Seit dem Krieg Russlands in der Ukraine haben sich die geostrategischen Blöcke in der Welt verschoben. Kann Afrika von einer sich verändernden politische Weltlage profitieren? Reflexionen in Anlehnung an eine Konferenz der Nürnberger Initiative für Afrika.
Von Boniface Mabanza Bambu
Der afrikanische Kontinent wurde sehr stark vom Kalten Krieg geprägt. In der entstehenden Weltordnung nach dem zweiten Weltkrieg entwickelten die Großmächte beider Blöcke Strategien, um Loyalitäten zu sichern und somit die Ausbreitung des jeweiligen Gegners zu verhindern. Der Westblock brachte die Strategie der Eindämmung des Kommunismus so weit, dass sogar brutale Militärdiktaturen eingesetzt oder unterstützt wurden. Auch der „kommunistische" Block kooperierte mit autokratischen Regimen etwa in Angola und in Mosambik. Die Konsequenzen lassen sich in vielen Ländern des Kontinents heute noch beobachten. Afrika ging aus dieser Phase als Verlierer hervor, weil die Handlungsspielräume für nationale Regierungen begrenzt waren und diejenigen, die es gab, nicht von allen Ländern konsequent genutzt wurden. Angesichts der sich neu formierten Konstellation internationaler Beziehungen wird darüber spekuliert, ob diese neue Chancen für den Kontinent bietet. Die Lage ist komplexer als sie aussieht. Auch wenn Chancen entstehen, müssen Voraussetzungen erfüllt werden, um sie nutzen zu können. Die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt, ist groß.
Neue alte Blöcke
Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine ist von einer neuen Blockbildung oder -konsolidierung die Rede. Es konsolidieren sich ein russisch-chinesischer Block und ein westlicher Block um die USA und Europa, auch wenn es auf der westlichen Seite aufgrund der verschiedenen Interessenkonstellationen mit China und Russland etwas Zurückhaltung gibt. Die Trennlinie entspricht der alten Kommunismus-Kapitalismus-Konstellation, auch wenn es nicht mehr in erster Linie um ideologische Gräber geht, da sowohl China als auch Russland sich zunehmend kapitalisiert haben und nicht mehr viel vom Kommunismus übrig geblieben ist, wenn sie jemals etwas davon hatten. Neu in der sich jetzt zuspitzenden Konstellation ist auch, dass fast alle Länder Osteuropas, die während des Kalten Krieges in der „kommunistischen" Einflusssphäre waren, heute Bestandteile der EU und/oder der Nato sind. Einige von Ihnen fühlen sich von Russland direkt bedroht und gehören zu den Hardlinern in der Mobilisierung für einen entschlossenen Widerstand gegen Putins Angriffskrieg.
Afrika wieder zwischen den Fronten
In dieser sich neu zuspitzenden Blockbildung alter und neuer Feinde gerät der afrikanische Kontinent wieder zwischen die Fronten. Im Vorfeld der Abstimmungen zum Ukraine-Krieg in der UN-Vollversammlung und in der Menschenrechtskommission der UN haben sowohl westliche Länder als auch Russland alle Register gezogen, um das Abstimmungsverhalten afrikanischer Länder zu beeinflussen. Als sich nach der Abstimmung herausstellte, dass sich nicht alle afrikanischen Länder so verhalten hatten, wie von dem einen oder anderen Block erwartet, wurden auf beiden Seiten Stimmen laut, die direkt oder indirekt daran erinnerten, dass ihre Feinde auch Feinde afrikanischer Länder sein müssten oder dass, wer nicht für sie ist, gegen sie ist. Schon wieder sehen sich viele Länder des Kontinents zwischen den Stühlen und dazu gezwungen, Konfliktparteien zu werden. Auf die diplomatischen Aktivitäten in Genf und New York am Rande der erwähnten Abstimmungen folgten die Afrika-Reisen der Außenminister Russlands und der USA mit dem gleichen Ziel, ihre jeweiligen Einflusssphären zu erweitern oder konsolidieren.
