Heft 5/2022, afrika süd-dossier: Glaube und Religion

Von göttlicher Berufung und Emanzipation

KIRCHENGRÜNDERINNEN IN AFRIKA. Als religiöse Autoritäten geachtet bringen sie ihre innovativen Perspektiven in Bezug auf Rollenbilder und Tradition in Konflikte mit ein.

Von Marie-Luise Frost

Obwohl Frauen in nahezu allen Kirchen, unabhängig von ihrer konfessionellen Ausrichtung, die Mehrheit der Mitglieder stellen, sind sie kaum in leitenden Positionen vertreten. Gleichzeitig ist es besonders bemerkenswert, dass Frauen in verschiedenen Ländern Afrikas bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eigene Kirchen gegründet haben, die teilweise bis heute bestehen. Ihre Kirchen gehören zu den African Initiated Churches, also solchen Kirchen, die in Afrika von Afrikaner:innen gegründet (initiiert) wurden und nicht Teil einer durch Mission entstandenen Kirche sind.

Ihre Legitimierung als Gründerinnen bezogen (und beziehen) Frauen dabei nicht aus einer theologischen Ausbildung oder einer festgelegten Nachfolgeregelung, sondern aus ihrer Erfahrung der göttlichen Berufung. Diese Berufung wird häufig als Prozess beschrieben, in dem verschiedene spirituelle Erfahrungen, wie Visionen, Träume oder Trancezustände, die Auserwählung bestätigen. Nicht zuletzt bezeugen auch die Gläubigen, die sich den Gründerinnen anschließen, die Glaubwürdigkeit der Berufung und der damit einhergehenden Autorität.

Auch Männer werden auf diese Weise zu Kirchengründern. Gerade im Hinblick auf Frauen zeigen historische Beispiele und Interviews1, die ich 2017 mit Kirchenleitenden in Nigeria geführt habe, jedoch, dass die göttliche Berufung auch eine emanzipative Dimension hat, indem sie den Frauen die Möglichkeit gibt, soziale und religiöse Traditionen zu hinterfragen und ihre eigenen Rollen neu zu definieren.

Den Anfang machte Dona Beatriz

Der früheste bekannte Fall ist der von Kimpa Vita (1684–1706), auch bekannt unter ihrem Taufnamen Dona Beatriz, im damaligen Königreich Kongo (entspricht Teilen der heutigen Staaten Angola, DR Kongo und Republik Kongo). Im Alter von 20 Jahren wurde sie von einer schweren Krankheit getroffen, an der sie beinahe gestorben wäre. Zeitgenössischer Überlieferungen zufolge nahm im Verlauf der Krankheit der Geist des Hl. Antonius Besitz von ihr und trug ihr auf, zu predigen und das vom Bürgerkrieg (1665–1709) gezeichnete Land wiederaufzubauen.

Dona Beatriz war als Medium ausgebildet worden, dessen Aufgabe es war, Konflikte in der Gemeinschaft zu lösen. Dazu gehörte auch die Fähigkeit, Wesen einer anderen Welt durch sich sprechen zu lassen. Dass dieses Wesen jedoch ein christlicher Heiliger war, zeigt, wie sich hier Elemente traditioneller afrikanischer Religionen mit denen des Christentums mischen.

Trotz ihres jungen Alters schlossen sich ihr bald tausende Gläubige an, die ihre Autorität anerkannten: die sogenannten Antonianer. Dona Beatriz engagierte sich nicht nur gegen den Bürgerkrieg, sondern auch gegen den Sklavenhandel, und warf der Katholischen Kirche vor, ihre Anhänger nicht genügend vor der Verschleppung in die Sklaverei zu schützen. Sie wollte ein neues Christentum errichten – mit Heiligen mit schwarzer Hautfarbe. Schnell machte sie sich sowohl die politische als auch die religiöse Elite zum Feind. 1706 wurde sie unter dem Vorwurf der Hexerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Wie Dona Beatriz waren viele der Kirchengründerinnen des frühen 20. Jahrhunderts bei ihrer Berufung noch sehr jung. Außerdem lebten viele von ihnen in prekären Umständen, waren verwitwet oder kinderlos, was auch heute noch zu sozialer Ausgrenzung führen kann. Witwen sind häufig von Armut und teilweise auch von gewaltsamen sogenannten Reinigungsritualen betroffen. Durch ihre göttliche Berufung erlangten die Frauen religiöse Autorität, die es ihnen ermöglichte, ihre soziale Lage vollkommen neu zu interpretieren und aus gesellschaftlich marginalisierten Positionen zu geachteten Kirchenleiterinnen aufzusteigen. Kinderlose Frauen wurden zu „Müttern" einer Gemeinde. Mutter („mother") oder Ma ist in vielen afrikanischen Ländern bis heute eine respektvolle Anrede für Frauen und ein Titel, den viele Kirchengründerinnen tragen. Einige nutzten die gewonnene Autorität auch, um explizit gegen frauenfeindliche Praktiken, wie z.B. die Witwenvererbung, bei der ein Bruder des Verstorbenen die Witwe als Ehefrau übernimmt, zu predigen. Diese Praxis geht häufig mit sexueller Gewalt einher.

Zum Heilen befähigt

Auffallend viele Kirchengründerinnen erhielten ihre Berufung im Verlauf einer starken Erkrankung. Auch Berichte von Tod und Auferstehung sind dabei keine Seltenheit. Hier zeigt sich erneut ein Zusammenspiel der Religionen. Während eine lange Krankheit in verschiedenen traditionellen afrikanischen Religionen als Zeichen der Auserwählung als Medium gedeutet werden kann, bilden Tod und Auferstehung ein zentrales Element des Christentums.

