Heft 5/2022, afrika süd-dossier: Glaube und Religion

Religion und Nachhaltigkeit

PERSPEKTIVEN AUS DEM SÜDLICHEN AFRIKA

Von Philipp Öhlmann und Juliane Stork

Die Bilder von ausgetrockneten Flüssen und brennenden Wäldern sind uns diesen Sommer allgegenwärtig. Die Hitze und Dürre in Europa zeigen einmal mehr, dass der Klimawandel die Erde aus den Fugen zu werfen droht. Überall in der Welt sind die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung mittlerweile spürbar. Extreme Wetterereignisse wie Dürreperioden, Regenzeiten, Stürme und Überschwemmungen nehmen zu, mit vielerorts drastischen Folgen. Veränderungen von Temperatur und Niederschlag stellen die Menschen vor ungeahnte Herausforderungen.

Grundlegender Wandel erforderlich

Das südliche Afrika ist eine besonders vom Klimawandel betroffene Region. So wird erwartet, dass sich die Temperatur in der Zone deutlich über den globalen Durchschnitt hinaus erhöhen wird. Nach den gegenwärtigen Klimaprognosen muss dort bis zum Ende des Jahrhunderts mit einem Temperaturanstieg um drei bis vier Grad gerechnet werden. Das bedeutet für die Region unter anderem das Ende der Landwirtschaft in ihrer gegenwärtigen Form, wie der südafrikanische Klimawissenschaftler Francois Engelbrecht hervorhebt. Derartige Temperaturveränderungen können sowohl Tierzucht als auch Ackerbau in vielen Gegenden gänzlich unmöglich machen. Gleichzeitig warnt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), dass Afrika über geringe Anpassungskapazitäten verfügt und daher eine besondere Vulnerabilität gegenüber den Auswirkungen der Klimaveränderungen besteht.

Angesichts dieser fundamentalen globalen Herausforderungen bedarf es einer grundlegenden sozioökologischen Transformation. Entsprechend räumen die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ökologischen Dimensionen einen hohen Stellenwert ein. Grundlegend für eine solche Transformation hin zur Nachhaltigkeit ist eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fundierte Politik, die Leitlinien setzt, die zukunftsorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen schaffen. Doch ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel, wie er angesichts der Klimakrise erforderlich ist, braucht mehr als nur die richtige Politik. Sozioökologische Transformation kann nur gelingen, wenn sie von einer radikalen Bewusstseins- und Verhaltensumstellung und einem grundlegenden Paradigmenwechsel begleitet und fundiert wird.

Religion und Bewusstseinswandel

An dieser Stelle kommt die Religion ins Spiel. Religiöse Gemeinschaften gehören zu den Akteuren, die gesellschaftlichen Bewusstseinswandel befördern können. Das ist gerade im Globalen Süden der Fall, wo der Glaube häufig eine hohe Relevanz sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben besitzt. So geben in den Ländern südlich der Sahara neun von zehn Menschen an, dass Religion in ihrem Leben sehr wichtig sei. Zudem stellen religiöse Gemeinschaften mit die wichtigsten sozialen Dienstleister und Entwicklungsakteure vor Ort dar. Ihre Strukturen reichen oft bis in die entlegensten Gegenden.

Wo immer man hinkommt, sind Religionsgemeinschaften bereits da. Sie erreichen Menschen in verschiedenen Regionen, sozialen Schichten, kulturellen Einheiten und Altersgruppen. Gleichzeitig sind sie oft einflussreich in öffentlichen Diskursen und in den Medien. Sie beeinflussen soziale und kulturelle Wertvorstellungen und prägen die Weltsicht der Menschen. Dabei ist der Einfluss von Religion nicht zwangsläufig positiv, sondern kann je nach Kontext unterschiedliche Formen und Zielrichtungen annehmen. In jedem Fall aber muss mit dem Soziologen Shmuel Eisenstadt konstatiert werden, dass gerade im südlichen Afrika Religion ein grundlegendes „transformatives Potenzial" innewohnt – die „Kapazität zur religiösen oder ideologischen Legitimierung der Entwicklung neuer Motivationen, Aktivitäten und Institutionen". Die Agenda 2063, eines der gegenwärtig wichtigsten Rahmendokumente der Afrikanischen Union, hebt daher auch die Rolle von Religionsgemeinschaften hervor: „Religiöse und spirituelle Glaubensvorstellungen ... spielen eine fundamentale Rolle in der Konstruktion der afrikanischen Identität sowie in sozialen Interaktionen."