Im Kalten Krieg machten die Großmächte zwei Argumente geltend: politische und militärische Macht einerseits und Geld auf der anderen Seite. Die politische und militärische Macht ermöglichte Ihnen zu bestimmen, wer wo agiert. In den Ländern, die sie als strategisch einstuften, setzten sie auf Militäreliten, die in der Regel in westlichen oder östlichen Militärschulen ausgebildet wurden. Diese wiederum setzten auf Repression, um an ihrer Bevölkerung vorbei regieren zu können. Solange diese Eliten bereit waren, die Interessen der Blockmächte zu schützen, wurden ihnen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen und Veruntreuungen von Staatsgeldern und Krediten internationaler Finanzinstitutionen verziehen. Die Blockmächte zögerten nicht, Geld in Form von Entwicklungshilfe und Kreditvergabe als Instrument zur Sicherung der Loyalitäten einzusetzen. Eine der schlimmsten Konsequenzen des Kalten Krieges auf dem afrikanischen Kontinent ist, abgesehen von der Last der in dieser Zeit geschürten Verschuldungsspirale, die Entfremdung der politischen Institutionen. In den betroffenen Ländern brauchten politische Eliten keine Legitimität von innen: Macht und deren Erhalt wurden ihnen durch die Loyalität zu den jeweiligen Blöcken von außen garantiert. Durch diese Außenorientiertheit der Eliten haben diese Länder von ihren nominellen Unabhängigkeiten mitten im Kalten Krieg bis zum Ende von diesem quasi als westliches oder östliches Konzept funktioniert. Sie gingen aus dieser Phase geschwächt heraus und waren dann anfällig für alle möglichen Einflüsse in der Ära nach dem Kalten Krieg, in der sie politisch wie ökonomisch gleichermaßen herausgefordert wurden.
Wiederbelebung der Einflusssphären als schleichender Prozess
Die Einflusssphären der Blockmächte in Afrika, die seit Beginn des Ukraine-Krieges deutlicher wahrgenommen werden, sind nicht über Nacht zustande gekommen. Vielmehr beruhen sie auf langfristigen Strategien, die ihre Wirkung auf den afrikanischen Kontinent schleichend entfaltet haben. Russland, aber auch die Türkei, Indien, Brasilien und vor allem China versuchen seit nun mehr als 20 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent Fuß zu fassen. Dafür bedienen sie sich sporadischen Investitions- und Handelsvereinbarungen sowie Militärkooperationen. Damit haben sie es geschafft, Zugriff auf einige agrarische, mineralische und energetische Ressourcen und dadurch auch politischen Einfluss zu sichern. Diese neuen Mächte haben nicht nur die natürlichen Ressourcen des Kontinents entdeckt, sondern auch die großen Potenziale der Länder etwa als Absatzmärkte für bestimmte Produkte, aber auch vor allem im Blick auf die aufzubauenden Infrastrukturen und die anzubietenden Dienstleistungen. Es findet ein regelrechter neuer Wettlauf um Afrika statt und dies bekommen die alten Handels- und Investitionspartner des Kontinents aus der EU und den USA zu spüren, die lange den afrikanischen Kontinent als deren gesicherten Hinterhof behandelten. Sowohl die USA als auch die EU reagieren auf diese neue Konkurrenz mit verschiedenen Initiativen.
