Bei den angolanischen Wahlen vom 24. August hat es die regierende MPLA fast erwischt: Mit einer knappen Mehrheit von offiziell 51 Prozent der Stimmen ist sie gerade noch einmal von einer Verbannung auf die Oppositionsbänke verschont geblieben. Alles andere als ein Sieg der MPLA hätte freilich überrascht: Die fast 50 Jahre an der Spitze des Staates stehende frühere Befreiungsbewegung hat im Vorfeld der Wahlen alles dafür getan, ihre Dominanz nicht aus den Händen geben zu müssen (vgl. den Beitrag „Déjà Vu ohne Ende?" in afrika süd Nr. 4, 2022).
Von Lothar Berger
Angola hat am 24. August gewählt. Genau genommen haben 6.454.109 Wählerinnen und Wähler von 14,4 Mio. Registrierten ihre Stimme abgegeben. Ob aus Politikverdrossenheit oder aus Gründen schlechter Wahlorganisation: Die Wahlbeteiligung ist gegenüber 2017 (63 Prozent) auf erschreckende 44,8 Prozent zurückgegangen. Nach Auszählung von 97,3 Prozent der Stimmen hatte die nationale Wahlkommission CNE bereits einen Tag nach der Abstimmung bekanntgegeben, dass die regierende MPLA des amtierenden Präsidenten João Lourenço mit einer Mehrheit von gut 51 Prozent in Führung liege. Die oppositionelle Unita habe knapp 44 Prozent erreicht. Ungeachtet der Aussagen der Unita, deren Vorsitzender Adalberto Costa Júnior zwar nicht, wie nach den Wahlen von 2012 und 2017, von „Betrug", aber doch von „krassen Diskrepanzen" zwischen den eigenen Auszählungen und jener der Wahlkommission sprach, veröffentlichte die CNE am 29. August das endgültige Protokoll der Parlamentswahlen: Danach haben die MPLA und ihr Kandidat João Lourenço die Wahlen mit 51,17 Prozent der Stimmen gewonnen, die Unita kommt auf 43,95 Prozent, während die übrigen sechs zugelassenen Parteien mit rund einem Prozent oder darunter weit abgeschlagen sind. Nach Bekanntgabe dieser offiziellen Zahlen war klar, dass die CNE das Ergebnis der Auszählung von 97 Prozent der Stimmen einfach als endgültiges Resultat übernommen hat.
Die MPLA erhält danach 124 Sitze im Parlament (2017: 150), die Unita 90 (2017: 51), PRS (Partido de Renovação Social), FNLA (Frente Nacional de Libertação de Angola) und PHA (Partido Humanista de Angola) bekommen je zwei Sitze zugewiesen. Die CASA-CE hat unter ihrem Kandidaten Manuel Fernandes alle ihre 16 Mandate von 2017 verloren. Von den 220 Abgeordneten des angolanischen Parlaments werden 90 von den 18 Provinzwahlkreisen gewählt, die übrigen werden durch Auszählung der nationalen Stimmen bestimmt.
Offizielles Wahlergebnis
Partei | Vorsitz | Prozent | Sitze | +/- 2017 |
MPLA | João Lourenço | 51,57 | 124 | - 26 |
Unita | Adalberto Costa Júnior | 43,95 | 90 | + 39 |
PRS | Eduardo Kuangana | 1,14 | 2 | 0 |
FNLA | Ngola Kabungu | 1,06 | 2 | + 1 |
PHA | Florbela Malaquias | 1,02 | 2 | + 2 |
Quelle: https://resultados2022eleicoesgerais.cne.ao/resultados/0
Die Wahlen hatten sich allein auf das Wettrennen zwischen der MPLA und dem 2021 gegründete Oppositionsbündnis Unita/Frente Patriótica konzentriert. Mit der Einbindung des Bloco Democrático unter Justino Pinto de Andrade und von PRA-JA Servir Angola unter dem ehemaligen Unita-Politiker Abel Chivukuvuku wuchs die Unita zum ersten Mal zu einem ernsthaften Herausforderer für die verkrustete MPLA heran. Adalberto Costa Júnior als Anführer des Bündnisses genießt den Ruf als ausgleichender Politiker und hebt sich damit angenehm von dem Haudrauf-Gehabe des früheren Unita-Chefs Jonas Savimbi ab.
