Heft 6/2015, Klimadossier: Tansania

Optimiertes Saatgut: optimierte Bauern?

KLEINBAUERN IN TANSANIA KENNEN DIE FOLGEN DES KLIMAWANDELS AUS EIGENER ERFAHRUNG: Unregelmäßigere Regenfälle und zusätzliche Trockenzeiten. Sie suchen neues Saatgut, um weiterhin von der Landwirtschaft leben zu können.

 

Es ist Farmer's Field Day in Namtumbo, im Süden Tansanias, einer fruchtbaren Gegend, in der die meisten Menschen von der Landwirtschaft leben. Sie bauen Mais, Hirse, Maniok und verschiedene Gemüsesorten für die eigene Ernährung an. Hinzu kommen Tabak, Sesam, Sojabohnen oder Reis für den Verkauf. Etwa 150 Bauern aus Namtumbo und den umliegenden Ortschaften haben sich vor dem Landwirtschaftsamt des Distrikts versammelt. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, aber junge Männer sind deutlich in der Überzahl. Die staatlichen Landwirtschaftsberater wollen ihnen moderne Anbautechniken näherbringen. Was sie dort lernen, sollen sie an Familienmitglieder, Freunde und Bekannte weitergeben.


Ein Agrarberater führt sie durch das Versuchsfeld. Dicht an dicht stehen dort unterschiedliche Maissorten. Die Pflanzen tragen satte Maiskolben. Es sind Hybridsorten aus kommerziellen und staatlichen Züchtungsprogrammen. Produkte der südafrikanischen Saatgut-Firmen Pannar und Seed Co wachsen neben dem Dekalb-Maize von Monsanto. Diese modernen Sorten bringen hohe Erträge, vorausgesetzt man verwendet sie in Kombination mit chemischen Düngemitteln und Pestiziden. Lokale Maissorten, die noch immer über siebzig Prozent der tansanischen Bauern verwenden, findet man auf dem Versuchsfeld nicht. Ein Agrarberater erklärt, das lokale Saatgut könne nicht in den Vergleich aufgenommen werden, da die Tests nicht deren Qualität und Zuverlässigkeit gewährleisten könnten.


Heute sollen die Bäuerinnen und Bauern unter den zehn Sorten auf dem Versuchsfeld diejenige identifizieren, die ihnen am besten gefällt. Mit erfahrenem Blick prüfen sie die Qualität der Maispflanzen: Ist die Spitze des Maiskolbens von Hüllblättern noch umschlossen, so dass keine Insekten die Maiskörner befallen können? Sind die Pflanzenstöcke stabil genug, damit sie bei Wind nicht gleich umknicken? Sind die Körner hart genug, um sie gut zu mahlen und lange zu lagern? Sie entscheiden sich für „Uyole", eine Sorte, die in einer staatlichen Forschungseinrichtung gezüchtet wurde und besonders widerstandsfähig erscheint. Dies ist vor allem den Frauen wichtig, die für die Nahrungsmittelversorgung der Familien zuständig sind. Sie wollen eine verlässliche Ernte, bevor sie an Ertragssteigerungen denken. Darauf ist aber die internationalen Agrar- und Entwicklungsplanung in Afrika fixiert. Und das, obwohl ausgelaugte Böden in Folge der Intensivierung und Abholzung, Ausbreitung von Schädlingen und Unkraut wegen der Monokulturen sowie unregelmäßige Regenfälle aufgrund des Klimawandels der kleinbäuerlichen Landwirtschaft immer stärker zusetzen.

 

Klimawandel
Die Menschen in Namtumbo beobachten schon seit längerem, dass die Regenfälle unregelmäßiger werden. Der 76-jährige Omari Rajab Kilosa erzählt: „In den 1970ern hatten wir viel mehr Regen als heute. Wenn du heute mit der Aussaat zu spät dran bist, erntest du nichts mehr." Und die 42-jährige Salma Omari fügt hinzu: „Als meine Großmutter noch lebte, reichten uns zwei Acre Land (90 mal 90 Schritte). War der Regen gut, dann hatten wir auch immer eine gute Ernte. Aber wenn du heute nur zwei Acre Land bestellst und keinen Dünger verwendest, kommst du mit leeren Händen nach Hause."


Einerseits endet die Regenzeit zu früh – normalerweise dauert sie von November bis März. Die meisten Maissorten sind dann zwar schon ausgewachsen, aber ohne Regen verfügen sie nicht über genügend Kraft, Maiskolben zu bilden. Deshalb ist es für die Bauern wichtig, am besten mit den ersten Regenfällen die Anbausaison zu beginnen. Andererseits kämpfen sie neuerdings vermehrt mit kurzen Trockenperioden direkt nach dem ersten Regen Ende November.


Früher, so erzählen sie, konnten die Alten den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat genau bestimmen. Die Wolken mussten sich zu bestimmten Formen zusammenziehen. Hörte man dann am Abend das Zirpen einer bestimmten Grillenart, wussten sie, dass es Zeit war, den Mais auszubringen. Die Alten bestimmten dann den Tag der Aussaat und alle Dorfbewohner begannen, ihre Felder zu bestellen. Heute dagegen gibt es keine verlässlichen Anzeichen mehr für die Wetterprognose. Der Zeitpunkt ist aber so bedeutend, weil Saatgut und junge Pflanzen vor allem während der ersten Wochen regelmäßig und ausreichend Regen benötigen. Bleibt dieser aus, geht die Saat nicht auf oder die noch zarten Pflanzen verdorren. Selbst wenn Bäuerinnen und Bauern meistens mehr von der eigenen Ernte als Saatgut bewahren, als sie bei der ersten Aussaat benötigen, reicht dieses nicht für eine zweite Aussaat.

