Heft 5/2023, Südafrika

Kapstadts eskalierender Taxikonflikt

Minibusse sind in Südafrika das Nahverkehrsmittel schlechthin. Weil sich diese Sammeltaxis wenig um Verkehrsregeln kümmern, hatte die Stadtverwaltung von Kapstadt dem Gewerbe den Kampf angesagt. Der Konflikt gipfelte Anfang August in einen Taxistreik und acht Tagen gewaltsame Proteste.

Von Lothar Berger

Deutlich mehr als Johannesburg, diese vielschichtige, aufregende und kaum regierbare Metropole, steht Kapstadt im Ansehen für Reisende aus dem Ausland hoch im Kurs. Im Juli erst haben die Leserinnen und Leser des britischen Telegraph Kapstadt zum attraktivsten Reiseziel der Welt gewählt – vor Vancouver, Rio und italienischen Kultzielen wie Venedig oder Rom. Doch kurze Zeit später sah sich London gezwungen, eine Reisewarnung für Kapstadt auszugeben. Was war geschehen?

Am 3. August 2023 hatte der Dachverband der Taxivereinigungen Santaco (South African National Taxi Council) zu einem Streik in der Stadt und der gesamten Provinz Westkap aufgerufen und sich so mit den Behörden der Kommune angelegt, die seit Jahresbeginn mit übereifrigen Maßnahmen gegen Verkehrsverstöße durch die zahlreichen Sammeltaxis, in der Regel 13-bis 16-sitzige Toyota-Minibusse, in der Stadt vorgingen. Bislang wurde die Verletzung von Verkehrsregeln wie fehlende Lizenzen, Überladung und Nichtanhalten bei polizeilicher Aufforderung lediglich mit Strafzetteln geahndet, die zumeist unbezahlt blieben. Doch eine neue Verordnung vom Juli diesen Jahres gibt der Stadtverwaltung die Befugnis, Sammeltaxis selbst bei fehlenden Nummernschildern zu beschlagnahmen. Auf Geheiß von Kapstadts Bürgermeister Geordin Hill-Lewis ging sie dazu über, ohne Vorwarnung monatlich mehr als 1000 Minibusse aus dem Verkehr zu ziehen, die sie nicht für verkehrstauglich hielt oder deren Fahrer:innen keinen Führerschein vorlegen konnten.

Damit hatte die von der Demokratischen Allianz (DA) regierte Stadt die Taxi-Eigentümer gegen sich aufgebracht. Der lange schwelende Konflikt eskalierte. In den Tagen des Streiks starben fünf Menschen bei vereinzelten Ausschreitungen, es gab zahlreiche Verletzte und über 120 Festnahmen. Die wütenden Minibusfahrer:innen blockierten Kapstadts Stadtautobahnen und brachten damit den Verkehr zum Erliegen. Selbst die Zufahrtsstraße zum Flughafen wurde blockiert. Busse und Privatautos wurden mit Steinen beworfen, neun Golden Arrow-Busse brannten vollständig aus. Geschäfte wurden geplündert, Läden verrammelt, dutzend Schulen blieben ebenso geschlossen wie mehrere Gesundheitszentren. Lebensnotwendige Güter und Lebensmittel wie Brot und Milch wurden knapp oder waren in den Townships nur gegen weit überhöhte Preise zu haben.

In der aufgeheizten Stimmung war es wenig hilfreich, dass Mitglieder der Taxivereinigung Santaco mit AK-47-Gewehren zu einem Treffen mit der Stadtverwaltung erschienen. Die Gespräche wurden danach sofort abgebrochen.

Ungleichheit als Erbe der Apartheid

Der Taxistreik offenbarte auf dramatische Weise das Ausmaß der durch Apartheid geerbten Ungleichheit, die sich gerade auch in Kapstadt so deutlich zeigt. Reisende, die vom Flughafen die Autobahn N2 in Richtung Stadtzentrum nehmen, können sich ein Bild davon machen. Die Route führt durch die Cape Flats, in denen bis heute überwiegend Menschen leben, die zu Apartheid-Zeiten als „Schwarze" und „Farbige" klassifiziert wurden und aus dem „weißen" Zentrum der Stadt vertrieben wurden. „Je deutlicher die Umrisse des Tafelbergs werden, desto deutlicher wird auch die krasse Ungleichheit", schreibt die Wissenschaftlerin Susan Forde in Conversation (25.8.23) und verweist auf die „hohe Dichte an informellen freistehenden und Hinterhofhütten mit schlechtem Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen und einer hohen Rate an Gewalt und Kriminalität".

Die Cape Flats liegen weit vom Stadtzentrum und den wohlhabenden Vororten entfernt. Die räumliche Distanz, schlechte Infrastruktur und wirtschaftliche Ungleichheit zementieren bis heute die Spaltungen in der Stadt und schränken die Bewegungsfreiheit für Hausangestellte, Gärtner, Kellner, Küchenpersonal oder Reinigungskräfte ein. Für ihre langen Arbeitswege sind die Township-Bewohner:innen auf die erschwinglichen Minibustaxis angewiesen. Doch gerade hier ereigneten sich die meisten Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen während des Taxistreiks. Für Tausende von Pendler:innen waren die Fahrten zur Arbeit oder zur Schule in diesen Tagen nicht mehr möglich. Wer in der Stadt arbeitet, musste in der Dunkelheit lange Wege auf Autobahnen und Straßen nach Hause zurücklegen und war einem erhöhten Kriminalitätsrisiko ausgesetzt.