Zudem wird hier die Umdeutung der eigenen Situation besonders deutlich. Der Zustand schwerer Krankheit, der mit Hilflosigkeit und absoluter Abhängigkeit von anderen einhergeht, wird zum Moment besonderer Erkenntnis und der Auserwählung zur anerkannten, leitenden Person. Zudem wurden viele der Frauen nicht nur geheilt, sondern selbst zum Heilen befähigt.

Ein Beispiel ist Ma Christinah Nku (1894–1988), Gründerin der St. John's Apostolic Faith Mission in Südafrika. Sowohl die Berufung zur Kirchengründerin als auch die zur Heilerin erhielt sie im Zuge von Nahtoderfahrungen. Ihre 1939 gegründete Kirche ist heute über die Grenzen Südafrikas hinaus verbreitet. Trotz der Autorität, die sie als Kirchengründerin und Heilerin innehatte, gab Nku leitende Funktionen an ihren Mann ab und führte auch keine Frauenordination ein.

Ähnlich verhielt sich Agnes Okoh (1905–1995), die 1947 in Nigeria die Christ Holy Church gründete. Sie besaß nicht nur keine theologische Ausbildung, sondern konnte auch weder lesen noch schreiben. Das hinderte sie jedoch nicht daran, nach ihrer Berufung predigend durch das Land zu ziehen. Sie führte ebenfalls keine Frauenordination ein und spendete auch selbst keine Sakramente. Bis heute ist die Erinnerung an sie in der Kirche sehr präsent. Ihr Enkel und heutiger Leiter, Most Rev. Daniel Okoh, sieht es als besonderes Merkmal seiner Kirche, dass sie von einer Frau gegründet wurde. Ihr zurückhaltendes Verhalten beschreibt er als „weise" angesichts der Kultur der damaligen Zeit.

Auch in der Literatur wird etwa das gemeinsame Leiten einer Kirche durch die Gründerin und ihren Mann oder einen anderen männlichen Co-Leiter teilweise als Strategie gesehen, um patriarchalen Vorbehalten gegen Frauen in führenden Positionen entgegenzuwirken. Wie Agnes Okoh und Christinah Nku etablierten viele der Gründerinnen keine Leitungspositionen für Frauen. Die meisten der von Frauen gegründeten Kirchen werden inzwischen von Männern geleitet. Man kann sich darüber streiten, ob es sich dabei um eine aktive Entscheidung der Gründerinnen handelte oder ihnen schlicht keine andere Wahl blieb.

Rev. Abdulsalami war auch Kirchenleiterin

Eine besonders bemerkenswerte Geschichte in diesem Zusammenhang ist die von Rev. Atinuke Abdulsalami, die als Muslima in Nigeria aufwuchs. Ähnlich wie Kirchengründerinnen, die Krankheit, Tod und Auferstehung erlebten, wurde sie während einer außerkörperlichen Erfahrung im Rahmen einer Operation 1993 zur Christin und gründete zwei Jahre später die Divine Salvation Bible Church. Anders als bei anderen Frauen brachte ihre Berufung Rev. Abdulsalami nicht nur dazu, eine Kirche zu gründen, sondern auch dazu, diese alleine zu leiten. „Ich bin dem Herrn Jesus Christus begegnet", sagt sie im Interview. „Warum sollte ich einen Mann brauchen, um mir zu helfen, jemandem zu erzählen, wie ich Jesus getroffen habe?"

Rev. Abdulsalami legitimiert ihre leitende Position auch mit ihrer Unabhängigkeit von kirchlichen Doktrinen, die mit ihrer göttlichen Berufung einhergeht. In einem Heft zur Entstehungsgeschichte der Kirche schreibt sie: „Gott nutzt wen er will, so einfach ist das. Was mich angeht, ich bin eine Zeugin. Und ich unterstehe keinem Gesetz (Doktrin), also kann mich niemand daran hindern, darüber zu reden, was der Erlöser für mich getan hat."

So deutliche Formulierungen sind selten. Kirchengründerinnen fordern Emanzipation nicht explizit und als umfassenden strukturellen Wandel ein. Aber ihre Geschichten machen deutlich, dass sie durch ihre göttliche Berufung eine Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen und religiösen Doktrinen sowie eigene religiöse Autorität erlangen, mit der sie alternative Deutungsmöglichkeiten der eigenen Situation begründen und bestehende Rollenzuschreibungen infrage stellen. Es bleibt abzuwarten, ob aktuelle und zukünftige Kirchengründerinnen ihre Autorität nutzen, um in ihren Kirchen Strukturen zu etablieren, die für Frauen in leitenden Positionen offen sind.

1. Die Interviews fanden im Rahmen des Forschungsprojekts „Potenziale der Zusammenarbeit mit African Initiated Churches für nachhaltige Entwicklung" des Forschungsprogramms Religiöse Gemeinschaften und Nachhaltige Entwicklung statt, das mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt wurde.

Die Autorin studierte Religionswissenschaft und Regionalstudien Asien/Afrika in Potsdam, Berlin, Lausanne und Oslo und arbeitet seit 2015 im Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Forschungsinteresse gilt der Rolle von Frauen in African Initiated Churches, also Kirchen, die in Afrika von Afrikaner:innen gegründet wurden (und werden) und nicht Teil durch Mission entstandener Kirchen sind.

Mehr Informationen zu dem Thema Kirchengründung und Emanzipation: https://www.rcsd.hu-berlin.de/de/publikationen/pdf-dateien/dp_2022-01_i-got-the-call-not-him2014founding-an-african-initiated-church-as-an-act-of-emancipation.pdf