Bei den USA ist deutlich zu erkennen, dass die Länder des Kontinents eine unterschiedliche geostrategische Gewichtung haben, die von sicherheitspolitischen Fragen (Terrorismus), aber auch vom Vorhandensein sicherheitsrelevanter Ressourcen wie Uran, Kobalt, Coltan, Niobium und von der geographischen Lage abhängig gemacht wird. Darüber hinaus verfügen die USA mit dem African Growth and Oppurtunity Act (AGOA) über ein handelspolitisches Instrument, das ihnen ermöglicht, eigene Interessen durchzusetzen. Die EU verhandelt seit 2002 mit verschiedenen Regionen Afrikas südlich der Sahara Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und mit den Maghreb-Staaten ein separates Handelsabkommen, mit denen sie das geostrategische Interesse verbindet, im Blick auf den Zugang zu Rohstoffen und zu Absatzmärkten für industrielle Produkte und Dienstleistungen China Konkurrenz zu machen. Auf dieses geostrategische Ziel ist auch die „Global Gateway Initiative" ausgerichtet, im Rahmen derer die EU 150 Milliarden für Investitionen in Afrika mobilisieren will. Die identifizierten Sektoren sind fast genau dieselben, in denen auch China in den letzten 20 Jahren aktiv war und ist. Es ist diese Konkurrenz zwischen den Großen, die einige Analyst:innen hoffen lässt, dass Afrika von der sich ändernden Konstellation profitieren kann. Danach sieht es zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus.
Ideologisches und strategisches Vakuum als eigentliches Problem
Die aktuelle Krise und die daraus resultierende Verschärfung der Spannungen zwischen den Großmächten trifft die Länder des Kontinents in einer Konstellation, in der die alten Abhängigkeiten immer noch aktuell sind. Viele Länder des Kontinents sind abhängig von ausländischem Kapital oder zumindest glauben es zu sein. Sie sind auf Nahrungsmittelimporte und raffiniertes Öl und Gas angewiesen. Dies betrifft auch ein Land wie Nigeria, das Rohöl und -gas produziert. Viele Ökonomien des Kontinents basieren auf Rohstoffexporten, was sie anfällig für globale Schwankungen macht. All diese Probleme haben auch lokale Lösungen, deren Aktivierung dazu hätte beitragen können, dass der Kontinent jetzt eine bessere Ausgangsposition hätte. Einige Beispiele: Mit einer konsequenten Bekämpfung der Korruption und einem vertrauenerweckenden makroökonomischen Umfeld wären besonders die potenziell reichen Länder des Kontinents in der Lage gewesen, lokale Ersparnisse zu mobilisieren und in die produktivsten Sektoren zu investieren. Dadurch könnten die eigenen Ökonomien angekurbelt und entsprechend der jeweiligen Potenziale und Notwendigkeiten diversifiziert werden, ohne sich ausländischem Kapital ausliefern zu müssen, das oft diese Ziele nicht priorisiert und einer Plünderung der Ressourcen gleichkommt. Im Agrarbereich hätten die Agrarländer des Kontinents längst schon die kleinbäuerliche Landwirtschaft mit Kapital und Fortbildungsmöglichkeiten unterstützen müssen. Diese ist jetzt schon für mehr als 80 Prozent der Nahrungsmittel verantwortlich, die auf dem Kontinent konsumiert werden. Sie weist einen Ausweg, weil sie sich größtenteils frei von zentralen Abhängigkeiten zeigt, unter denen der Kontinent aufgrund des Ukraine-Krieges verstärkt leidet: lokales Saatgut, keine industriellen Dünger und Pestizide und reduzierter Bedarf an Sprit, wenn überhaupt. Dass die Politik nicht hier ansetzt, sondern anders agiert, hat nicht nur mit externen Faktoren, sondern auch damit zu tun, dass die regierenden Eliten in den verschiedenen Ländern von den vorherrschenden Verhältnissen profitieren und deswegen Allianzen mit globalen Machtzentren bilden.
So gesehen liegt das Übel an der Wurzel und nicht an der Oberfläche. Gegen Ende des Kalten Krieges konstatierten etwa die Bischöfe von Zaire, mittlerweile DR Kongo, in ihrem Memorandum zur Lage ihrer Nation, dass die Eliten ihres Landes sich zwar zum Kapitalismus bekannten, aber im Grunde genommen ein hybrides System unterhielten, das sowohl vom Liberalismus als auch vom Totalitarismus Elemente übernahm, die für ihren Machterhalt wichtig waren. So übernahmen sie vom Liberalismus die Vorteile des Privateigentums und vom Totalitarismus die Methoden der Machteroberung und des Machterhalts. Sie sahen in diesem hybriden System die „Hauptursache, wenn nicht sogar den Grund für die Lähmung der nationalen Institutionen und der Strukturen des Staates."
