Heft 5/2022, Gastkommentar

Progressiver Journalismus hat es schwer

Das Online-Magazin New Frame legt eine Verschnaufpause ein.

Vor vier Jahren hatte sich ein Redaktionsteam aus Johannesburg mit einem progressiven und ambitionierten Online-Magazin auf den Medienmarkt Südafrikas gewagt: „New Frame" (Neuer Rahmen) startete als „eine gemeinnützige Medienpublikation für soziale Gerechtigkeit". Für ihre engagierte Berichterstattung erntete die von Richard Pithouse herausgegebene Zeitschrift viel Anerkennung und Bewunderung. Im Juli diesen Jahres gab die Redaktion plötzlich ihre (vorübergehende?) Schließung bekannt. Die abrupte Ankündigung hat viele überrascht und manche empört, schließlich haben 25 Angestellte von heute auf morgen ihren Broterwerb verloren. Dabei offenbarte sich auch die Verwundbarkeit eines engagierten Projekts, das offensichtlich von der Gunst eines einzigen Geldgebers abhängig ist.

Progressiver Journalismus und dessen Finanzierung liegt auch unserer Redaktion am Herzen, weshalb wir uns entschlossen haben, das Statement der New Frame-Redaktion zu ihrer Schließung hier abzudrucken. Auch wenn wir uns im Klaren darüber sind, dass man das unterschiedliche politische und journalistische Umfeld in Südafrika und hierzulande nicht außer Acht lassen darf: „Jedes Medienprojekt, das einen bescheidenen Beitrag zum Kampf für die Emanzipation leisten will, steht vor Herausforderungen, die über die Notwendigkeit hinausgehen, jeden Monat die Gehaltsabrechnung zu erstellen", wie es im Statement heißt. Die Einstellung von New Frame hinterlässt nicht nur in der südafrikanischen Medienlandschaft eine schmerzliche Lücke, auch wir haben gerne auf Artikel des Online-Magazins, das seine Beiträge unter Creative Commons-Lizenz stellte, zurückgegriffen.

„Wie konnte ein scheinbar schönes Projekt so hässlich enden?", fragt Rebecca Davies in Daily Maverick in einem lesenswerten Beitrag vom 15.7.2022. Sie hat Hintergründe zu finanziellen globalen Interessen auf Führungsebene von New Frame recherchiert:
https://www.dailymaverick.co.za/article/2022-07-15-inside-the-messy-demise-of-new-frame/

New Frame zieht sich zurück

Da wir nicht mehr in der Lage sind, so weiterzumachen wie bisher, legt New Frame heute eine Veröffentlichungspause ein, während wir Optionen für den weiteren Weg erwägen.

Am 16. August 2018, dem sechsten Jahrestag des staatlichen Massakers an streikenden Bergarbeitern in Marikana, haben wir in unserem ersten Leitartikel darauf hingewiesen, dass wir in einer Gesellschaft arbeiten, die Frantz Fanon eine „nicht lebensfähige Gesellschaft, eine zu ersetzende Gesellschaft" nannte. Wir verpflichteten uns, über die Arbeit als Zeugen des Zeitgeschehens hinauszugehen und über mögliche Wege in eine lebensfähige Zukunft nachzudenken, stets im Gespräch mit dem brodelnden Gären in der Gesellschaft.

In einer Zeit, in der die Rechte überall auf der Welt gezielte Unwahrheiten verbreitet, unterstützt durch den Reichtum der besitzenden Klassen und die kleptokratischen Kräfte im ANC, wollten wir uns so nah und sorgfältig wie möglich an eine Arbeit herantasten, die auf Vernunft und Beweise baut.
Im Wissen, dass die Monomanie der oft von Twitter gesteuerten Jagd nach Klicks der Glaubwürdigkeit der Medien so sehr geschadet hatte, hatten wir uns verpflichtet, unsere eigene Messlatte dafür festzulegen, was wir als erzählenswerte Geschichten betrachten. Wir hatten uns dazu entschlossen, uns von der Kakophonie abzuheben.

Das war nicht der einzige Luxus, den wir uns zugestanden haben. Wir waren auch bestrebt, dem Wert des Wortes den gebührenden Stellenwert einzuräumen und daran zu arbeiten, die Prosa – Wort für Wort und Satz für Satz – in Klarheit und Präzision zu gestalten. In dem Bewusstsein, dass Emanzipation unter anderem auch die Verallgemeinerung des Zugangs zur Schönheit bedeutet, versuchten wir, die Ästhetik – in Wort und Bild – ernst zu nehmen. Als wir begannen, mit Soundscapes zu arbeiten, brachten wir dieselben Überlegungen in die Arbeit ein.

