Heft 5/2022, Namibia: Restitutionsdebatte

Wenn Restitution als Leihgabe gelabelt wird

Die Kontroverse um die Rückgabe von 23 Objekten aus dem Ethnographischen Museum Berlin an Namibia im Mai 2022 als Leihgabe zeigt die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen dem Gobalen Norden und Süden. Es scheint Missverständnisse bezüglich des Projekts gegeben zu haben, die dazu führten, dass die Kulturgüter schließlich als unbefristete Leihgabe und nicht einfach als repatriierte Artefakte nach Namibia zurückgegeben wurden und sich nun im Nationalmuseum von Namibia befinden. Es wird Zeit, dass Länder wie Namibia selbst über die Bedingungen der Restitution bestimmen.

Von Goodman Gwasira und Ndapewa Fenny Nakanyete

Das 2019 entwickelte multi-institutionelle und bi-nationale Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures" hat 23 Kulturgüter, darunter Puppen, Schmuck, Kleidung, Haarteile und andere Accessoires, von Deutschland nach Namibia zurückgegeben. Eines der Projektziele war es, sich an neue Methoden der Restitution zu wagen, die dann bei der Rückgabe weiterer Kulturgüter reproduziert werden können. Es ist wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Entwicklung des Projekts zeitlich mit der Veröffentlichung des bahnbrechenden Berichts von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy, „The Restitution of African Cultural Heritage: Toward a New Relational Ethics" (2018) zusammenfiel. Der französische Präsident Emmanuel Macron beauftragte die beiden mit der Ausarbeitung einer Strategie für die Rückführung afrikanischer Artefakte. Lange zuvor gab es jedoch bereits eine Reihe von Rückführungen aus Deutschland nach Namibia, zu denen auch menschliche Überreste gehörten, die während des 1904-1908 in Namibia geführten Krieges auf unethische Weise gesammelt wurden. Historiker:innen zufolge kamen der Krieg und das Töten einem Völkermord gleich. Diese Einstufung wurde schließlich im vergangenen Jahr auch von der deutschen Regierung anerkannt.

Die Veröffentlichung des Berichtes von Sarr und Savoy läutete eine interessante Ära in den kulturellen und politischen Beziehungen zwischen den ehemals kolonisierten Gebieten und ihren ehemaligen Kolonisatoren ein. Eine Ära, in der es möglich wurde, Museologie auf eine facettenreiche Weise neu zu denken und asymmetrische Machtverhältnisse zwischen den ehemals Kolonisierten und den ehemaligen Kolonisatoren aufzudecken und aufzuarbeiten. Die Entkolonialisierung der Museumspraxis wurde zu einem Schlagwort.

Das Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures"

In diesen spannenden Zeiten startete auch das Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures: Collaborative Conservation and Knowledge Production of the Historical Collections from Namibia held at the Ethnological Museum Berlin and the National Museum of Namibia" mit einer großzügigen Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung.

Die am Projekt beteiligten Institutionen sind die Museums Association of Namibia, das Ethnologische Museum Berlin, das National Museum of Namibia und die University of Namibia. Das Projekt lief unter der wissenschaftlichen Leitung des Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) an der Humboldt Universität in Berlin an. Ziel war es, „gefährdetes kulturelles Erbe durch gemeinschaftliche Konservierung, Provenienzforschung und kreative Wissensproduktion unter Nutzung der historischen Sammlungen aus Namibia im Ethnologischen Museum Berlin und im National Museum of Namibia, Windhoek, zu erhalten". Das facettenreiche Projekt schuf somit eine Gelegenheit zur Wissensproduktion durch das Museum unter Verwendung der zurückgegebenen Objekte. Zu den wichtigsten Fragen, die im Zusammenhang mit der Rückführung aufgeworfen wurden, gehören: (i) wie die Objekte nach der Rückgabe verwendet werden, (ii) an wen sie zurückgegeben werden und welche Bedeutung sie haben, und (iii) wie gut Namibia für ihre Bewahrung ausgerüstet ist. Das Projekt trug diesen Bedenken Rechnung und sah einige Aktivitäten vor, wie z. B. die Ausbildung lokaler Experten in den Bereichen Museumskonservierung und Provenienzforschung. Einige Workshops wurden sowohl in Namibia als auch in Deutschland durchgeführt, was zu einem Austausch von Konservierungstechniken und Wissen aus beiden Ländern führte. Es ist wichtig, hier zu betonen, dass traditionelle Formen ebenso nützlich und wichtig sind wie die „wissenschaftlichen Praktiken" der Konservierung. Es wurde also von Anfang an anerkannt, dass Expert:innen aus beiden Ländern in beiden Konservierungsansätzen ausgebildet werden müssen.