Schaut man sich die Wahlergebnisse der MPLA seit 2008 an, fällt eine frappierende Kontinuierlichkeit auf, mit der die Partei von Wahl zu Wahl jeweils 10 Prozent verloren hat, und das immer mit einer 1-Komma an zweiter Stelle statt einer weniger beschönigenden 9 im Zehnerbereich darunter: 2008: 81, 2012: 71, 2017: 61 und 2022: 51 Prozent – gerade noch gerettet! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ob Zufall oder jeweils entscheidende arithmetische Anpassungen der realen Wahlergebnisse zu Gunsten der MPLA: Spätestens in fünf Jahren würde das „Spiel" nicht mehr greifen. Doch schon das jetzige offizielle Wahlergebnis ist ein Schlag ins Gesicht der MPLA. Sie hat vor allem in den Städten und besonders der Hauptstadt Luanda ihren Kredit verspielt und zehrt von ihrer ländlichen Basis.
Die Unita hat davon profitiert und ihre Abgeordneten gegenüber den Wahlen von 2017 fast verdoppelt, und sie hat die Provinzen Luanda (62,25 %), Zaire (52,12 %) und Cabinda (68,67 %) gewonnen. Auch in Kwanza Norte und Malanje konnte sie kräftig zulegen. Dennoch hat sie ihr Ziel der Wachablösung der Regierung nicht erreicht. Unterstützt von verschiedenen Wahlvorhersagen hatte sie gehofft, nach Bündelung der oppositionellen Kräfte in der von ihr geführten Frente Patriótica die MPLA schlagen zu können. Angesichts der umfassenden Kontrolle der MPLA über den Wahlprozess und die Medien musste sie jedoch mit einem Ergebnis rechnen, das der MPLA eine, wenn auch verdächtig knappe, Mehrheit gibt. Darauf vorbereitet, legte sie rechtliche Schritte gegen das Wahlergebnis ein und forderte das zuständige Verfassungsgericht auf, ihren Einsprüchen stattzugeben und die erklärten Wahlergebnisse für ungültig zu erklären.
Parallelzählungen sehen Unita vorne
Die Unita beruft sich auf ihre eigene Parallelzählung in den meisten der über 26.500 Wahllokale, nach denen sie mit 49,5 Prozent vor der MPLA mit 48,2 Prozent abgeschnitten hat. Sie kommt auf Diskrepanzen von 533.261 Stimmen, die das offizielle Ergebnis zu Gunsten der MPLA verändert hätten. So wurden der Unita gemäß ihrer Zählung in 15 Provinzwahlkreisen 347.436 Stimmen abgezogen, in 16 dieser Wahlkreise erhielt die MPLA 185.825 zusätzliche Stimmen. Auch eine Parallelzählung der zivilgesellschaftlichen Plattform „Mudei" („Wechsel") in repräsentativen Wahlkreisen gibt der Unita einen geringfügigen Vorsprung.
„Die oben erwähnten Diskrepanzen deuten auf eine böswillige Manipulation der Ergebnisse hin, die nur durch einen Vergleich mit den Protokollen im Besitz der Kandidaten und der CNE geklärt werden kann", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Unita mit ihren Bündnispartnern PRA-JA Serving Angola und dem Bloco Democrático. Dort werden in 16 Einzelpunkten Unregelmäßigkeiten und Gesetzesverstöße durch die Wahlkommission aufgelistet. Darunter der Ausschluss tausender Bürger:innen bei der Wahlregistrierung; die Beibehaltung der Namen Millionen Verstorbener in den Wählerverzeichnissen; die Missachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung dieser Listen; die Weigerung, den zur Beobachtung abgestellten Parteidelegierten Ergebnisakten zur Kontrolle auszuhändigen; die Missachtung der erforderlichen Unterschriften des gesamten Wahlpersonals und der Delegierten; die Ersetzung von geschultem Wahlpersonal durch Personen, die außerhalb des vorgeschriebenen Prozesses die Stimmenauszählung durchführten; und die kurzfristige Verlegung von Wahllokalen.
