Heft 6/2015, Klimadossier: Südafrika

Turbulente Energiejahre

SÜDAFRIKA STEHT AM SCHEIDEWEG. Etwa sieben Millionen Menschen verfügen über keinen Strom. 85 Prozent des Stroms werden mit dreckiger Kohle produziert. Das Land könnte zum internationalen Vorreiter der regenerativen Energien werden. Doch mächtige Industrieinteressen würden lieber eine afrikanische Renaissance der Atomkraft sehen.

 

Seit November letzten Jahres erlebt Südafrika eine einschneidende Energiekrise, in deren Verlauf immer wieder ganze Stadtteile für mehrere Stunden vom Stromnetz genommen werden. Vielerorts geht dann das Licht aus, dröhnen Generatoren, entsteht Verkehrschaos, da die Ampeln ausfallen. Der Stromkonzern Eskom versucht die Zeitspannen für den Einzelnen auf drei Stunden reduziert zu halten. Das Abtauen von Gefrierschränken soll so vermieden werden. Load-Shedding wird diese Maßnahme genannt, zu Deutsch: Lastabwurf.


Das gezielte Abschalten von Stromnetzen ist notwendig geworden, da Südafrikas Energiebedarf mittlerweile die gesamte zur Verfügung stehende Produktionskapazität des Landes in Anspruch nimmt. Was auf den ersten Blick wie eine ausgewogene Situation zwischen Produktion und Abnahme erscheint, ist tatsächlich ein Tanz auf dem Drahtseil. Wenn ein Kraftwerk zu Kontroll- und Wartungsarbeiten heruntergefahren wird, kann dies kaum noch kompensiert werden. Um einen kompletten Kontrollverlust zu vermeiden, werden daher notwendige Revisionen auf das Wochenende gelegt, da der Energiebedarf dann geringer ausfällt. Oft reicht dies aber nicht aus; das ist der Zeitpunkt, zu dem die sich Ingenieure gezwungen sehen, zusätzlich ganze Stadtteile vom Netz zu trennen.


Load-Shedding gegen den Blackout
Es besteht also ein großer Lösungsbedarf. Nicht nur, weil die derzeitige Situation enorme Einschnitte für das Wirtschaftsleben bedeutet und die Nachrichten voll sind von alarmierenden Berichten über Häuserbrände, ausgefallene Alarmanlagen und gruselige Einzelschicksale, bei denen die Backup-Batterien von lebenserhaltenden medizinischen Geräten ausfielen. Sondern auch, weil die Angst vor einem viel düstererem Gespenst umgeht. Denn Load-Shedding ist die finale Maßnahme, mit der sich ein Stromnetzbetreiber gegen einen Blackout verteidigen kann. Geht der Lastabwurf schief, folgt eine Kettenreaktion, die das gesamte Stromnetz lahmlegen wird. Es würde wohl mindestens zwei Wochen dauern, das gesamte System wieder hochzufahren. Die Konsequenzen dessen lassen sich bloß erahnen.


Um diesem Problem langfristig zu begegnen, muss die Stromproduktion nach Expertenmeinung innerhalb der nächsten 30 Jahre verdoppelt werden. Von derzeit 45 GW auf 90 GW Gesamtleistung. Zum Vergleich – das gerade in Hamburg ans Netz gehende Steinkohlekraftwerk Moorburg, das zu den größten Europas zählt, soll ca. 1,6 GW einspeisen. Und die 10.000 derzeit in Deutschland drehenden Windkrafträder produzieren ca. 6,9 GW. Um die ambitionierten Ziele erreichen zu können, müsste in Südafrika jährlich ein Kohlekraftmeiler der Größe Moorburgs oder insgesamt die ca. sechsfache Anzahl der in Deutschland vorhandenen Windräder aufgestellt werden.


Tobias Bischof-Niemz gehört zu den Menschen, die an einer Lösung für dieses Problem arbeiten. Er war als Berater unter anderem für die Vereinten Nationen, den südafrikanischen Stromgiganten Eskom und die Boston Consulting Group tätig. Sein Fachgebiet: die Integration von erneuerbaren Energien in ein bestehendes Stromnetz. Heute berät er direkt die südafrikanische Regierung und hat den Auftrag, einen zweihundertköpfigen Thinktank aufzubauen, der Lösungen für die Energiemisere erarbeiten und Konzepte für den Aufbau von Wind- und Solarkraftanlagen vorlegen soll.


Sonne und Wind im Überfluss
Nun gibt es Sonne und Wind in Südafrika ganzjährig im Überfluss, wodurch die Aufgabe recht banal anmutet. Zumal genügend Flächen zum Bebauen vorhanden sind und unter der derzeitigen Situation auch kaum mit Bürgerinitiativen zu rechnen ist, die sich gegen einen Ausbau der Stromversorgung wenden. Doch die Aufgabe ist alles andere als einfach.