Hinzu kommt ein problematischer Bezug auf „afrikanische Traditionen", die auf monarchische Machtstrukturen reduziert werden, was in vielen Fällen nur ein Spiegelbild der Pervertierung der Vielfalt traditioneller politischer Systeme durch die kolonialen Verwaltungen ist. Elemente aus vielen afrikanischen Traditionen, die für die Entwürfe authentischer Gesellschaftsformen relevant wären, wurden vernachlässigt und sind es noch heute. Es handelt sich bei diesen Elementen etwa um Solidarität und Partizipation der Menschen an den ihr Leben betreffenden Entscheidungen. Diese Analyse der kongolesischen Bischöfe ist noch heute hoch aktuell und gilt über den Kongo hinaus. Bis auf ein paar Ausnahmen mit Abstrichen wie Botsuana, die Seychellen und Mauritius ist es den meisten Ländern des Kontinents noch nicht gelungen, eine funktionierende Synthese zwischen den „fremden" Systemen und den eigenen Traditionen zu elaborieren und umzusetzen. Sie verwickeln sich in Widersprüche, indem sie von allen Einflüssen die Schwächen übernehmen. Diese Schwächen wiederum kippen in eine absolute und autokratische Macht mit zahlreichen reproduzierten Institutionen, die sehr kostspielig sind und letztendlich dazu führen, dass der Ressourcenreichtum dieser Länder kaum ihrer Entwicklung zugutekommt.
Das große Problem ist, wie es aussieht, ein Ideologisches und strategisches Vakuum, das die politischen Akteur:innen mit einer Karikatur fremder Ideologien (Kapitalismus, Liberalismus, Kommunismus etc...) kompensieren, weil sie dadurch die eigenen egoistischen Motive verwirklichen können. Dies ist keine gute Basis, um angesichts globaler Konkurrenz und Begehrlichkeiten bestehen zu können. Solange dieses ideologische und strategische Vakuum nicht überwunden wird, bringt den einzelnen afrikanischen Ländern und ihren regionalen und kontinentalen Institutionen auch eine größer gewordene Konkurrenz keine neuen Chancen. Die Nutzung der Konkurrenz zwischen den Großen setzt ein klares Konzept von sich selbst, von den eigenen Potenzialen, Zielen und der Art von Beziehungen zu anderen Nationen und Regionen voraus. In Ermangelung dieses klaren Konzeptes laufen afrikanische Länder heute genauso wie im Kalten Krieg Gefahr, zum Spielball reduziert zu werden. Zu bedenken ist auch, dass das Zeitfenster für die Nutzung der Spannungen zwischen den Großen sehr begrenzt ist. Bald werden sie wieder kooperieren müssen, da sie zu sehr voneinander abhängig sind. „Wenn sich zwei Elefanten bekämpfen, leidet das Gras drumherum. Wenn sie sich lieben, leidet das Gras noch mehr", besagt ein Sprichwort aus Ostafrika. Dies gilt, solange das Gras keine eigene Strategie hat.
Boniface Mabanza Bambu ist für die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA tätig.
Zum Weiterlesen:
Faten Aggad, Ellen Davies und Charles Wanguhu zweifeln angesichts der energiepolitischen Kehrtwende an der „Dauerhaftigkeit des Interesses der EU an Gas". Statt Risiken einzugehen, sollte die „gegenwärtige Gelegenheit dazu genutzt werden, Investitionen in Afrikas eigene saubere Infrastruktur zu fördern".
In: Afrika trägt das Risiko, IPG-Journal (Online) v. 5.7.2022.