ALLE ZEHN MINUTEN DONNERT EIN KOHLELASTER AN DEN WINZIGEN HÄUSERN VORBEI. Schwarze Staubwolken legen sich wie ein dichter Schleier auf die gesamte Umgebung. Es stinkt nach Kohle.
„Ich kann meinen Finger hier durchstecken..." Andries, ein alter, dünner Mann mit großen Augen, greift durch ein Loch im Wellblechdach seiner Behausung. Das Dach ist verrottet, der Boden verschmutzt, die beiden alten Sofas verstaubt. Der Mann ist verzagt. Seit 30 Jahren lebt er im „MNS Settlement", einer informellen Siedlung in direkter Nachbarschaft einer ehemaligen Mine. Die ist zwar geschlossen, aber die Halden liegen ungeschützt auf der anderen Straßenseite. Andries erzählt, seine beiden Enkel leben bei ihm. Sie husten, wenn der Kohlestaub hinüberweht und die Sattelschlepper vorbei poltern. Auch er leidet unter ständigem Husten. Die Ärzte könnten nichts dagegen unternehmen. „Was kann man tun?", fragt er immer wieder und gibt sich selbst die Antwort: „Nichts kann man tun."
Tausende Menschen kommen auf der verzweifelten Suche nach Arbeit nach Witbank und müssen sich in elenden informellen Siedlungen wie MNS eine Bleibe suchen. Auf der Halde sammelt eine Frau festgepampte Brocken zum Heizen und Kochen in verrußten Öfen. Ihre beiden kleinen Kinder rutschen in Plastiksandalen im schwarzen Staub herum wie in einem Sandkasten.
160 Bergwerke haben rund um eMalahleni, dem „Ort der Kohle", aufgerissene Gruben und Altlasten hinterlassen. Rund um die 100.000 Einwohner-Stadt in der Provinz Mpumalanga – „da wo die Sonne aufgeht" – reiht sich Tagebau an Tagebau. Angezogen vom Energiereichtum haben sich rauchende Stahlhütten und zwölf kolossale Kohlekraftwerke mit ihren qualmenden Schloten angesiedelt. Hier sind alle Giganten der Branche aktiv: die südafrikanische Exarro, die britisch-südafrikanische Anglo American, die australische BHB Billiton und die schweizerische GlencoreXtrata.
Wirtschaft auf Steinkohle gebaut
Südafrika verfügt über enorme Reserven des schwarzen Goldes – rund 33 Milliarden Tonnen. 90 Prozent des Stroms stammt aus den Kohlekraftwerken des staatlichen Energiekonzerns Eskom. Ein Drittel des devisenbringenden Rohstoffs wird exportiert. Südafrika ist damit der drittgrößte Kohleexporteur der Welt. Schon die Staatswerdung war aufs Engste mit der Gewinnung der Bodenschätze verbunden: mit Gold, Diamanten, Platin, Eisenerz und Kohle. Dr. Viktor Munnik, Geograf und Dozent an der Johannesburger Universität Witwatersrand, erklärt, schon der zweite Krieg zwischen den weißen Kolonisatoren, den Buren und Briten, Ende des 19. Jahrhunderts habe die effizientere Ausbeutung der Ressourcen zum Ziel gehabt. „An Stelle von drei Verwaltungen in vier Provinzen sollte nur noch eine einzige Verwaltung für das Hüttenwesen geschaffen werden, um den Bergbau profitabel zu gestalten".
Auch während der Apartheid galt Kohle als billige Energiequelle für Bergbau und Stahlindustrie. Überdies förderte das Apartheidregime aus Furcht vor ausfallenden Ölimporten Fabriken zur Kohleverflüssigung wie Sasol, den berühmt-berüchtigten Petro-Chemie-Riesen und Kohleförderer. Die gesamte Infrastruktur, Straßen, Eisenbahnlinien und Verbindungen zu den Häfen waren auf die Kohleminen ausgerichtet.
Die auf Kohle fixierten Apartheid-Architekten ließen die Wohngebiete der schwarzen Arbeiter links liegen. Sie nahmen die massiven negativen Nebenwirkungen des Kohlebergbaus als Kollateralschäden in Kauf. Deren Liste ist lang: Höchst gefährliche Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne für die Kumpel, Landenteignung und Vertreibung, chronische Atemwegserkrankungen und immense Umweltzerstörung. Diese Strukturprobleme dauern bis heute an. Denn Südafrikas Wirtschaft ist – gemessen an seiner Größe – noch immer eine der energieintensivsten der Welt. Knapp zwei Drittel des Stroms wird für den Abbau der wertvollen Rohstoffe verbraucht. Ein Anlass für Protest.
