Heft 6/2015, Klimadossier: Südafrika

Sonnenenergie aus der Schultasche

LEUCHTENDE IDEEN, INNOVATIVE FRAUENPOWER UND LICHTBLICKE IN TOWNSHIPS. In Rustenburg, nahe der Platinminen nordwestlich von Pretoria, sammeln Township-Kinder Sonnenlicht in ihren quietschbunten Schultaschen. Das ermöglichen spezielle LED-Akkus. Ein kreativer Beitrag gegen den Klimawandel.

 

Die handlichen und leichten Minikollektoren stecken die Schulkinder auf die Außenseite ihrer wasserdichten und stabilen Taschen. Auf ihren langen Schulwegen laden sich die LED-Akkus auf. Jede Solarbatterie kann ganz einfach auf ein Glas geschraubt werden. Abends geben die Leuchten genug Licht ab, damit die Schülerinnen und Schüler aus verarmten Gemeinden ihre Hausaufgaben machen können. Die speziellen Solarmodule spenden bis zu zwölf Stunden helles, weiches, aber nicht blendendes Licht.

 

Rethaka – Wir gehören zusammen
Die Idee dazu hatte Thato Kgatlhanye, die in Johannesburg Wirtschaft studierte und ein Unternehmen im kreativen Recyclingbereich aufbauen wollte – etwas Neues aus dem Nichts. Sie experimentierte mit dem Design von Schultaschen aus alten Plastiktüten, denn für sie war es wichtig, dass die Taschen nicht wie Müll aussehen, sondern Kinder sie cool finden und gern tragen. Sie hatte zwischenzeitlich unter anderem bei einer Designfirma gearbeitet und orientierte sich am Konzept des „Upcycling", also der ansprechenden Gestaltung neuer Produkte aus weggeworfenem Material. So wurden die Repurpose Schoolbags 2011 geboren. Zu den Gründerinnen zählt auch Rea Ngwane, die ähnlich wie Thato Kgatlhanye damals Anfang Zwanzig war und seitdem für die Finanzen zuständig ist.


Wir nennen unser Unternehmen Rethaka, das bedeutet so viel wie: Wir gehören zusammen. Wir sind wie eine vereinte Familie, die unermüdlich daran arbeitet, tausenden afrikanischen Kindern Glück, Hoffnung und Würde zu geben. Das ist unser Ziel und dafür funktioniert unser kleines Unternehmen wie eine gut geölte Maschine. 2014 hat Thato Kgatlhanye, unsere Gründerin und Marketingleiterin, den Anzisha-Preis für wirtschaftlich erfolgreiche und sozial verantwortliche afrikanische Jungunternehmer gewonnen, wir zählten zu den zwölf Besten des ganzen Kontinents, das hat uns sehr beflügelt.


Bei uns arbeiten vor allem Frauen, aber auch zwei Männer. Wir haben keine speziellen Voraussetzungen für unsere Mitarbeiter. Wenn jemand bei uns mitmachen will, kann er oder sie als Volontär anfangen. Wenn die Volontäre fähig sind, Freude an der Arbeit finden und ihre Kompetenzen weiterentwickeln wollen, stellen wir vielversprechende Talente mit einem Arbeitsvertrag auf Probe ein.


Rethaka umfasst ganz verschiedene Arbeitsbereiche: Dazu zählt das Sammeln, Säubern und Aufbereiten benutzter Plastiktüten. Wir haben eine spezielle Recyclingmethode entwickelt, um aus den alten Tüten bei hoher Temperatur das Grundmaterial für die Schultaschen zu pressen. Pro Tasche brauchen wir etwa zwanzig Tüten. Aus speziell entwickelten farblichen Plastiktextilien nähen unsere Mitarbeiterinnen dann schicke, hellbunte Schultaschen für die Kinder. Das Design ist am Alter der Kinder orientiert. Alle Taschen sind wasserdicht, das ist ein großer Unterschied zu den einfachen Plastiktüten, in denen die Mehrzahl aller südafrikanischen Kinder ihre Schulsachen transportiert. In der Regenzeit werden Hefte und Bücher auf den langen Schulwegen leicht durchtränkt und sind rasch unbrauchbar. Deshalb ist Rethaka regenundurchlässiges Material wichtig.


Unsere Mitarbeiterinnen statten jede Tasche auch mit Reflektoren aus, damit die Kinder besser von Autos gesehen werden, wenn ihr Schulweg entlang stark befahrener Straßen verläuft. Schließlich hat Südafrika im weltweiten Vergleich eine der höchsten Raten an Verkehrsunfällen. Manche Statistiken gehen von drei Kindern aus, die täglich angefahren werden und gar zu Tode kommen. Und das, wo über 11,4 Millionen Kinder täglich zur Schule laufen müssen.