Angeprangert wird auch die weit verbreitete Korruption mittels Stimmenkaufs durch Regierungsvertreter sowie die extreme Parteilichkeit der öffentlichen Medien samt dem Ausschluss von Mitgliedern der Oppositionsparteien in ihren Programmen und ihre Ersetzung durch Kommentatoren des Regimes.
„Die vom Zähl- und Tabellierzentrum der Unita zusammengestellten Daten weisen große und inakzeptable Unterschiede zu den vom CNE veröffentlichten Ergebnissen auf", informierte Adalberto Costa Júnior auf einer Pressekonferenz am 5. September.
Die CNE forderte allerdings das Oberste Verfassungsgericht auf, die von der Opposition eingereichte Wahlanfechtung nicht zu behandeln, obwohl sie zu einer solchen Aufforderung gar nicht befugt ist. CNE-Sprecher Lucas Quilundo beteuerte, sein Team habe seine Arbeit korrekt gemacht, und stritt lapidar ab, dass es rechtlich relevante Beweise gebe. Von den 16 Wahlkommissaren haben allerdings vier die endgültigen Ergebnisse nicht unterschrieben, weil sie an deren Glaubwürdigkeit zweifeln.
Wahlanfechtung abgewiesen
Gleichwohl folgte das Verfassungsgericht den Empfehlungen der CNE und lehnte am 5. September den Antrag auf Annullierung des Wahlergebnisses aus verfahrenstechnischen Gründen ab. Die Parteien hatten laut Wahlgesetz drei Tage nach Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses Zeit, ihre Stellungnahmen gegenüber dem Verfassungsgericht abzugeben. Dieses wiederum musste innerhalb nur drei weiterer Tage eine endgültige Entscheidung treffen. Diese Frist lief am 8.9. aus. Das Verfassungsgericht wies an diesem Tag mit deutlicher Mehrheit die von Unita und CASA-CE eingereichte Beschwerde ab und sah „aus Mangel an Beweisen" keinen Grund, das Ergebnisprotokoll der CNE mit den Protokollen der Parallelzählung der Unita abzugleichen. „Die vorgelegten Beweise haben", so das Urteil, „die Gesamtergebnisse, die sich aus der von der Nationalen Wahlkommission offengelegten nationalen Wahltabelle ergeben, nicht in Frage gestellt."
Kaum einer hatte erwartet, dass das Gericht die Wahlergebnisse annullieren würde, erstreckt sich doch die Kontrolle der MPLA über die Machtorgane des Staates auch auf das höchste Justizorgan des Landes. Das Gericht besteht aus 11 Richter:innen, vier davon werden durch die Regierung und weitere vier durch das Parlament ernannt, davon drei durch die MPLA und nur eine durch die Unita. Sowohl die Vorsitzende Laurinda Jacinto Prazeres Monteiro Cardoso als auch ihre Stellvertreterin sind ehemalige Ministerinnen in der MPLA-Regierung. Lediglich die von der Unita benannte Richterin Josefa Neto stellte sich mit der Forderung an die CNE, die Auszählungen zu veröffentlichen, um ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von der Regierungspartei MPLA zu beweisen, gegen das Urteil des Verfassungsgerichts.
Proteste der Zivilgesellschaft
Die Opposition wie auch verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen geben sich mit dem Urteil des Verfassungsgerichts nicht zufrieden. Sie riefen in den sozialen Medien zu Demonstrationen auf, um gegen die verlautbarten Ergebnisse zu protestieren. „Wir fordern die Wahrheit über die Wahlen", so die Stimme einer Aktivistin auf einem Twitter-Video von Mudei: „Nein zu Betrug". Die Regierung hat ihre Streitkräfte bis 20. September in Alarmbereitschaft versetzt, weil sie zunehmende Straßenproteste befürchtet. Auf den Hauptstraßen Luandas und anderer Städte patrouillieren schwer bewaffnete Eliteeinheiten der schnellen Eingreiftruppe, um jegliche Proteste im Keim zu ersticken.