Alle Veröffentlichungen beruhten auf einem gewissen Verständnis davon, wie die Welt ist und wie sie sein sollte. Unser Ziel war es, unsere Arbeit in den Werten der besten Traditionen der Linken zu verankern und dem Leben und Kampf der einfachen Menschen gebührendes Gewicht und Würde zu verleihen. Uns war klar, dass wir hofften, die empirisch und analytisch anspruchsvollste Arbeit zu erreichen, die wir im Rahmen eines ergebnisoffenen Engagements für Emanzipation leisten konnten. Es war natürlich unumgänglich, dieses Engagement in der afrikanischen Erfahrung der modernen Welt zu verorten. Da wir wussten, dass wir unsere Arbeit von Johannesburg aus beginnen würden, hofften wir, dass wir uns nach und nach zu einer panafrikanischen Publikation in Bezug auf Reichweite und Ausrichtung entwickeln könnten.
Sicher, wir wussten natürlich, dass einige dieser Hoffnungen in Ermangelung eines tragfähigen Modells für eine nachhaltige Medienfinanzierung ein Anspruch auf Luxus waren, der sich dem Journalismus nur selten bietet.

Kein einfacher Weg nach vorn

Heute, zum zehnten Jahrestag des Massakers von Marikana, hat sich die Krise unserer Gesellschaft im Vergleich zum Beginn von New Frame eindeutig verschärft. Im März dieses Jahres berichtete die Weltbank, dass die reichsten zehn Prozent Südafrikas, häufig Weiße, 80 Prozent des Reichtums des Landes besitzen. Wir sind eine verarmte und gewalttätige Gesellschaft, die von einer krassen, bösartigen und räuberischen wirtschaftlichen und politischen Elite regiert wird. Viele der kolonialen Grundlagen unserer Gesellschaft bleiben unangefochten. Die euro-amerikanischen Mächte, die den Planeten seit mehr als 500 Jahren beherrschen, rüsten auf und bereiten sich auf einen Krieg vor, da sie ihren kommenden Niedergang spüren. Die emanzipatorischen Hoffnungen, die einst Millionen von Menschen in ganz Südafrika antrieb, sind für die meisten Menschen nur noch zerplatzte Träume.

Wenn wir ohne Strom im Dunkeln sitzen und wir die eiskalte Winterluft in unseren Knochen spüren, wissen wir alle, dass es so nicht weitergehen kann. Aber die Kräfte, die auf der politischen Bühne auftauchen, wenn die Glaubwürdigkeit des ANC zusammenbricht, sind häufig selber autoritär und oft räuberisch. Von der Operation Dudula bis zu ActionSA: Fremdenfeindlichkeit – ein reaktionärer Grundpfeiler in weiten Teilen der Welt – steht im Mittelpunkt dieser neuen Politik.

In dieser Krise könnte das Bedürfnis nach einer rationalen öffentlichen Sphäre, die auf moralischer Gleichwertigkeit und der Würde aller Menschen sowie auf der Notwendigkeit beruht, emanzipatorische Möglichkeiten zu erkunden, kaum dringlicher sein.

Es ist nicht einfach, diese Arbeit zu leisten. Es gibt kein kommerzielles Modell, sie aufrechtzuerhalten. Es gibt keine Interessenten in der Öffentlichkeit, die sie in einem tragfähigen Umfang finanzieren können und wollen. Es gibt keine staatlichen Subventionen, die durch die Besteuerung von Big-Data-Unternehmen oder auf andere Weise aufgebracht werden, und selbst wenn es sie gäbe, könnten wir nicht darauf vertrauen, dass sie nach demokratischen Grundsätzen verwaltet würden.

Wenn Mittel für fortschrittliche Projekte und Anliegen zur Verfügung stehen, dann könnte jeder Rand, der in die Förderung der Medien gesteckt wird, auch für andere Dimensionen des Kampfes für eine gerechtere Welt ausgegeben werden, einschließlich der Unterstützung für die Menschen an der Widerstandsfront. Medien sind, relativ gesehen, sehr, sehr teuer.

Geberfinanzierung kann von unschätzbarem Wert sein, aber sie kann keine nachhaltige Lösung sein. Sie mag den Moment beflügeln oder vielleicht als Überbrückungshilfe dienen, aber Institutionen, die Generationen überdauern, lassen sich damit nicht errichten.

Ein Teil der strukturellen Probleme, mit denen der Journalismus zu kämpfen hat und über den oft und zu Recht gesprochen wird, ist die Vereinnahmung der öffentlichen Infrastruktur durch Big Tech-Unternehmen. Ein anderer Teil, über den weniger oft gesprochen wird, ist das Fehlen einer gut organisierten demokratischen Massenpolitik, die über Abonnements oder Mitgliedsbeiträge ihre eigenen Medien schaffen könnte. In der Vergangenheit sind auf diese Weise viele großartige Publikationen entstanden.

Beachtliche Erfolge

Jedes Medienprojekt, das einen bescheidenen Beitrag zum Kampf für die Emanzipation leisten will, steht vor Herausforderungen, die über die Notwendigkeit hinausgehen, jeden Monat die Gehaltsabrechnung zu erstellen. Es gibt vieles, was wir nicht geschafft haben, und vieles, was wir nicht so gut gemacht haben, wie wir sollten. Wenn dringliche Deadlines in der Redaktion anstehen, ist es nicht immer leicht, dem Gewicht vorherrschender Ideen etwas entgegenzusetzen. Nichtsdestotrotz sind wir stolz auf unsere geleistete Arbeit und darauf, dass wir als engagierte Journalist:innen und Herausgeber:innen zu einem breiten Spektrum von Publikationen zu sozialer Gerechtigkeit beitragen konnten.