Dekolonisierung musealer Praktiken

Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Restitutions- und Provenienzforschung, die im Rahmen des Projekts behandelt wurde, ist die Frage, wer die Wissensproduktion antreibt. Eindeutig war, dass Deutschland nicht mehr das Zentrum der Wissensproduktion über namibische Kulturgüter sein sollte, während Namibia bloß ein Feld für die Sammlung von Rohdaten darstellt. Die Entkolonialisierung der Museumspraxis erfordert, dass die ehemaligen Kolonien Wissen auf der Grundlage ihrer eigenen einheimischen Wissenssysteme produzieren. Eine der größten Herausforderungen der Provenienzforschung in Europa besteht darin, dass sie, wenn sie nicht in Kooperation durchgeführt wird, die kolonialen Beschreibungen von Objekten wiederholt und damit Kolonialität reproduziert.

Im Fall dieses Projekts bedeutet Provenienzforschung, die Grenzen der Wissensproduktion durch die Kartierung von Wissensstandorten in Namibia zu erweitern. Studierende der Universität Namibia erforschten dabei die zurückgegebenen Kulturgüter, um mehr über ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion zu erfahren. Dafür befragten sie Älteste aus den Gemeinschaften, in denen die Objekte hergestellt und benutzt wurden. Bei der Auswahl der Objekte wurden die Vertreter der Gemeinschaften umfassend einbezogen. Neben dem Wissen, wie die Objekte gesammelt wurden und wie sie in das Ethnologische Museum Berlin gelangten, versuchten die Studierenden zu verstehen, wofür die Objekte verwendet wurden und welche Bedeutung sie hatten, bevor sie nach Deutschland überführt wurden. Ein solcher Ansatz erweitert die Praxis der Provenienzforschung und wertet das von Afrikaner:innen produzierte Wissen auf. So werden afrikanische Gemeinschaften von ethnografischen Informanten zu Wissensproduzenten. Und auch die Kreativwirtschaft Namibias hatte Interesse an dem Projekt. Sie ließ sich von Techniken inspirieren, die es in den Gemeinschaften heute nicht mehr gibt und die nun wiederentdeckt wurden.

Wichtig war ebenfalls der Einbezug von Objektbiografien. Wie so viele während der Kolonialzeit gesammelte Kulturgüter wurden auch in Namibia zahlreiche Objektbestände getrennt, bevor sie das Land verließen. Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Gegenstände, die einst zusammengehörten, in Deutschland in separaten Museen landeten. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass einige in das Landesmuseum Windhoek gelangten. Die Forschung hierzu ist noch nicht abgeschlossen.

Wie das Wort „Leihgabe" ins Spiel kam

Die Rückgabe von Kulturgütern und ihre Modalitäten ist zu einem höchst umstrittenen Thema geworden. In Namibia wurden seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 mehr als 12 Fälle von Restitution gezählt. Bei einigen handelt es sich um prominentere Rückgaben, wie die der 20 Schädel, die aus dem Kontext des Völkermords von 1904-1908 stammen und die 2011 zurückgegeben wurden. Andere sind weniger bekannt, aber dennoch sehr wichtig, wie die Rückgabe von Felskunstabzeichnungen der Universität Köln im Jahr 2005 und die Militärarchive aus Südafrika. Zudem gab es auch private Rückgaben von menschlichen Überresten von Personen, die während des Befreiungskrieges im Exil gestorben waren. Einige Rückgaben hingegen hatten eher symbolischen Charakter, etwa die Rückgabe von Erde aus den Massengräbern von Cassinga in Angola und Oshatotwa in Sambia, die auf dem National Heroes' Acre in Windhoek beigesetzt wurden. Die Kritik an der neusten Rückgabe innerhalb des vorgestellten Projektes hat aber folgenden Ursprung:

Etwa eine Woche vor ihrer tatsächlichen Ankunft in Namibia wurde die Rückführung der 23 Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin auf einer Pressekonferenz in Berlin angekündigt. In einer anschließenden Frage-Antwort-Runde tauchte in einer der Antworten plötzlich der Begriff „Leihgabe" auf. Obwohl er in der offiziellen Pressemitteilung nicht vorkam, griffen Medien aus aller Welt diese Formulierung auf. Aber handelte es sich tatsächlich um eine Leihe? Würde Namibia dem zustimmen? Die wichtigste Frage, die die Journalist:innen nicht gestellt haben, ist, ob Namibia ein offizielles Dokument unterzeichnet hat, in dem die Rückgabe als Leihe bezeichnet wird. Diese unbeabsichtigte Verwendung des Begriffs „Leihe" hat sowohl in Namibia als auch in der ganzen Welt für große Unruhe gesorgt. Für uns als Wissenschaftler:innen und Praktizierende der Dekolonialisierung war dies eine Lektion in der Wahl der Terminologie. Welche Lehren können wir daraus ziehen?