Gegenüber solchen existenziellen Nöten dürfte der Ärger von Geschäftsleuten und Reisenden über die zeitweilig knappe Lebensmittelversorgung im Stadtzentrum und das frühzeitige Schließen von Museen und Restaurants während der Streiktage verblassen, auch wenn die Presse eher vom Chaos in der Stadt berichtete.

Nach über einer Woche Taxistreik, Plünderungen und Steinigungen von Fahrzeugen hatten Dutzende von Frauen im Township Philippi es leid, dass ausgerechnet die armen Haushalte und umliegenden Geschäfte am härtesten von den Auseinandersetzungen getroffen waren. Sie zogen durch die Straßen und forderten ein Ende der Plünderungen. Am 11. August wurde der Taxistreik schließlich abgebrochen, nachdem zwischen dem Taxiverband und der Regierung von Westkap eine vorläufige Einigung erzielt worden war, ohne dass die Spannungen damit beseitigt wären. Eine gemeinsame Task Force soll die offenen Fragen angehen.

Die anhaltende räumliche Ungleichheit und die soziale Spaltung Südafrikas sind bis heute nicht angemessen angegangen worden. Solange dieses Erbe der Apartheid als „Gewalt des Raums" (Forde) weiterbesteht, werden solche Konflikte wie die Taxikriege immer wieder ihre unheilvolle Dynamik entfalten. Forde spricht hier vom „rassistischen Kapitalismus" als „Schnittmenge von Ungleichheit (als Produkt des Kapitalismus) und Rassismus (als System, das diese Ungleichheit aufrechterhält). Dies zeigt sich geografisch durch unterfinanzierte Gemeinden, Gentrifizierung und Verdrängung. Dies ist kein Einzelfall in Südafrika, sondern kann in vielen Städten weltweit beobachtet werden. Aber der historische Kontext Südafrikas prägt die räumliche Ungleichheit."

Machtkampf um die Vorherrschaft im Westkap

Der Taxistreik hat auch eine parteipolitische Komponente: der Machtkampf zwischen Teilen des ANC, die sich entweder nicht mit den Taxi-Bossen anlegen wollen oder gar mit ihnen unter einer Decke stecken, und der Regierung des Westkap, die von der oppositionellen DA gestellt wird. Das Westkap ist die einzige Provinz, die nicht vom ANC regiert wird. Um die Vorherrschaft wird deswegen angesichts der im nächsten Jahr anstehenden nationalen Wahlen mit harten Bandagen gekämpft. Man wirft sich gegenseitig vor, das Westkap unregierbar zu machen. Der ANC behauptet, die DA nutze den Taxi-Minibus-Konflikt als Strategie, um die ANC-Hochburgen in Kapstadt zu destabilisieren und die Botschaft von der „swart gevaar" („schwarze Gefahr") zu verbreiten. Der ANC habe nichts dagegen, Taxifahrer für schwerwiegende Verkehrsverstöße haftbar zu machen, doch die Stadtverwaltung von Kapstadt interpretiere die Rechtsvorschriften absichtlich falsch, um gegen das Gewerbe vorzugehen. Der Unmut des Taxigewerbes und des ANC richtet sich vor allem gegen Kapstadts Sicherheitsbeauftragten Jean-Pierre Smith, der damit drohte, für jedes mutwillig beschädigte Transportmittel 25 Minibusse zu beschlagnahmen. Justin de Allende vom ANC versteifte sich sogar zu der Behauptung, Smith verhalte sich „wie ein Nazi, wie ein Faschist". Die neue Verkehrsverordnung des Westkap werde seine Partei vor Gericht anfechten.

Die DA wiederum glaubt, der ANC nutze die Beschwerden der Taxifahrer aus, um das Westkap als Krisenregion erscheinen zu lassen. Die DA verteidigt ihr Vorgehen, man wende schließlich landesweit geltende Gesetzte konsequent an. Sie wirft der ANC-Regierung vor, sich mit dem mächtigen Taxiverband Santaco gemein zu machen und allein diesen als offiziellen Vertreter der Branche anzuerkennen. Obwohl er nicht für Verkehrsfragen zuständig ist, hatte Südafrikas Polizeiminister Bheki Cele an der Sitzung teilgenommen, bei der Santaco den Streik beschloss. Dabei warf er Bürgermeister Geordin Hill-Lewis Arroganz vor, weil der ein Ende der Gewalt zur Bedingung weiterer Verhandlungen gemacht hatte. Auch Transportministerin Sindisiwe Chikunga schimpfte, die DA-Regierung würde sich „wie Gott" aufführen und verlangte die unverzügliche Herausgabe der beschlagnahmten Taxis.

