ACHILLE MBEMBE UND DIE THEORIE DES POSTKOLONIALISMUS
Der Philosoph und Historiker Achille Mbembe, 1957 in Kamerun geboren, gehört zu den einflussreichen Vordenkern Afrikas. Mbembe ist weltweit unterwegs, er lehrte an verschiedenen Universitäten der USA und forscht heute am Wits Institute for Social and Economic Research an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. Wie sein senegalesischer Kollege Felwine Sarr ist auch Mbembe ein weltgewandter „Afropolitan". Beide nehmen ihre Herkunft zum Anlass, um über die „conditio humana" nachzudenken. Sie haben in Dakar Denkwerkstätten eingerichtet, in denen die „Afrikanisierung der globalen Frage" debattiert wird.
„Die Zeit scheint für uns zu arbeiten. Es gibt in der heutigen Welt kein 'Zentrum' mehr, das Gesetze erlässt und dem Rest seinen Willen aufzwingt, auch wenn es natürlich immer noch Herrschaftsdomänen gibt", meint Mbembe in einem Interview mit der französischen Libération (5.7.2017). „Eine der Stärken der neuen Bewegungen des afrodiasporischen Denkens ist es, an Schnittstellen zu arbeiten. Denn wo immer sie sind, diese Denker sind sowohl drinnen als auch draußen und gehören mehreren Welten gleichzeitig an, sie sind in der Lage, einen neuen Diskurs zu artikulieren."
Mbembe bezieht sich dabei auf Nadia Yala Kisukidi, Elsa Dorlin, Francoise Vergès, Mamadou Diouf, Hourya Bentouhami, Abdourahmane Seck oder Pap Ndiaye, alles Namen, die einem deutschen Publikum weniger bekannt sein dürften, die aber in der französischsprachigen afrikanischen Diaspora zu den kritischen Denkern gehören, die eine Antwort auf brennende Fragen wie Islam, Staatsbürgerschaft, Rassismus, Lage der Minderheiten oder Gender geben.
Während Felwine Sarrs „Afrotopia" noch auf eine deutsche Übersetzung wartet, wird Achille Mbembe hierzulande bereits rezipiert. Bekannt wurde er mit seiner „Kritik der schwarzen Vernunft" (Suhrkamp, Berlin 2014), ein Titel, der sich an die „Kritik der reinen Vernunft" von Immanuel Kant, dem Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Meilenstein der Erkenntnistheorie, anlehnt. Für sein Buch wurde Mbembe 2015 mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.
In dem Essay zeigt er auf, wie sich der globale Kapitalismus seit dem Beginn der Neuzeit aus dem transatlantischen Sklavenhandel entwickelt hat. Man mag über Begriffe wie „Rasse" und „Neger" stolpern, Mbembe behandelt sie jedoch als „reale Fiktionen". „Das Wort Neger bezeichnet ursprünglich ein Objekt, das verkauft werden kann. Neger ist also ein anderes Wort für Ware. Ich verwende es als analytische Kategorie. Neger ist ein Synonym für die Unterdrückten dieser Erde", so Mbembe in einem Interview mit dem Spiegel (11/2017). „Die Universalisierung der 'conditio nigra' ist ein konstitutives Moment der Moderne. Man könnte auch sagen: Die Welt wird schwarz." In seiner neoliberalen Spielart überträgt der Kapitalismus die Figur des „Negers" auf die gesamte „subalterne Menschheit". Je entfesselter der Kapitalismus und die digitale Globalisierung sich ausbreiten, desto schneller verwandeln sich Menschen laut Mbembe in Objekte, „in digitale Daten und Codes". Im weltumspannenden Imperium des neoliberalen Kapitalismus sei auch Europa nur eine weitere Provinz.
So wie Felwine Sarr sieht, dass Europa „die Puste ausgeht" und es von seinem „falschen Sockel steigen" und auf die „Schule der Welt" gehen müsse (Libération, 5.7.2017), so glaubt auch Mbembe, dass die globalen Herausforderungen nur gelöst werden können, wenn auch die „afrikanische Dimension" der Welt berücksichtigt werde. Afrika als Labor für die Zukunft: „Das mag ziemlich erstaunlich erscheinen, aber Afrika gibt einen Vorgeschmack auf die die kommende Welt. Es gibt eine afrikanische Zukunft unseres Planeten, der das kritische Denken des 21. Jahrhunderts als eigene Frage gegenüberstehen wird." (ebd.)
In „Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonisiertes Afrika" (Suhrkamp, Berlin 2016) vertieft Achille Membe seine radikale Kritik der Entkolonialisierung. Während der „Afropolitanismus" nach dem postkolonialen Stadium in ein neues Zeitalter der Zerstörung und der Zirkulation getreten sei, das „durch die Intensivierung von afrikanischen Migrations- und neuen Diasporabewegungen auf der ganzen Welt gekennzeichnet" sei (S. 279), haben die Europäer womöglich zwar Afrika entkolonisiert, aber nicht sich selbst. Noch schärfer zeichnet er in seinem neusten Essay „Politik der Feindschaft" (Suhrkamp, Berlin 2017) das Ende der liberalen Demokratie oder deren Verkehrung auf. Ausgehend von den psychiatrischen und politischen Analysen Frantz Fanons, die dieser in den 1950er-Jahren in Algerien gemacht hat, zeigt Mbembe, wie Krieg und Gewalt als Folge der Konflikte um die Entkolonisierung des 20. Jahrhunderts zur Signatur unserer Zeit geworden sind, die von der obsessiven Suche nach einem Feind gekennzeichnet ist.
Europa sei zwar keine untergehende Welt. Aber es sei müde und von nachlassender Lebenskraft, endet er sein Essay „Ausgang aus der langen Nacht". „Sein Geist hat an Gehalt verloren, extreme Formen des Pessimismus, des Nihilismus und der Leichtfertigkeit haben ihn aufgerieben. Afrika sollte seinen Blick auf etwas Neues richten. Es sollte die Bühne betreten und zum ersten Mal tun, was früher nicht möglich gewesen ist. Und das wird es in dem Bewusstsein tun, dass dadurch für es selbst und für die Menschheit neue Zeiten anbrechen."
Lothar Berger
Achille Mbembe:
Kritik der schwarzen Vernunft. Suhrkamp Verlag 2014, 332 Seiten, 28.- Euro.
Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonisiertes Afrika. Suhrkamp Verlag 2016, 302 Seiten, 28,- Euro
Politik der Feindschaft, Suhrkamp Verlag 2017, 235 Seiten. 28,- Euro