Wenn der von uns geschaffene Raum es einem streikenden Arbeiter oder einer Gemeindeaktivistin an vorderster Linie des Kampfes ermöglicht hat, mit Würde aufzutreten, als Person unter anderen Menschen zu erscheinen, dann sind wir mit unserer Arbeit zufrieden. Unsere Arbeit zu Themen wie Fremdenfeindlichkeit, politische Unterdrückung, Arbeit und vieles mehr ist ein wertvoller Beitrag für die Öffentlichkeit.

Wir haben wichtige Analysen geleistet, die literarische Kultur unserer Gesellschaft durch eine konsequente Beschäftigung mit neuen Büchern gefördert und unser kollektives Gedächtnis durch die Veröffentlichung von Essays, Reden und mehr aus dem Archiv bereichert.

Im Juli letzten Jahres wurden Magnificent Mndebele und Cebelihle Mbuyisa in Eswatini verhaftet und gefoltert, als sie – im Übrigen hervorragend – über den Aufstand gegen die Monarchie berichteten. Wir haben ihren Mut damals gewürdigt, und wir ehren ihn auch heute.

Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass Leute wie Angela Davis, Noam Chomsky und Robin D.G. Kelley es für lohnenswert hielten, ihre Zeit in Interviews mit New Frame zu investieren. Wir haben uns darüber gefreut, Arbeiten von Autoren wie Achille Mbembe, Paul Gilroy, Lewis Gordon, Pumla Gqola, Sylvia Wynter und vielen anderen veröffentlichen zu können. Wir wussten, dass wir etwas richtig machen, als wir sahen, wie unsere Arbeit in diversen sozialen Netzwerken geteilt wurde, insbesondere in WhatsApp-Gruppen, die von Basisaktivist:innen und Gewerkschaftern genutzt werden.

Sehr gefreut hat uns auch, dass unser lang gehegtes Bestreben, in mehreren Sprachen zu veröffentlichen, in den letzten Monaten in Erfüllung gegangen ist und wir regelmäßig Artikel in verschiedenen südafrikanischen Sprachen sowie in Kisuaheli veröffentlicht haben. Wir bedauern jedoch, dass wir nicht mehr Arbeiten von Basisaktivist:innen und Gewerkschaftern publizieren konnten.

Wir haben knapp 5.000 Artikel und Podcasts veröffentlicht. In etwas weniger als vier Jahren haben mehr als fünf Millionen Menschen unsere Arbeit gelesen oder angehört. Im August letzten Jahres wurden unsere Artikel und Podcasts in einem Monat knapp eine halbe Million Mal gelesen und angehört. Diese Zahlen stürzten ab, als Facebook seinen Algorithmus änderte, und wie bei vielen anderen unabhängigen linken Publikationen hatten auch unsere besten Arbeiten oft Mühe, das Publikum zu finden, das sie verdient hätten. Plötzlich wurde ein Artikel, der zuvor von Zehntausenden von Menschen gelesen worden war, nur noch von ein paar Hundert Menschen gelesen.

Bekräftigung

Die öffentlichen Unterstützungsbekundungen für unsere Arbeit im Laufe der Jahre und zu Beginn dieser Krise für unsere Publikation haben uns sehr bewegt. In einem unaufgefordert gelieferten öffentlichen Kommentar beschrieb Achille Mbembe New Frame als „eines der aufregendsten politischen, intellektuellen und kulturellen Projekte, die in Afrika entstanden sind" und „die wohl beste intellektuelle Medienplattform auf unserem Kontinent".

Sisonke Msimang schrieb: „New Frame ist eine der lebendigsten Stimmen im Globalen Süden. Seine meisterliche Fähigkeit im Verfassen langer Texte, die ebenso dringlich wie nachdenklich sind, ist unvergleichlich. Vor allem aber tut New Frame das, was sein Name sagt: Es bietet einen notwendigen neuen Rahmen, um über althergebrachte Probleme nachzudenken."

S'bu Zikode kommentierte kürzlich: „Wir haben erlebt, wie Journalist:innen von New Frame sich Zeit genommen und unseren Gemeindemitgliedern mit viel Respekt und Würde aufmerksam zugehört haben. Aus diesem Grund bezeichnen wir New Frame als das Medienhaus des Volkes."

Aus dieser Bestätigung für das, was wir getan haben, schöpfen wir heute Mut und treten zurück, um zu überdenken und uns vielleicht neu aufzustellen. Wir danken all den vielen Menschen, die mit solcher Hingabe daran gearbeitet haben, New Frame so weit zu bringen. Für viele von uns war es eine Herzensangelegenheit.

Angesichts der vor uns liegenden Ungewissheiten schließen wir alle in unsere Herzen, die mit und bei New Frame gearbeitet haben. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um einen Weg zu finden, unsere Arbeit fortzusetzen.

Wir werden uns entlang des Weges wiedersehen.

Übersetzt aus dem Englischen aus New Frame, 4. Juli 2022
https://www.newframe.com/new-frame-steps-back/