Seit dem 24. August sind Aktivist:innen der Bürgerbewegung Mudei in Uige, Zaire, Moxico, Lunda Norte, Huambo, Bié Cuando Cubango und Luanda Ziel willkürlicher Verhaftungen ohne Haftbefehl, Schikanen und Drohungen geworden. Dutzende von Jugendlichen waren bereits in Benguela, Lobito und Luanda aus Protest auf die Straße gegangen, als die CNE kurz nach den Wahlen einen Sieg der MPLA mit voraussichtlich 61 Prozent meldete. Die Polizei ging mit Tränengas und Schusswaffen gegen die Demonstrierenden vor. Etliche Jugendliche wurden verhaftet und misshandelt, 40 von ihnen wurden in einem Schnellverfahren wegen Ungehorsams gegen die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung angeklagt, mussten nach fünf Tagen Haft aber wieder freigelassen werden, weil sie ihr durch die Verfassung garantiertes Recht auf friedliche Demonstrationen wahrgenommen hatten. Die Organisation OMUNGA forderte in einem Schreiben an den Generalstaatsanwalt, gegen die an der Festnahme der jungen Aktivist:innen beteiligten Beamten zu ermitteln und sie strafrechtlich zu verfolgen.
Die Beobachtungsstelle OCSJ (Observatório para Coesão Social e Justiça), die von dem Rechtsanwalt Zola Bâmbi koordiniert wird, weist zurecht darauf hin, dass die Bevölkerung es nach einem „friedlich, ruhig, geordnet und ungehindert" verlaufenden Wahlvorgang verdient habe, „das Ergebnis einer fairen und transparenten Auszählung zu erfahren, die nicht von externen Interessen beeinflusst wurde." Doch in Angola herrscht ein Klima der Angst und Unsicherheit. Die OCSI sieht in den Einschüchterungen durch hochrangige Vertreter des Regimes und der Sicherheitskräfte „Vorboten von Instabilität und Krieg".
„Hat irgendeine obskure Militärmacht Angola den Krieg erklärt? Gegen wen verteidigt sich das Regime, etwa gegen das unbewaffnete Volk?", fragte Ginga Savimbi, Tochter des ehemaligen Unita-Chefs Jonas Savimbi, in der Deutschen Welle (14.9.22). Es sei eine „verkehrte Welt", wenn der angebliche Wahlsieger die Armee auf die Straße schickt, der unterlegene Oppositionsführer aber seine Anhänger um Ruhe und Besonnenheit bitte. Gingas Bruder Tão Kanganjo Sakaíta dagegen, einer der Söhne Savimbis, hatte offen um Stimmen für die MPLA geworben, Tchizé dos Santos, Tochter des ehemaligen MPLA-Präsidenten José Eduardo dos Santos, wiederum hat sich in den sozialen Medien auf die Seite der Unita geschlagen – auch das Anzeichen einer „verkehrten Welt".
Angolas Zivilgesellschaft hat in den vielen Jahren der Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht gelernt, sich besser zu wappnen. „Wenn wir hier von der Zivilgesellschaft sprechen, beziehen wir uns praktisch auf die ernsthafte Arbeit, die unter anderem von der Mudei-Bewegung geleistet wird", meint der angolanische Politologe Carlos André. Mudei sei professionell, geduldig und verantwortungsbewusst und habe eine parallele Zählung vorgenommen, „die so real und präzise ist, wie sie nicht einmal in Europa unter den dortigen Arbeitsbedingungen und den begrenzten menschlichen Ressourcen erreicht werden könnte." (Club-k.net, 29.8.22)
João Lourenço wurde am 15. September vereidigt. Er wolle ein Präsident für alle Angolaner:innen sein, sagte das Staatsoberhaupt, das in seinem eigenen Wahlkreis in Luanda geschlagen wurde und seine zweite Amtszeit als „lahme Ente" antritt. Doch je näher dieser Termin rückte, desto nervöser wurde das Regime. Anders als 2017 war die Amtseinführungszeremonie nicht öffentlich, der Zugang zu ihr nur auf Einladung möglich. Während rund 15.000 Gäste die Veranstaltung verfolgten, darunter mehrere afrikanische Staatschefs und als einziges europäisches Staatsoberhaupt Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa, ging die Verhaftungswelle gegen die Protestbewegung weiter. Die Unita hat angekündigt, trotz der abgewiesenen Wahlbeschwerde ihre Rolle auf den Oppositionsbänken einzunehmen. Manche der erzürnten Aktivist:innen sehen das als Verrat, sie wollen weiter kämpfen.