerer Kirchverbände, darunter die Methodisten und die Episkopalen, zu dem Council of Churches erweitert wurde. Die Vereinigung, dessen Mitglieder zusammen über 80 Prozent der namibischen Bevölkerung ausmachten, begann unter anderem damit, Rechtsbeistand für politisch Gefangene zu leisten, freie Presse moralisch und finanziell zu unterstützen und auch selbst zu publizieren.
Als ein Bindeglied zwischen kirchlichem und politischem Protest entwickelte sich Zephania Kameeta zu einer der zentralen Führungsfiguren der namibischen Unabhängigkeitsbewegung. Schon während des Studiums an der theologischen Ausbildungsstätte der Evangelisch-Lutherischen Kirche im heutigen Windhoek wurde er Mitglied der South-West Africa People's Organisation (Swapo). Ab 1977 gehörte er als gewähltes Mitglied des Zentralausschusses zur internen Leitung. Wegen seiner politischen Aktivitäten geriet er rasch ins Visier der Nasionale Party (NP), wurde mehrfach verhaftet, musste eine wochenlange Gefängnisstrafe absitzen und hatte stetig mit Reisebeschränkungen und Passverweigerungen zu kämpfen. Aus Pflichtgefühl seiner Position als ordinierter Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche gegenüber und aus der Überzeugung heraus, im Land mehr für die Befreiung Namibias tun zu können, erwog er dennoch keinen Gang ins Exil.
Widerstand trotzt Propaganda
Die wenigen Reisen, die ihm gestattet wurden, nutzte Kameeta vornehmlich, um bei den Kirchen des Globalen Nordens um Unterstützung zu werben. Diese erhielt er vor allem vom Lutherischen Weltbund und dem Ökumenischen Rat der Kirchen und deren Programm zur Bekämpfung des Rassismus.
Doch nicht alle Kirchen des Nordens zeigten sich solidarisch. Südafrikas Propagandamaschinerie versuchte, Kameeta und seine Mitstreiter:innen als kommunistisch beeinflusste Terrorist:innen zu diskreditieren. Immer wieder stießen sie deshalb auch auf teils heftige Aversionen seitens westlicher Glaubensinstitutionen. Dazu gesellten sich Vorwürfe, dass sie das Evangelium für politische Zwecke missbrauchten, sowie das Unverständnis über die Notwendigkeit der Befreiung vom südafrikanischen Aparhteidregime, das von sich selbst behauptete, christlich zu sein.
Kameeta jedoch hielt dagegen. Die NP sei noch nie eine von Gott eingesetzte Regierung gewesen, sondern gründete sich auf rassistischen Prinzipien und der Demütigung von Menschen. Als Kirche hätte man sich zwar auf prophetische Weise an dem Unabhängigkeitskampf beteiligt, nie aber jemanden dazu aufgerufen, nach den Waffen zu greifen und sich dem gewaltsamen Widerstand der People's Liberation Army of Namibia (dem militärischen Arm der Swapo) anzuschließen. Gleichzeitig hätte die Kirche aber auch diejenigen verstanden, die sich an dem bewaffneten Kampf beteiligt hatten. Ihr Handeln konnte nur als Notwehr gegenüber der südafrikanischen Regierung gedeutet werden, deren Politik der Apartheid einer Kriegserklärung gleichgekommen sei.
Innerstaatlich allerdings erwiesen sich die massiven propagandistischen Attacken der NP auf die Reputation Kameetas und anderer Kirchenführer wie Dumeni, Frederik oder Nakamhela als völlig wirkungslos. Ausschlaggebend dafür war zum einen die persönliche Haltung. Namibias Kirchenführer fielen nicht durch Selbstbereicherung auf, sondern lebten betont bescheiden und scheuten in ihrem Aktivismus auch keine persönlichen Konsequenzen. Zum anderen repräsentierten sie eine Institution, die bei den meisten Namibier:innen ein hohes Ansehen genoss. Nicht nur, weil sie seit Jahren als Wohltäterin auftrat, sondern weil insbesondere die beiden ‚schwarzen' Evangelischen Kirchen schon Erfahrung mit dem erfolgreichen Streben nach Selbstbestimmung besaßen. 1957 beendeten die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Namibia (ELCRN) und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia (ELCIN) ihre administrative Abhängigkeit von der Rheinischen Missionsgesellschaft und damit ein mehr als 30 Jahre andauerndes Ringen.
Kameeta als Mitgestalter und Impulsgeber
Der Kampf um nationale Selbstbestimmung und gegen die Apartheid sollte den Kirchen ein ähnliches Maß an Geduld und Unermüdlichkeit abverlangen. Erst knapp 20 Jahre nach dem Urteil des Internationale Gerichtshofes und dem offenen Brief der ELCRN und ELCIN endete Südafrikas völkerrechtswidrige Herrschaft endgültig, als Namibia am 21. März 1990 seinen ersten Unabhängigkeitstag feierte. Zwei Jahre zuvor hatte Südafrika der Abhaltung von freien und allgemeinen Wahlen zugestimmt, aus denen 1989 die Swapo als klare Siegerin hervorging.
Im selben Jahr wurde der inzwischen von dem Wartburg Theological Seminary mit der theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnete Kameeta von der frei gewählten „Verfassungsversammlung" zur Mitarbeit an der neuen Verfassung eingeladen. Für den dann Vize-Präses der ELCRN war die Zusage in Hinblick auf die Pflichten seines Amtes aber keine Selbstverständlichkeit. Präses Hendrik Frederik ermutigte ihn jedoch nachdrücklich. Dafür, nun das politische Leben dieses Landes mitgestalten zu können, habe man schließlich lange gekämpft und gelitten. Letztendlich nahm Kameeta an, auch weil er die Chance sah, als Vermittler zwischen den dem alten Apartheidregime nahestehenden Gruppen und der Swapo zu fungieren.
Anschließend bekleidete er bis Mitte 2000 die Position des stellvertretenden Parlamentspräsidenten, bevor er 2001 zum Bischof der ELCRN gewählt wurde. Doch völlig entpolitisieren wollte Dr. Kameeta die Kirche auch nach dem Sieg über das Apartheidregime nicht. Als vehementer Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens forderte er die Kirchen dieser Welt stattdessen auf, nachdrücklicher und glaubwürdiger zu einer Stimme der Armen und Unterdrückten zu werden – auch bei sich in Namibia –, wo einige strukturell bedingte Ungleichheiten wie die Landverteilung auch nach vielen Jahren der Unabhängigkeit noch andauern.
Der Autor studiert im Master Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik an der Universität Duisburg-Essen. Als Sohn eines deutschen Pfarrers im Dienste der DELK wuchs er in Okahandja, Namibia, auf.