Zwischen dem Taxigewerbe, das insbesondere in KwaZulu-Natal, aber auch in anderen Provinzen, einen immensen Einfluss habe, und dem ANC bestehe eine starke Symbiose, meint Max du Preez, Chefredakteur des Vrye Weekblad. Viele der wohlhabenden Taxieigentümer, unter denen es auch einige zu Milliardären geschafft haben, gehörten zu den Spendern des ANC. „Die jahrelange Laissez-faire-Politik der ANC-Regierung gegenüber dem Taxigewerbe hat dazu geführt, dass die Taxibosse sich als über dem Gesetz stehend betrachten. Die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft der Polizei, gegen Morde und Gewalt im Zusammenhang mit Taxis vorzugehen, hat dazu beigetragen", so du Preez.

Mafiöse Strukturen

Tatsächlich ist das Taxigewerbe so einflussreich, dass sich in der Öffentlichkeit und den Behörden der Eindruck verstärkt, die Branche agiere in einigen Regionen wie die Mafia. Die etwa 200.000 Sammeltaxis stellen in Südafrika 75 Prozent der öffentlichen Verkehrsmittel, allein in der Westkap-Region befördern die Minibusse täglich etwa 1,5 Millionen Pendler:innen, landesweit sind es rund 15 Millionen. Geld spielt in der Branche die entscheidende Rolle. Pro Jahr erwirtschaftet sie rund 90 Mrd. Rand (ca. 1,8 Mrd. Euro), eine halbe Millionen Arbeitsplätze sind von ihr abhängig.

Bis 1987 stand die Taxiindustrie unter strenger Regulierung und Kontrolle durch das Apartheidregime: Schwarze erhielten keine Fahrerlaubnis, Minibustaxis verkehrten illegal. Das organische Wachstum des Taxigewerbes führte danach zur raschen Deregulierung, das Apartheid-Regime überließ die Branche sich selbst und sparte sich die Kosten für ein sicheres öffentliches Nahverkehrssystem. Minibusbetreiber sahen die Chance, mit der hohen Nachfrage nach ihren Dienstleistungen schnelles Geld verdienen zu können. Das Taxigewerbe blieb seitdem weitgehend unreguliert. Weil die offiziellen Aufsichtsbehörden zutiefst korrupt waren, wurde das Taxigewerbe schnell zu einer der gewalttätigsten Branchen Südafrikas, in der sich konkurrierende Verbände seit jeher einen harten Wettbewerb um die Routen liefern. Die ANC-Regierung versäumte es, die potenzielle Konkurrenz auf dem Taximarkt zu schützen, stattdessen formalisierte sie die mafiösen Strukturen, indem sie den Taxiverbänden gestattete, Monopolansprüche auf bestimmte Strecken zu stellen.

Eine Studie des Center for the Study of Violence and Reconciliation („Zentrum für das Studium von Gewalt und Versöhnung") in Kapstadt sprach bereits 2001 davon, dass sich die Taxiverbände als „informelle Akteure der Regulierung, des Schutzes und der Erpressung entwickeln" und einen kriminellen Charakter haben. In Kleinstädten sei dieser Wirtschaftszweig oft die einzige Quelle von Ressourcen für die schwarzen Gemeinden, „aber es gibt Gewalt in der DNA der Industrie". Ein Bericht der Global Initiative Against Transnational Organised Crime vom September 2022 schätzt, dass die Hälfte aller organisierten Morde in Südafrika zwischen 2015 und 2020 mit dem Taxigewerbe zusammenhängt. Besonders so lukrative Langstrecken wie die zwischen Johannesburg und KwaZulu-Natal sind umkämpft. Die Regierung der Provinz Westkap meldete zwischen April 2021 und März 2023 mindestens 110 Morde im Zusammenhang mit dem Taxigewerbe.

Ende August hat das nach dem Streik eingesetzte Minibus-Taxi-Task-Team, das aus der Stadt Kapstadt, der Provinzregierung und dem Verband Santaco besteht, eine vorläufige Einigung zum Schutz der Pendler:innen erzielt. An den dreitägigen Gesprächen war auch die nationale Verkehrsbehörde beteiligt. Man habe durch umfassende Konsultationen „eine gemeinsame Grundlage für faire und vernünftige Konsequenzen für die meisten Verstöße gegen die Betriebsgenehmigungsbedingungen gefunden". Doch viele strittigen Punkte bleiben noch offen. Dazu gehört nicht nur, das öffentliche Verkehrsnetz, insbesondere die marode Eisenbahn, wieder instand zu setzen und auszubauen, um es als Alternative zu den Minibustaxis anzubieten, sondern auch, die Macht der kriminellen Erpresserbanden effektiv zu brechen. Gerade im September erst beschwerten sich Kapstadt Taxifahrer:innen wieder, sie fühlten sich diesen Banden ausgeliefert, weil sie jeden Monat gezwungen seien, umgerechnet 1000 Euro zu zahlen, damit sie auf den Strecken fahren dürfen, für die sie bereits eine Genehmigung besitzen.