 

Hybridsaat
Das lokale Saatgut hat in der Regel eine Reifezeit von fünf Monaten. Manche Hybridsorten tragen hingegen bereits nach drei Monaten Maiskolben; haben aber gleichzeitig verschiedene Nachteile, die viele Bäuerinnen und Bauern davon abhalten, sie zu verwenden. Denn der Anbau von Hybridsaatgut ist nur mit chemischem Dünger, Herbiziden und Pestiziden möglich. Das Maissaatgut kostet pro Kilogramm 12.000 Tansanische Schilling (TSH), ein Sack Dünger á 50 Kilo ca. TSH 75.000. Um ein durchschnittlich großes Feld (90 mal 90 Schritte) zu bestellen, sind zehn Kilogramm Saatgut und zwei Säcke chemischer Dünger notwendig. Zusammengerechnet kosten die Betriebsmittel TSH 270.000 (etwa 135 Euro). Eine beträchtliche Summe, wie die Agrarberater bestätigen: „Wenn du Bauern siehst, die ausschließlich Hybridsaatgut verwenden, weißt du, dass die zu den Wohlhabenden gehören. Aber die Mehrheit kann sich das nicht leisten."


Der größte Teil der Landbevölkerung lebt von weniger als einem Euro am Tag. Zudem fällt die Aussaat Ende November/Anfang Dezember in eine Zeitspanne, die im Jahreszyklus den Beginn der Hungermonate markiert. Die Ernte liegt dann fünf Monate zurück und geht zur Neige oder ist bereits aufgezehrt. Es gibt also nichts, was verkauft werden könnte. Denn der Umfang der sorgsam zuhause aufbewahrten Maisernte wird von Jahr zu Jahr geringer.


Regelmäßig kontrollieren die Frauen, dass sich kein Ungeziefer ausbreitet. So hält sich der lokale Mais etwa neun Monate und länger. Demgegenüber lässt sich der Hybridmais schlecht lagern. Die Maiskörner sind selbst im getrockneten Zustand sehr weich und werden deshalb leicht von Schädlingen, wie dem Getreidekapuzinerkäfer, befallen. Wird der Hybridmais nicht direkt nach der Ernte in Säcke verpackt, die mit Pestiziden imprägniert sind, vernichten die Getreidekapuziner ihn innerhalb kürzester Zeit. Seitdem auf immer mehr Feldern Hybridsaatgut angebaut wird, vermehren sich die Getreidekapuziener aber von Jahr zu Jahr. Diejenigen, die Hybridmais anbauen, versuchen daher, ihren Mais möglichst direkt nach der Ernte zu verkaufen. Dann sind jedoch die Preise am niedrigsten.


Dennoch müssen die Eltern einige Monate später im Januar die jährlichen Schulgebühren für die Sekundarschulen bezahlen. Hinzu kommen Kosten für Schuluniformen, Schreibmaterial und anteilsmäßige Unkosten für Wasser, Strom, Kopien, den Nachtwächter, für Schulbänke und Tische.


Die Bäuerin Maua Elimu fasst ihre Situation so zusammen: „Die Schulkinder sind auf unsere Feldarbeit angewiesen; aber unsere Landwirtschaft reicht einfach nicht aus. Unsere Kinder gehen unter schwierigsten Bedingungen zur Schule: ohne Schulmaterial, mit leerem Magen. Dann schaffen sie den Abschluss nicht und ihnen bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: Ich kann nichts anderes, also muss wohl auch ich wieder aufs Feld."


Die Bäuerinnen und Bauern müssen sich entscheiden, ob sie ihr Geld in Hybridsaatgut und Dünger oder in die Schulbildung und Zukunftssicherung ihrer Kinder investieren. Wer sich zu Beginn der Anbausaison kein Saatgut und keinen chemischen Dünger leisten kann, versucht durch Tagelöhnerarbeit zu Beginn der Regenzeit auf den Feldern einiger bessergestellter Bauern Geld zu verdienen. Dann ist aber auch die Arbeitslast auf den eigenen Feldern sehr hoch.

 

Auswege
Klimawandel, Ökonomisierungsdruck und Bevölkerungswachstum bringen das bisherige System der kleinbäuerlichen Landwirtschaft immer stärker an seine Grenzen. Deshalb suchen viele Bauern nach Auswegen. So verwendet z.B. eine wachsende Zahl organischen Dünger oder schließt sich in Gruppen zusammen, um gemeinsam Kapital für landwirtschaftliche Betriebsmittel anzusparen. Denn die lokal vorhandenen Ressourcen und die alten Sorten reichen angesichts der veränderten Klimabedingungen, der ausgelaugten Böden und des gleichzeitigen Drucks zur Produktionssteigerung meist nicht, um die Auswirkungen dieser Veränderungsprozesse abzufangen.


Das lokale Saatgut bot den Menschen in Namtumbo bisher ein sicheres, wenn auch bescheidenes Auskommen. Die simple Logik der Saatgut-Konzerne und vieler Entwicklungsakteure, „höhere Erträge für mehr Menschen" mit Hybridsaatgutsorten zu erzielen, greift zu kurz. Die Bäuerinnen und Bauern in Namtumbo brauchen vor allem zuverlässiges, lokal angepasstes und widerstandsfähiges Saatgut für die eigene Ernährungssicherung. Dazu müssen die Saatgutzüchter sie partizipativ einbeziehen und ihre Bedürfnisse berücksichtigen.


Jonas Metzger

 

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Justus Liebig Universität Gießen. Von 2011 bis 2014 forschte er zu Saatgutsystemen und deren sozialen Dimensionen in Tansania und Namibia.