Heft 6/2014, Südafrika: Pfingstkirchen

Zulauf für Charismatiker

PFINGSTKIRCHEN WACHSEN WELTWEIT – SO AUCH IN SÜDAFRIKA.

 

Die Pfingstbewegung entzieht sich einer strengen typologischen Kategorisierung. Für Theologen scheint es schwierig, für Politikwissenschaftler fast unmöglich zu sein, Pfingstkirchen, charismatische Kirchen oder gar evangelikale Kirchen genau zu definieren und voneinander abzugrenzen. Hier wird unterschieden zwischen Old Pentecostal Churches ab 1908 und New Pentecostal Churches, die auf verschiedene charismatisch/pfingstlerische Bewegungen in Südafrika zurückgehen. Neuere pfingstkirchliche Strömungen sind von evangelikalen Elementen in den USA, afrikanischen spirituellen Einflüssen und der Pfingstbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt.


Weder die frühe noch die neuere Pfingstkirchenbewegung bildete eine einheitliche Kirche, zu vielfältig sind ihre Ausprägungen und zu individualistisch ist die zentrale Erfahrungsdimension des Heiligen Geistes. So kann man auch mehrere Wellen der charismatischen Erneuerung unterscheiden, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen in Südafrika zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfasste. Angehörige des klassischen Pentekosatalismus waren eher afrikaanssprachige Weiße, die charismatische Bewegung seit den 1960er Jahren bezog sich vorrangig auf englischsprachige weiße Kirchen und die charismatische Erneuerung seit den 1970er Jahren betraf ebenfalls die weiße Gesellschaft.


Enge Kontakte zwischen charismatischen/pfingstlerischen Kirchen in den USA und Südafrika dauern bis heute an, allerdings umfassen sie inzwischen Menschen aller Hautfarben. Einen Grundstein für die große Ausbreitung pfingstlerischer Ideen in den 1980er Jahren legte der umstrittene Evangelist Reinhard Bonneke mit einer großen Zeltmission in Townships und damaligen Homelands. Mit dem politischen Neuanfang 1994 vollzog sich auch ein spiritueller Wandel, nun fanden schwarze Gläubige verstärkt den Weg in charismatische/pfingstlerische Kirchen. Zwar ist die Führung vieler urbaner Mega-Kirchen noch in weißer Hand, doch in den Städten gründen schwarze, coloured und indisch-stämmige – oft selbst ernannte – Geistliche charismatische/pfingstlerische Kirchen und scharen Anhänger um sich.


Der Schwerpunkt der hier zusammengefassten Erläuterungen liegt auf der Auswertung von Gesprächen mit führenden Geistlichen von charismatisch/pfingstlerischen Kirchen und Vertretern von „mainline churches". Zudem wurden Gottesdienste sowie andere von Kirchen organisierte Veranstaltungen besucht.

 

Gründung und Strukturen
Eine charismatisch/pfingstlerische Kirche neuerer Ausprägung ist – sofern sie keine Niederlassung einer schon existierenden ist – in der Regel zuerst einmal das Werk eines einzelnen Menschen, manchmal auch eines (Ehe-)Paares. Meist geht der Kirchengründung ein Erweckungserlebnis voraus, sei es die Erfahrung einer Begegnung mit Gott, eine außerordentliche, manchmal auch lebensbedrohliche Situation oder eine Krankheit mit einem glücklichen Ausgang.


Dem Gründerpaar obliegt die Leitung der Kirche. Ihm steht ein „leadership team", oft auch „elderteam" oder Managementboard genannt, zur Seite. Dieses Gremium setzt sich in der Regel aus Kirchenmitgliedern der ersten Tage zusammen. Als De-facto-Kontrollorgan geschildert, bleibt dennoch die Entscheidungshoheit beim Gründungspastor. Bei der Einstellung der Kirchenangestellten haben sowohl die Gemeindeälteren als auch die Gemeindemitglieder ein Mitspracherecht. Ausschlaggebend für die Jobvergabe ist die Verbundenheit mit der Kirche. Die Zahl der Festangestellten – sowohl Geistliche wie auch Verwaltungsangestellte – wird so niedrig wie möglich gehalten. Charismatische Kirchen leben vom ehrenamtlichen Engagement und Einsatz ihrer Mitglieder auf allen Ebenen.


Die Ausbildung zum charismatischen Geistlichen zeigt besonders deutlich den Bewegungscharakter der charismatischen sowie auch der traditionellen Pfingstkirchen. Es gibt keine standardisierte Ausbildung. Vielmehr sind für die Ausübung des Amtes das Erweckungserlebnis, die persönliche Berufung und das persönliche Engagement entscheidend. Zudem werden Pastoren regelmäßig zu Weiterbildungen zu befreundeten evangelikalen Kirchen in die USA geschickt.