Post-Apartheid-Netzwerke
Nach 1994 erließ die ANC-Regierung zahlreiche Gesetze, um die Schäden aus der Vergangenheit zu kompensieren und neue zu verhindern. Nicht ohne Druck aus der Zivilgesellschaft. Für das 2004 erlassene Gesetz zur Luftreinhaltung, den Air Quality Act, hatte sich auch Caroline Ntaopane stark gemacht. Heute arbeitet sie bei der internationalen NRO Action Aid. Carols Tochter ist neben einer Fabrik von Sasol aufgewachsen. Heute ist sie 15 Jahre alt und immer noch häufig krank. „Vor allem nachts hat sie große Schwierigkeiten beim Atmen", erzählt die 38jährige Mutter. „Dann blutet die Nase mehr als zehn Minuten und wir müssen sie rasch ins Krankenhaus bringen." Obwohl das neue Gesetz Standardwerte für die Umgebungsluft und die Emissionen festlegt und zum Beispiel die Region von eMalahleni eine „National Air Pollution Priority Area" ist, sei dies immer noch ein Gebiet mit der schmutzigsten Luft weltweit, klagt Caroline Ntaopane. Sie kritisiert die Untätigkeit der staatlichen Behörden. Zuverlässige Studien über die Quellen der Luftverschmutzung lägen nicht vor.
Stattdessen konnten viele Bergbau-Unternehmen und der allmächtige Stromkonzern Eskom im Februar 2015 beim Umweltministerium Ausnahmeregelungen von den ab April vorgeschriebenen Luftqualitäts-Standards erwirken. Der Direktor für Luftqualität-Management, Dr. Vumele Sanene, rechtfertigt diese Nachsicht für eine Übergangsphase. „Wir können als Staat nicht verlangen, dass jeder, der die Regeln nicht einhält, den Betrieb einstellen muss." Dabei behaupten die Hochglanzbroschüren der Rohstoffmultis stets, man habe die Emissionen bereits stark reduziert.
Durch die Black Economic Empowerment-Politik seien viele Großunternehmen mit der heutigen Elite verbunden. „Wenn der Staat eine neue schwarze Mittelklasse schaffen will und einige Politiker Aktien dieser Unternehmen besitzen, ist solch eine Konstellation anfällig für Missbrauch", sagt der Johannesburger Geograph Munnik. Politiker des ANC hätten Vorstands- und Aufsichtsratsposten inne, „und das ist eine Vermischung von Politik und Geschäft mit der Folge, dass Umweltverbrechen häufig nicht verfolgt werden." Schätzungen besagen: Nach der Mining Charter von 2004 ging bis 2014 ein Viertel des Bergbaus in den Besitz schwarzer Südafrikaner über. Das dürften im letzten Jahr 650 Milliarden Rand gewesen sein.
Wasserverschmutzung
Überall in eMalahleni erzählt der Boden von über 100 Jahren intensivem Kohletagebau, dessen giftige Hinterlassenschaften nie beseitigt wurden. An zahlreichen Flüssen und selbst in den Stauseen für die Trinkwasserversorgung sind hässliche, ehemals schaumige und jetzt zentimeterdick erstarrte Krusten zu sehen. Gebildet vom Acid Mine Drainage, saurem Grubenwasser. Regen- und Grundwasser reagieren chemisch mit schwefelhaltigen Mineralien im aufgebrochenen Gestein der Mine, bilden schweflige Säure und waschen Schwermetalle wie Eisen, Mangan, Nickel und Kobalt aus. Über Schächte und Risse gelangt das verschmutze Sickerwasser an die Oberfläche und vernichtet die biologische Vielfalt, die Böden, Flüsse und Seen. Und das in einer Region, in der einige der wichtigsten und größten Flüsse des Landes entspringen: Der Komati, der Vaal, der Crocodile und der mächtige Olifant River. Wie belastet die Gewässer genau sind, ist Verschlusssache.
Die großen internationalen Rohstoffkonzerne wie Anglo American, BHB Billiton und GlencoreXstrata verweisen auf ihre Anlagen zur Wiederaufbereitung des Wassers. Viktor Munnik aber erklärt, dass zwei Drittel der Klärwerke nicht ordnungsgemäß funktionieren. Zwar beinhaltet das Wassergesetz von 1998 das sogenannte Verursacherprinzip: Bergwerksbetreiber müssen für die Beseitigung von Wasserverschmutzung aufkommen. Tatsache ist, viele der 120 Kohlebergwerke operieren ohne Wasserlizenz. Das habe der Wasserminister persönlich vor zwei Jahren im Parlament vorgetragen, erzählt Viktor Munnik. Das heißt, diese Minen arbeiten mit Wissen und Billigung der Behörden illegal. Die Umweltschützer sind überzeugt, dass das Umwelt- und das Wasserministerium vom Bergbauministerium dominiert und ihre Belange häufig einfach ignoriert werden.