Derzeit kommen knapp 85 Prozent des südafrikanischen Stroms aus Kohlekraftwerken. Das Netz ist zu einem großen Teil stark veraltet, die Menschen sind an einen unseriös niedrigen Strompreis gewöhnt. Außerdem gibt es keine Nachbarländer, die Schwankungen im Stromnetz auffangen, und keine flexiblen Gaskraftwerke, die dynamisch auf Lastspitzen reagieren könnten. Das bedeutet: Eine Lösung für Südafrika muss nicht nur eine drastische Erhöhung der Kapazitäten leisten, sondern diese auch auf einem soliden Fundament aufbauen und zu einem bezahlbaren Preis liefern. Es ist also eine ganz andere Ausgangssituation, als die, die Deutschland vor rund zehn Jahren erlebte, als man sich hierzulande für die Energiewende entschied.


„Das EEG war eine der effektivsten Entwicklungshilfemaßnahmen aller Zeiten"
Dennoch zieht Bischof-Niemz eine gehörige Portion Optimismus aus dem deutschen Jahrhundertprojekt Energiewende. Allerdings sind für ihn nicht, wie man vermuten mag, der generierte Wissensschatz oder die bereitstehende Energieindustrie ausschlaggebende Faktoren. Es ist vielmehr der unschlagbar günstige Preis, zu dem heute regenerative Energie produziert werden kann.


„Wenn über die Auswirkung des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) diskutiert wird, wird meistens nicht berücksichtigt, dass durch die Milliarden, die von den deutschen Stromkunden in das EEG eingezahlt wurden, die Kosten für Wind- und Solartechnologien sich soweit reduziert haben, dass diese Technologien nun fast auf der gesamten Welt konkurrenzfähig sind. Dies gilt vor allem auch in Afrika. So gesehen kann man mit Recht behaupten, dass das EEG eine der größten und effektivsten Entwicklungshilfemaßnahmen aller Zeiten war", stellt Bischof-Niemz mit einem gewissen Stolz in der Stimme fest.


In Südafrika ist damit ein historischer Moment erreicht: Selbst ohne staatliche Subventionierung produzieren hier Solar- und Windkraftanlagen Strom zu einem günstigeren Preis als Kohlekraftwerke. Und das bei Planungs- und Bauphasen für solche Wind- und Solarparks, die nicht länger als ein Jahr andauern, und Gewinnen, die ab dem ersten Jahr fließen.


Bischof-Niemz vertraut daher auf die Macht des Marktes. Schafft es Südafrika, das Stromnetz dahingehend zu modernisieren, dass individuelle Strommengen eingespeist werden können, wird durch die hohe Nachfrage an Strom und die günstigen Produktionskosten schnell ein Wachstumsmarkt einsetzen. Der Gewinnhunger von Investoren wird dann sein übriges tun.


Und wie bei jedem Gewinn versprechenden Wachstumsmarkt sind auch bei diesem Experten gefragt. Bereits jetzt sind über einhundert deutsche Unternehmer in Südafrikas Energiesektor tätig. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner nach China, insbesondere im Bereich der Hochtechnologie besitzt es einen guten Ruf.


Ein großes Thema abseits aller staatlichen Auflagen liegt in der Etablierung von Energieeffizienz und Management. Der jahrzehntelange niedrige Strompreis führte dazu, dass in vielen Unternehmen und Privathaushalten kein Bewusstsein von Stromsparen vorhanden ist. Durch steigende Kosten ändert sich dies derzeit. Die wiederkehrenden Stromausfälle tun ihr übriges. Dadurch entwickelt sich ein steigendes Interesse nach Expertenwissen, das modernes Energiemanagement in Unternehmen und Fertigungsläufe von Fabriken bringen kann. Nach konventionellen Schätzungen liegt Südafrikas derzeitiges Einsparpotenzial bei einem Äquivalent von zwei Kohlekraftwerken.


Grundlast und andere Marktbremsen
Es ist allerdings nicht so, dass alle Verantwortlichen den Erneuerbaren mit voller Kraft den Weg ebnen würden, wodurch die Perspektive eingetrübt wird. Eine große Hürde stellen die Kommunen dar, die sich schwer mit den notwendigen Genehmigungen tun.


Der südafrikanische Strommarkt wird durch den staatseigenen Monopolisten Eskom kontrolliert. Allerdings ist dieser in vielen Fällen nicht der direkte Vertragspartner der Endkunden. Als Zwischenhändler fungieren die Kommunen, die den Strom an ihre Bewohner weiterverkaufen. Dieser Handel generiert oft über 50 Prozent der gesamten städtischen Einnahmen. Zwar sind die offiziellen Gründe mit vielerlei technischen Begriffen gespickt; doch viele Kritiker sind sich sicher, dass der wahre Grund die Furcht vor dem Erfolg ist. Denn Eigenproduktion und Verkauf von Strom könnten massenhaft zur Nachahmung führen – die bislang hierarchisch organisierte Vermarktung könnte durch ein anarchisch anmutendes Modell verdrängt werden, das die kommunale Finanzlage mittelfristig austrocknen könnte. Privatpersonen bleibt aufgrund des für sie komplexen Genehmigungsverfahrens so nur eine legale Lösung – die komplette Abkopplung vom Stromnetz und der Aufbau einer eigenen autarken Stromversorgung. Eine Lösung, die nicht nur abschreckend für den Einzelnen ist, sondern auch absurd in einem Land anmutet, das unter einer Energiekrise leidet.