 

Gottesdienste und Gemeindeleben
Eine zentrale Rolle im Kirchenleben kommt dem sonntäglichen Gottesdienst zu. Von den Gemeindemitgliedern wird erwartet, am Sonntag in der Kirche zu erscheinen. Zu Beginn des Gottesdienstes werden Kircheninterna, Termine und Personalien bekannt gegeben. Auch über die Verwendung einer Kollekte wird informiert. In der Regel ist die Predigtsprache Englisch, ab und zu werden kurze Passagen in lokalen afrikanischen Sprachen erzählt. Gebete in Gottesdiensten sind nicht an feste Abläufe gebunden. Spontanen Gebeten wird Raum und Möglichkeit gegeben.


Eine enge Bibelexegese bildet die Grundlage allen theologischen Denkens und Handelns. Eine zweite zentrale Säule ist das Leben, Wirken und Vorbild von Jesus. Gottes Reich auf Erden bis zu seiner Rückkehr zu verwirklichen, ist ein weiteres Ziel. Neben der strengen Bibelexegese sind die Betonung des Heiligen Geistes und die persönliche Beziehung zu Gott die wichtigsten Elemente der charismatischen Glaubenswelt. Eine zentrale Rolle im Gottesdienst spielen die Band und der Chor, oft begleitet von einer Solosängerin oder einem Solosänger. Sowohl Kirchenlieder als auch traditionelle afrikanische Lieder und neu komponierte Musikstücke sind zu hören. Im Anschluss an einen Gottesdienst warten Pastoren und Gemeindeältere auf diejenigen Gemeindemitglieder, die ein persönliches „counselling" oder „healing" wünschen. Die enge und persönliche Beziehung zu Gott sowie der Heilige Geist tragen zum spirituellen und sozialen Wohl der Gläubigen bei. Religion betrifft alle Bereiche des Lebens, die Familie und den Beruf.


Neben sonntäglichen Gottesdiensten, bei denen sich die Gemeindemitglieder charismatischer Kirchen in möglichst großer Zahl versammeln, sind für die Mitglieder wöchentliche Treffen in Kleingruppen, sogenannten „cell groups", von großer Bedeutung. Jedes Mitglied wird bei seinem Kircheneintritt einer solchen Gruppe zugeordnet. In der Regel sind sie stadtteilgebunden und bestehen aus zwölf bis zwanzig Mitgliedern. Die Zahl zwölf wird häufig gewählt, um an die zwölf Jünger Jesu zu erinnern. Nimmt ein Mitglied einer „cell group" nicht an den wöchentlichen Treffen teil, wird dezent direkt zu Hause oder telefonisch nach dem Grund der Abwesenheit gefragt. Falls dies kein plausibler ist, wird leichter Druck ausgeübt, doch wieder zu kommen. Im positiven Sinn zeigt sich hier soziale Fürsorge, im negativen soziale Kontrolle.

 

Finanzen und karitative Arbeit
Kirchen sind in Südafrika als gemeinnützige nicht profit-orientierte Gesellschaften registriert und finanzieren sich ausschließlich über Spenden oder andere freiwillige Zuwendungen. Große Bedeutung haben die Kollekten im sonntäglichen Gottesdienst. Alle laufenden Kosten, einschließlich der Gehälter der Festangestellten, müssen davon bezahlt werden. Regelmäßige Sonderkollekten bringen zusätzliche Einnahmen, von denen zum Beispiel der Bau eines eigenen oder größeren (Kirchen-)Gebäudes oder soziale Projekte finanziert werden. Zum Thema Spenden und Finanzen äußerten sich die befragten Kirchenführer nur zögernd. Sie gaben an, dass sie mit Medien schon schlechte Erfahrungen gemacht hatten, denen gegenüber sie zu offen waren.
Die südafrikanischen Charismatiker waren anfänglich nicht immun gegenüber den Verheißungen der „Prosperity Gospel". Diese verspricht Gläubigen nicht nur das Heil im Jenseits, sondern auch materiellen Reichtum im Diesseits, solange sie etwas dafür tun und selbst etwas geben. Materieller Reichtum spricht für göttliche Auserwähltheit, Armut für das Gegenteil. Allerdings geht es hierbei nicht immer nur um materiellen Reichtum, sondern um Wohlbefinden in physischer, emotionaler, spiritueller und finanzieller Hinsicht.


„Empowerment", Hilfe zur Selbsthilfe, „social uplifting", „net-working" sind Schlagwörter, die in den pfingstlerischen Kirchen nicht nur gepredigt, sondern aktiv von der Gemeinde praktiziert werden. Sozialer Aufstieg und höheres Gehalt dienen sowohl dem weltlichen Wohl der Mitglieder als auch der gesamten Kirche. Für eine „erfolgreiche" Kirche wird die Rekrutierung beruflicher Aufsteiger einfacher, wenn sie bei der neuen Mittelklasse einen guten Ruf genießt. Diese hofft in den Kirchen auf weiteren sozialen Aufstieg. Persönlicher und beruflicher Misserfolg werden hingegen häufig einem Mangel an Glauben oder zu geringen Bedeutung des Heiligen Geistes im Alltagsleben zugeschrieben. Wenn Mitglieder scheitern, wird es für sie schwierig in der Kirche.