Kohle-Landschaft mit System
Die Konzerne entledigen sich kurz vor dem Ende einer Mine aller Verantwortung für einen umweltgerechten Rückbau des Geländes, indem sie es an kleinere, einheimische Firmen verkaufen. Damit gehen alle Verpflichtungen für eine saubere Schließung an die neuen Eigentümer über. Häufig werde noch die allerletzte Kohle herausgeholt – und dann machen die Kleinunternehmer pleite, kritisiert der Forscher Munnik. Er verlangt, solche Transaktionen müsse man gesetzlich verbieten.
Sage und schreibe 6000 Minen in Südafrika gelten als verlassen. Die Kosten trägt am Ende die Allgemeinheit. Für Altlasten vor 1976 ist der Staat vollständig und für die vor 1986 zur Hälfte zuständig. Die steuerlich begünstigten Bergbaukonzerne sind fein raus, aber die Regierung bleibt tatenlos. Nach Angaben von Greenpeace hat die Bergbau-Ministerin 2012 wissen lassen, dass es bis dato keine Pläne zur Rehabilitierung der verlassenen Minen gebe.
Gefährdete Ernährungssicherheit
Manche Minenbetreiber, wie etwa Shanduka Coal – 49,9 Prozent der Akten hält der Schweizer Rohstoffgigant GlencoreXstrata – behaupten, nach dem Ende des Bergbaus gesetzestreu abgetragene Erde und Mutterboden wieder aufzubringen. So könne das Land wieder ganz normal bebaut werden. „Nein das klappt nicht", widerspricht Koos Pretorius. „Das Land ist nicht mehr produktiv, nicht mehr nachhaltig." Der promovierte Anwalt ist anerkannter Experte für saures Grubenwasser der Umweltorganisation Federation for Sustainable Environment. Er erzählt von einem Farmer, der auf rehabilitiertem Land wieder Mais anbaute. Dort habe er durchschnittlich rund zwei Tonnen Mais per Hektar erzielt, auf seinen ursprünglich belassenen Feldern habe er vorher neun Tonnen per Hektar geerntet.
Gerade beim Mais könne der andauernde Verlust der Böden die Nahrungsmittelpreise künftig drastisch steigen lassen. Mpumalanga produziert in einem durchschnittlichen Jahr 23 Prozent der gesamten Maisernte im Land, aber in einem trockenen Jahr ist es gut die Hälfte. „Wenn wir mit dem Bergbau so weitermachen wie jetzt, werden wir bald zu wenig Mais haben und importieren müssen", sagt Pretorius. Und der werde um die Hälfte teurer sein. „Das ist aber die Nahrung der armen Leute!"
Die Bodengier der Rohstoffkonzerne zerstöre die Kornkammer des Landes, meinen Farmer in der Region. Sie beklagen sich bitter darüber, dass der Staat die Bergbaukonzerne ungestraft gewähren lasse. Rechtsstreit ist oft der einzige Ausweg. Gideon Anderson hat nach zehn Jahren den Kampf gegen GlencoreXstrata vor Gericht verloren – und das trotz hervorragender Umweltgesetze. „Man gibt viel Geld für Anwälte aus. Ich war der letzte. Glencore besaß schon alle Farmen um mich herum." Vorwurfsvoll fragt Anderson: „Wer muss diesen Gesetzen Geltung verschaffen? Doch nicht ich als Bürger oder Steuerzahler, sondern die Regierung. Ich muss vor Gericht ziehen, um die Regierung zu zwingen, ihre Arbeit zu machen."
Klimakiller
Südafrikas Kohlekraftwerke gehören zu den größten Klimakillern weltweit. Aber die südafrikanische Regierung bleibt bei einer widersprüchlichen Politik: Auf der einen Seite will sie in den nächsten 15 Jahren die Stromerzeugung aus Kohle auf 60 Prozent reduzieren und die erneuerbaren Energien auf 20 Prozent steigern. Auf der anderen Seite sollen sechs neue Atom- und zwei neue Kohlekraftwerke in Medupi und Kusile den seit Jahren wiederkehrenden Stromausfällen entgegenwirken. Einer der bereits im Bau befindlichen gewaltigen Kohlemeiler wird der größte der Welt sein. Viele Minister bekennen sich weiterhin zum Bergbau als wichtigsten Wachstumsmotor. Viktor Munnik stellt fest: In den Klimaverhandlungen gehöre Südafrika immer stärker der Wachstumslobby an. Diese bestehe darauf, dass die Länder der „Dritten" Welt nicht auf Wohlstand verzichten müssen und sich erst später mit den Umweltschäden beschäftigen. Aber der Widerstand betroffener Gemeinden und der Umweltorganisationen wächst. Und für Arbeitsplätze in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in öffentlicher Hand gibt es auch in der schwarzen armen Bevölkerung, die in informellen Siedlungen leben muss, durchaus offene Ohren.
Birgit Morgenrath
Die Autorin ist Journalistin und Autorin. Sie berichtet seit Jahren über Südafrika.