 

Arbeitsplätze für Township-Frauen
Zur Zeit beschäftigen wir fünfzehn Menschen. Für das fest angestellte Personal bieten wir regelmäßige Fortbildungen in unserem Unternehmen an, so dass alle möglichst viele Arbeitsbereiche kennenlernen und sich neue Fertigkeiten aneignen. Gerade die Kreativität der Frauen ist eine wichtige Basis für die gemeinsame Weiterentwicklung; sie gibt ihnen auch die Kraft, aus ökonomischen Abhängigkeiten herauszukommen und nicht länger Bittstellerinnen zu sein. Uns geht es vor allem darum, Frauen aus den Townships regelmäßiges Einkommen und wirtschaftliche Perspektiven zu geben. Wir sind aber kein Hilfsprojekt, sondern ein sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges Unternehmen. Dafür arbeiten wir mit anderen Firmen und Sponsoren zusammen, die unsere Arbeit fördern. Da steckt viel Recherchearbeit drin, denn wir suchen gezielt nach anderen Unternehmen, denen Frauenförderung, handwerkliche Kompetenzen, Bildung und Situationsverbesserung von Kindern wichtig sind. Wir nennen sie „gebende Partner", die in Arbeitsplätze von Frauen und Ausbildung von Kindern investieren. Dazu leisten wir Überzeugungsarbeit, damit sie die Schultaschen mit Solarkollektoren für eine Schulklasse oder zumindest für etliche Kinder bezahlen. So finanzieren wir unsere Arbeit.


Denn die Schultaschen mitsamt der kleinen Solarkollektoren sind für die Kinder kostenlos. 2014 nähten wir mehrere hundert dieser Rucksäcke. In diesem Jahr haben wir über 4000 Taschen hergestellt und an marginalisierte Kinder und ganze Schulklassen verteilt. Unser Plan ist, in Zukunft auch Designertaschen herzustellen, mit jedem Kauf finanziert eine Kundin dann eine Schultasche für ein Kind. Auch Taschen für Geschäftsleute stehen auf unserem Plan – nach einem ähnlichen Modell wie die Designertaschen, die dann auch Schultaschen mitfinanzieren. Die Herstellungskosten pro Schulrucksack betragen etwa 250 Rand, das sind derzeit etwa 16 Euro. Gern würden wir zwölf weitere Mitarbeiterinnen einstellen und unsere Produktion ausweiten – nicht nur für Schulkinder in Südafrika, sondern auch in anderen afrikanischen Ländern, denn dort die sind Probleme ähnlich. Dafür brauchen wir weitere Unternehmer und andere Partner, die unsere Arbeit fördern.

 

Lichtblicke
Die Solarlampen sind nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern oder Großeltern wichtig. Das betonen sie uns gegenüber immer wieder, wenn wir in Townships unterwegs sind, um unsere leuchtenden Schultaschen vorzustellen. Der Kauf von Kerosin und Kerzen belastet die Haushaltskassen der armen Familien. Zudem sind diese kostspieligen Energiequellen nicht ungefährlich, vor allem wenn Kleinkinder den älteren Geschwistern beim Schreiben und Rechnen zuschauen oder an dem beleuchteten Tischen abends spielen wollen. Nur wenige Haushalte in den Townships und informellen Wellblechsiedlungen verfügen über einen Stromanschluss. Gerade die Bewohner dieser Squattercamps können sich keinen Strom leisten, auch für die Township-Familien sind die rasant steigenden Strompreise eine große Belastung. Bei den immer häufigeren Stromausfällen wegen der unzulänglichen Elektrizitätsversorgung seit November 2014 müssen auch sie auf Kerzen und Kerosin zurückgreifen. Um so wichtiger sind die Solarlampen der Schulkinder, denn die LED-Akkus haben eine Lebensdauer von 3-4 Jahren, je nachdem, wie häufig sie im Einsatz sind. Das hervorragende Material dieser „Consol Solar Jar" ermöglicht es, dass sich die Akkus sogar an bewölkten oder verregneten Tagen aufladen.


Wir verwenden qualitativ hochwertige und langlebige LED-Akkus und Schraubgläser, die von einem sozial engagiertem Unternehmen in Johannesburgs Township Alexandra und in Soweto weitgehend in Handarbeit angefertigt werden. 55 Menschen, die zuvor arbeitslos waren, fanden dadurch einen Arbeitsplatz. Insgesamt beschäftigt das südafrikanische Glasunternehmen Consol mehrere Tausend Arbeitskräfte, es praktiziert Black Economic Empowerment. Die Gläser werden übrigens vor allem aus lokalen Materialien hergestellt und sind vollständig recycelbar.

 

Kooperation mit Schulen und Stadtverwaltung
Wir haben unser Büro in Rustenburg und unsere Werkstatt im Township Tlhabane nahe der Stadt angesiedelt, weil die Gründerinnen hier aufgewachsen sind. Das ist ihr Zuhause. Die Stadtverwaltung Rustenburg, die zur Nord-West-Provinz zählt, und wohlhabende Schulen helfen uns, denn sie sammeln weggeworfene Plastiktüten ein, etwa an Tagen zum Umweltschutz. So leisten die reicheren Schüler einen praktischen Beitrag zur Sauberkeit in der Stadt und zu einer lebenswerten Umwelt. Gleichzeitig sind die Tüten wichtige Rohstoffe für unsere Schultaschen. Zudem sind wir immer auf der Suche nach neuen Partnern, Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen, mit denen wir ganz praktisch gemeinsam eine solide Grundlage für die Ausbildung der Kinder schaffen können und die uns helfen, Sonnenenergie zu nutzen und etwas gegen den Klimawandel zu tun.


Phemelo Segoe

 

Die Autorin ist Mitarbeiterin von Rethaka.
http://www.repurposeschoolbags.com/