Linderung sozialer Not, Gesundheitsvorsorge und Bildung sind drei von vielen Bereichen, in denen sich pfingstlerische Kirchen betätigen. Ihre Angebote reichen von Armen- und Schulspeisungsprogrammen über Kleiderkollekten bis hin zur Arbeit mit Menschen, die an Aids erkrankt sind. Sie finanzieren Ärzte, die regelmäßig in Kliniken arbeiten. Zudem bieten sie Telefonseelsorge und telefonisches „being prayed for". Sie besuchen auch Gefängnisse und führen mit Gefangenen Gottesdienste durch.


Des Weiteren unterhalten sie Kindergärten und Vorschulen, Schulprogramme für Straßenkinder und Waisenhäuser für Aids-Waisen. Die charismatischen Kirchen setzen auf Bildung und Ausbildung – finanziert über Eigeninitiativen und Spenden. Damit Gemeindemitglieder, insbesondere die jüngeren, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, bieten sie ihnen in verschiedenen Feldern Aus- und Weiterbildungsprogramme an.

 

Politische Aspekte und theologische Standpunkte
Im Parlament ist seit 1994 die African Christian Democratic Party vertreten, diese Partei wird von Kenneth Raselabe Meshoe, dem Kirchengründer der Hope of Glory Tabernacle, geleitet. Auch wenn Repräsentanten von Pfingstkirchen politische Beeinflussung im Gottesdienst ablehnen, fordern sie ihre Gemeinde zu politischer Teilhabe auf. Zwar gilt die direkte Einmischung in Parteipolitik als Tabu, jedoch nicht die aktive Gestaltung der lokalen Verwaltung. Die Kirchen sollten bei politischen Entscheidungen auf Themen achten, die sie als zu liberal bewerten. Des Weiteren sollten sie für die spirituelle Gesundheit der Regierung sorgen und als Verbindungsglied zwischen Wahlvolk und Regierung dienen. Darüber hinaus sollten die Kirchen für Respekt und soziale Gerechtigkeit eintreten und sich für diejenigen engagieren, die das nicht selbst tun können. In der Praxis sieht das allerdings immer wieder anders aus. Staatspräsident Jacob Zuma besuchte nach seinen Wahlsiegen die Grace Bible Church in Soweto, um sich für die Unterstützung zu bedanken.


Seit seinen Anfängen in Südafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Pentekostalismus von Theologen anderer Kirchen und Glaubensgemeinschaften mit Misstrauen beobachtet. Die neue Bewegung schien zu wenig theologisch fundiert, zu gefühlsbetont zu sein und auf den eigenen spirituellen Erfahrungen der Gläubigen zu fußen, statt auf der Vermittlung des göttlichen Wortes und des Wirkens durch ordinierte und ausgebildete Geistliche. Es dauerte über fünfzig Jahre, bis die Pfingstkirchen in Südafrika von den etablierten Kirchen akzeptiert wurden.


Mehr als 200 charismatische Kirchen in Südafrika sind in der International Federation of Christian Churches (IFCC) zusammengeschlossen. Sie wurde am 18. August 1985 auf die Initiative von Ray McCauley, des Gründers der Rhema Church in Johannesburg, als International Fellowship of Christian Churches gebildet. Der IFCC will charismatische Einzelbewegungen unter einem Dachverband stärken, biblische Werte in der Gesellschaft durchsetzen und Mitgliedskirchen bei internen Schwierigkeiten beistehen.


Beobachter bewerten den sozialen Zusammenhalt sowie Fortbildungs- und Entwicklungsangebote als Gründe für die Attraktivität der Kirchen. Andererseits deuten sie das Erstarken der Charismatiker auch als eine Antwort auf die politische Krise und den gesellschaftlichen Wandel in Südafrika seit den 1990er Jahren. Manche Gläubige fänden in der politischen und sozialen Umbruchsituation, von der jede Bevölkerungsgruppe auf unterschiedliche Art betroffen ist, eher Halt bei den charismatischen Kirchen als bei den etablierten Kirchen. Zudem seien die Klassenschranken durchlässiger geworden. Die Heilsversprechen einer „Prosperity Gospel" scheinen bei vielen Hoffnungen zu wecken. Dem Aspekt der Glaubensheilung wird ebenfalls große Anziehungskraft zugesprochen. Auch die neue schwarze Mittelschicht fühlt sich in den charismatischen Kirchen, in denen mehrheitlich Englisch gesprochen wird, das auch die Kinder verstehen, eher aufgehoben als in anderen Kirchen. Letztendlich seien es ganz praktische Gründe, die die Gläubigen in die neuen Pfingstkirchen zögen.


Helga Dickow

 

Die Autorin ist promovierte Politikwissenschaftlerin am Arnold-Bergstraesser-Institut Freiburg.

Diese Darstellung basiert auf ihrer Studie über „Religion und Lebenseinstellungen in Südafrika. Pfingstkirchen, Charismatiker und Wiedergeborene". Die detaillierten Ergebnisse erschienen als englischsprachiges Buch beim Nomos Verlag, Baden Baden 2012.