Wir argumentieren, dass die Verwaltung des Kulturerbes in Namibia den Zweck der Politiken und Richtlinien anerkennen muss, die den Rückführungs- und Restitutionsprozess leiten werden. Es ist wichtig, dass der Diskurs und die Praxis der Rückführung und Restitution durch nationale Rahmenwerke geleitet werden. Länder wie Deutschland haben einen „Verhaltenskodex für Museen zum Umgang mit Artefakten, die in einem kolonialen Kontext erworben wurden, einschließlich Richtlinien für die Provenienzforschung und die Reaktion auf Restitutionsansprüche" (Hickley in The Art Newspaper, 16.5.2018) entwickelt. Damit der Globale Süden gleichberechtigt teilnehmen und verhandeln kann, bedarf es daher unbedingt politischer Maßnahmen und Richtlinien, die Rückführungs- und Restitutionsprozesse unterstützen. Derzeit gibt es in Namibia nur einen Entwurf der „Richtlinien für den Umgang mit und die Verwaltung von repatriierten menschlichen Überresten und zugehörigen Objekten namibischer Herkunft im Museum". Diese Richtlinien sind nur am Ende des Rückführungsprozesses anwendbar und geben dem Land keine Anleitung, wie es Objekte aus dem Ausland einfordern oder anfordern kann. Die aktuellen Richtlinien konzentrieren sich speziell auf Objekte, die mit menschlichen Überresten in Verbindung stehen. Daher sind sie nicht auf andere Formen der materiellen Kultur anwendbar, die nicht aus Kontexten von Tod oder Gewalt stammen.

Bei der Rückführung von geraubten Objekten müssen die Maßstäbe verschoben werden. Der Globale Süden muss die Macht haben, den Diskurs zu definieren und zu lenken. Ohne entscheidende nationale Richtlinien bleibt es jedoch schwierig, sich als gleichberechtigter Partner des Globalen Nordens an den Rückführungs- und Restitutionsprozessen zu beteiligen. Der Status quo, bei dem der Globale Norden entscheidet, was, wann und unter welchen Bedingungen repatriiert wird, wird sich in Ermangelung nationaler Politiken und Richtlinien durchsetzen. Sobald ein Land über einen politischen Rahmen oder eine Leitlinie verfügt, kann es die richtige Terminologie verwenden. Zumindest wird es Definitionen für Begriffe wie „Leihen" geben. Was ist zum Beispiel eine unbefristete Leihgabe an ein Museum? Sind nicht alle Museumsobjekte unbefristete Leihgaben der Eigentümer, ungeachtet der Art ihrer Sammlung? Es ist notwendig, sich intensiv mit den Auswirkungen der Verwendung bestimmter Begriffe auseinanderzusetzen. Einige Begriffe wie „Leihgabe" neigen dazu, Verweigerung, Entmündigung und asymmetrische Machtverhältnisse in der Restitutionsdebatte aufrechtzuerhalten.

Musealisierung von zurückgegebenen Objekten

Weitere Begriffe, die geklärt werden müssen, sind Objekte versus Eigentum. Die „Objekte" wurden ursprünglich nicht für Museumszwecke hergestellt. Stattdessen wurden sie nach bestimmten eurozentrischen Standards „musealisiert". Wenn die Objekte jedoch zurückgegeben werden, müssen sie einen „neuen" Status als Eigentum erlangen, das für heutige Generationen von Nutzen ist, obwohl sie in der Vergangenheit gesammelt wurden. Das engagierte und dekolonisierte Museum in Afrika macht die Objekte für ihre Gemeinschaften nutzbar, indem es zum Beispiel Innovationen anregt und Gespräche und Neugierde auslöst, die zu afrikanistischer Forschung führen. Diese Form der Auseinandersetzung mit Museumsmethodologien und -orthodoxien kann ein erster Schritt zur Dekolonisierung von Museen sein.

Darüber hinaus sollten der Globale Süden oder Länder wie Namibia, in denen die Objekte zurückgegeben werden, die Prozesse der Restitution bestimmen. Die Herkunftsgemeinschaften müssen eine zentrale Rolle bei der Entscheidung spielen, wohin die zurückgegebenen Objekte geschickt werden und wie sie verwendet werden sollen. Einige Gemeinschaften in Namibia haben bereits ihr Interesse bekundet, die Erforschung der Bedeutungen und Funktionen der zurückgegebenen Objekte zu leiten. Die Umsetzung von Politiken und Richtlinien wird zu neuen Definitionen von Restitution führen, die die funktionalen Zwecke der zurückgegebenen Gegenstände innerhalb einer Gemeinschaft gegenüber den administrativen Prozessen der Rückgabe von Gegenständen als Museumsobjekte in den Vordergrund stellen.

Länder wie Namibia sollten nicht länger Empfänger des „guten Willens" europäischer Museen sein, sondern selbst bestimmen, welche Gegenstände sie von den besitzenden Museen verlangen oder anfordern wollen. Strategien und Leitlinien werden den Weg für bilaterale Vereinbarungen über die Rückgabe und das Eigentum an Museumsobjekten oder -gütern ebnen.

Dr. Goodman Gwasira ist Hochschuldozent für Archäologie und Heritage Studies und zuständig für museale Reichweite sowie Konservierung und Management von Kulturerbe an der University of Namibia. Seine Schwerpunktthemen sind dekolonisierende Methoden in der Archäologie und Museologie.

Ndapewa Fenny Nakanyete ist Dozentin für Geographie an der University of Namibia. Sie arbeitet dort an einer binationalen Promotion in Verbindung mit der Universität Köln zu Themen der Wertschöpfungsketten, nachhaltiger Lebensweise und der Dekolonisierung von Indigenous Knowledge.