Neben den Kommunen gibt es insbesondere in der wichtigen Minenindustrie mahnende Stimmen, deren Hauptaugenmerk nicht auf der Umweltverträglichkeit, sondern auf der permanenten Verfügbarkeit von Strom liegt. Gebetsmühlenartig wird die Forderung nach Grundlast in diesen Kreisen wiederholt. Denn die großen Verbraucher benötigen eine schwankungsfreie Energieversorgung und sind skeptisch, ob diese durch Wind- und Solarstrom gedeckt werden kann.


Ausbau der Atomindustrie
Eine Situation, in der die seit Apartheidzeiten existierende Atomindustrie zu neuem Leben erweckt werden soll. Noch in der Woche nach der verheerenden Nuklear-Katastrophe in Fukushima verkündete die südafrikanische Regierung, die nuklearen Kapazitäten des Landes um 9.600 MW ausbauen zu wollen, was sechs neuen Reaktoren entspricht. Diese sollen bis spätestens 2030 errichtet sein und ans Netz gehen. Mit dem Ausbau der Atomkraft soll ein wegweisender Grundstein der zukünftigen Energieversorgung gelegt werden. Grundlastfähig und sauber, behaupten die Befürworter; Machtstruktur erhaltend und hochgefährlich, erwidern die Kritiker.


Natürlich käme es der Atomindustrie sehr gelegen, wenn Südafrika tatsächlich neue Kernkraftwerke bauen würde. Denn neben den direkten und sehr lukrativen Aufträgen lockt die Energieversorgung eines ganzen Kontinents. Rund 22 afrikanische Länder haben ein potenzielles Interesse an der Hochrisikotechnologie verkündet. Wen wundert es da, dass Südafrika derzeit ein „Stelldichein" der entsprechenden Konzernvertreter erfährt, die auf Konferenzen und hinter verschlossenen Türen mit hochrangigen Regierungsvertretern verhandeln? Denn Südafrika gilt als Vorreiter fu?r andere afrikanische La?nder. Sollte es tatsächlich seine Atomkraftkapazitäten ausbauen, gilt es als unausweichlich, dass andere afrikanische Staaten diesem Vorbild folgen werden. Dabei geht es nicht nur um den Bau der Kraftwerke selbst, sondern um eine gesamtafrikanische Versorgungskette – die auch umweltzerstörende neue Abbaugebiete von Uran, dessen riskante Anreicherung und über Millionen Jahre strahlenden Müll beinhalten würde.

 

African Leapfrogging
Das Auslassen von technischen Entwicklungsschritten wird in der Wissenschaft bildlich als „Leapfrogging" bezeichnet. Das ist immer dann der Fall, wenn eine Nation, einem Frosch gleich, über Entwicklungshürden und Phasen hinwegspringt, um auf dem fortschrittlichsten Entwicklungsstadium zu landen. Nur, dass es sich dabei natürlich nicht um Bachläufe, sondern beispielsweise um die Einführung eines leistungsstarkem Mobilfunknetzes handelt.


Es ist zugegebenermaßen ein großer Sprung, der im Bezug auf die Energieversorgung ansteht. In Südafrika wurde mittlerweile von Eskom die Eskalationsstufe 3 ausgerufen, die höchste Risikostufe für einen drohenden Blackout. Es gibt Berichte, wonach Menschen aus anderen afrikanischen Ländern nicht nur aus den Townships und informellen Siedlungen gejagt werden, weil man ihnen vorwirft, Arbeitsplätze zu stehlen, sondern weil sie Elektrizität konsumieren. Und die wird, wie Trinkwasser, immer mehr zur Mangelware.


Katja Becker, Jean-Jacques Schwenzfeier, Jonathan Happ

 

Die Autorin und ihre Kollegen sind Filmemacher. Ihr ins Südafrika gedrehter Film zu den Hinterlassenschaften und Folgen des Uranabbaus und die hitzige Debatte um die zukünftige Energieversorgung – Arbeitstitel „Legacy Warnings!" – wurde erstmals auf der Konferenz „Nuclearisation of Africa – Impact of Uranium Mining on Health and Environment" vom 16.-19. November in Johannesburg uraufgeführt. Weitere Aufführungen sind in Südafrika und Deutschland geplant. http://www.ujuzi.de.