Aufgrund dieses transformativen Potenzials ist Religion auch ein wichtiger Faktor für den sozialökologischen Wandel von Gesellschaften und eine Veränderung des Bewusstseins hin zur Nachhaltigkeit. Dieses Potenzial machen sich mittlerweile auch die Vereinten Nationen zu Nutze: So rief das UN-Umweltprogramm vor einigen Jahren die „Faith for Earth Initiative" ins Leben. Ziel ist die Zusammenarbeit mit allen Religionen zur Förderung von Nachhaltigkeit, Umweltschutz und der Bekämpfung von Biodiversitätsverlust und des Klimawandels.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich auch Religionsgemeinschaften seit einigen Jahren verstärkt Fragen von Nachhaltigkeit, Klima und Umwelt zuwenden. So zeigte eine global angelegte Befragung des Forschungsbereichs „Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung" der Humboldt-Universität zu Berlin von über 1200 Religionsleitenden, dass selbst inmitten der Corona-Pandemie mehr als zwei Drittel der Befragten Umweltschutz als eine der höchsten Prioritäten ansahen.

An vielen Stellen zeigt sich hier eine (im wissenschaftlichen Kontext oft unter dem Stichwort der ergrünenden Religionen verhandelte) ökologische Wende, die auch in den Religionsgemeinschaften des südlichen Afrikas immer mehr an Fahrt aufnimmt.

Ökologische Nachhaltigkeit

Ein wichtiges Beispiel ist die Bewegung der Green Anglicans, die sich innerhalb der Strukturen der anglikanischen Kirche und öffentlichkeitswirksam darüber hinaus für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Aber auch in anderen Kirchen sind in dieser Hinsicht dynamische Prozesse zu beobachten. Auch in unabhängigen und pentekostalen Kirchen erfährt das Thema ökologische Nachhaltigkeit zunehmend Beachtung. Ein Beispiel hierfür ist die mit 15 Mio. Mitgliedern größte Kirche des südlichen Afrika, die Zion Christian Church. Ihr Bischof, Dr. Barnas Lekganyane, einer der einflussreichsten Kirchenleitenden des südlichen Afrikas, hielt 2019 eine vielbeachtete Rede, in der er Regierung, Wirtschaft und Kirchen dazu aufrief, sich für Umweltschutz einzusetzen. Der Bischof erhob die Bewahrung der Schöpfung zu einer Frage der Erlösung: „Unsere Erlösung hängt von unserer Fähigkeit ab, zu zeigen, dass wir uns um das kümmern können, was Gott uns anvertraut hat." – Ein bemerkenswertes und angesichts der Bedeutung der Kirche wirkungsvolles Statement. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von aus Religionsgemeinschaften hervorgehenden ökologischen Basisinitiativen und Bewegungen. Ein wichtiges Beispiel ist das Southern African Faith Communities' Environment Institute (SAFCEI), einer interreligiösen Umwelt-NRO, die gemeinsam mit Vertreter:innen der Religionsgemeinschaften Klimawandel und Umweltschutz thematisiert.

Die Forschung im Bereich Religion und Ökologie weist zudem auf die Bedeutung traditioneller afrikanischer Religion für den Umweltschutz hin. Die dieser Religion (wie auch vielen anderen) inhärente spirituelle Grundüberzeugung geht davon aus, dass die materielle und spirituelle Welt untrennbar miteinander verwoben sind und sich wechselseitig beeinflussen. In Bezug auf die natürliche Umwelt geht dies einher damit, dass bestimmte Orte, Flüsse, Wälder und Berge als heilig angesehen werden oder aus religiösen Gründen nicht betreten werden dürfen. Zum anderen existieren zahlreiche religiöse Tabus, die sich auf die natürliche Umwelt beziehen, wie beispielsweise das Verbot Tiere zu erlegen, die Jungtiere haben, oder bestimmte Bäume zu fällen. So bieten gerade traditionelle religiöse und kulturelle Normen in Bezug auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vielerlei Ansatzpunkte, die ganz von selbst auf die sozialökologische Transformation hinzuweisen scheinen und deren Potenzial noch lange nicht hinreichend erforscht oder ausgeschöpft ist.

Der Autor ist Feodor Lynen-Forschungsstipendiat am Department of Theology and Religious Studies der University of Botswana und Ko-Leiter des Forschungsbereichs Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religion, Entwicklung und Nachhaltigkeit im südlichen Afrika.

Die Autorin ist ev. Theologin und John S. Mbiti Research Fellow am Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung der Humboldt-Universität zu Berlin. Für ihre Doktorarbeit forscht sie zum Thema „Theological reactions to Climate Change in African Initiated Churches in South Africa".

Dieser Artikel fußt auf der Studie „Religious Communities as Actors for Ecological Sustainability in Southern Africa and Beyond", die unter folgendem Link abgerufen werden kann: https://doi.org/10.18452/23587.

Zitate übersetzt aus dem Englischen.