Heft 6/2017, Tansania

Autoritarismus á la Magufuli

STEUERT TANSANIA UNTER PRÄSIDENT MAGUFULI AUF EINE DIKTATUR ZU? Sozioökonomische Maßnahmen und Kampf gegen Korruption stehen in Tansania einer zunehmenden Verengung des politischen Raums und wachsender Repressionen gegenüber. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich ein Rückblick auf zwei Jahre Präsidentschaft von John Pombe Magufuli. Wobei das Pendel eher auf die autoritäre Seite ausschlägt.

In den letzten Monaten häuften sich die Meldungen sowohl in ihrer Frequenz als auch in ihrer Intensität. Gab es seit längerem schon Nachrichten über Anschuldigungen, willkürliche Verhaftungen, Verhöre von Politikern und das Verbot von Parteiversammlungen, sorgte der Mordanschlag auf Tundu Lissu im September für (inter)nationale Aufmerksamkeit. Lissu ist Abgeordneter der größten Oppositionspartei Chadema und Präsident der Tanganyika Law Society. Zuletzt wurde am 31. Oktober 2017 der populäre Parteichef und einzige Parlamentsabgeordnete der kleinen linken Partei Alliance for Change and Transparency (ACT Wazalendo), Zitto Kabwe, für einen Tag verhaftet. Grundlage war eine Passage des Statistics Act 2015, wonach eine Institution oder Person sich strafbar macht, wenn sie offizielle Statistiken unter Verzerrung der Fakten veröffentlicht. Dabei hatte Kabwe lediglich auf Parteiveranstaltungen und unter Nutzung von Medien gesagt, das Wirtschaftswachstum Tansanias liege im zweiten Quartal bei 5,7 anstatt bei den offiziell angegebenen 7,8 Prozent.

Spiegelbild zunehmender Repression
Die Verhaftung von Kabwe ist ein anschauliches Beispiel für die zunehmende Repression. Mehrfach wurde der Politiker in den vergangenen Jahren bereits bedroht. Trotz seiner jüngsten Freilassung musste er wiederholt bei der Polizei vorstellig werden. Ein Schicksal, das auch den aktuellen ACT-Vorsitzenden Jeremiah Maganja und die Generalsekretärin Dorothy Semu ebenso wie das gesamte Zentralkomitee ereilte. Am 8. November wurde die Parteizentrale in Daressalam von der Polizei durchsucht. Dabei wurden Computer und Materialien sowie Pressemitteilungen beschlagnahmt.
Bei der ACT handelt es sich um eine relativ junge Partei, die erst vor drei Jahren gegründet wurde. Mit ihrem politischen Manifest, der Tabora-Deklaration, nimmt sie direkten Bezug auf die soziopolitischen Ziele der Arusha-Deklaration von 1967. Diese gilt als wichtiges Dokument einer Politik des Afrikanischen Sozialismus unter dem ersten Präsidenten Julius Nyerere. Insbesondere engagiert sich Kabwe seit Jahren im Kampf gegen Korruption und für Transparenz in der Politik. In seiner Zeit als Chadema-Abgeordneter und Vorsitzender des parlamentarischen Rechnungsprüfungsausschusses deckte er unter anderem Korruption innerhalb der Regierung im Zusammenhang mit einem Treuhandfonds für die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Tanesco auf. Nach seinem Ausschluss aus der Chadema 2015 – er hatte auch Parteimitglieder der Korruption bezichtigt – wurde er Vorsitzender der von ihm mit gegründeten ACT.
Die Verhaftungen läuten eine neue Ära der politischen Auseinandersetzung ein. Das zeigt sich daran, dass Präsident Magufuli Mitte dieses Jahres eine Schwächung der ACT vornehmlich durch Ernennung von Parteikadern erreichen wollte. Die seinerzeit agierende ACT-Vorsitzende Anna Mghwira wurde zur Kommissarin der Region Kilimanjaro und das Vorstands- und Gründungsmitglied Prof. K. Mkumbo zum Staatssekretär im Wasserministerium berufen. Solche Positionen waren bis dato nur Mitgliedern der regierenden Chama Cha Mapinduzi (CCM) vorbehalten.

Magufulis Errungenschaften und Selbstbild
Der zunehmenden Repression steht die Sichtweise der Regierung auf die ersten zwei Jahre der Präsidentschaft Magufulis entgegen. In einem offiziellen Statement der Regierung vom 5. November 2017, nur wenige Tage nach der Verhaftung Kabwes, wurden die zehn umfangreichsten Errungenschaften seit Beginn der Präsidentschaft veröffentlicht. Darunter fallen die gewachsene Disziplin der öffentlich Bediensteten, Kontrolle über Staatsausgaben, Schutz der natürlichen Ressourcen und neue Bergbaugesetze, die verringerte Anzahl an Auslandsreisen durch Regierungsmitglieder, Verbesserungen in den sozialen Dienstleistungen wie freie Bildung oder Infrastrukturprojekte sowie erste Schritte zur Standard Gauge Railway, der geplanten Eisenbahnstrecke von Daressalam nach Morogoro. Ansehen gewann Magufuli auch, da er sich der Unterschrift unter die kritisierten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit der Europäischen Union verweigerte.
Besonders die Auseinandersetzung mit dem Bergbauunternehmen Acacia zeigt eine durchaus zu begrüßende politische Haltung. Proben aus beschlagnahmten Containern der kanadischen Firma Acacia Gold Ltd im Hafen von Daressalam hatten gezeigt, dass der wahre Gehalt an Edelmetallen unterdeklariert wurde und somit Steuern hinterzogen wurden. Darauf hat die Regierung verantwortliche Personen entlassen und das Parlament gesetzliche Änderungen beschlossen. In einem Abschlussbericht kritisierte die eingesetzte Kommission unter anderem die zu geringen Abgaben und Steuern. Damit greift diese viele Argumente von Kritikern bisheriger Wirtschaftspolitiken auf. Nach den neuen Gesetzen können Verträge mit Bergbauunternehmen neu (nach)verhandelt werden, was in dem Fall Acacia mit dem kanadischen Mutterkonzern Barrick-Gold bereits geschah.
Magufuli beherrscht es, sich als „knallharter Erneuerer" und „starker Mann" zu inszenieren. Bereits während des Wahlkampfes 2015 stellte er sich als Person und nicht die Regierungspartei CCM in den Mittelpunkt. Sicherlich weil er wusste, dass der schlechte Ruf der Partei seine Chancen schmälern würde. „Hapa kazi tu" – „Jetzt an die Arbeit", lautete sein Wahlslogan. Ähnlich agiert er seit Übernahme des Präsidentenamtes. Er entließ „Geisterarbeiter" und tauchte unangemeldet in öffentlichen Institutionen auf.
Magufuli fackelte nicht lange. Endlich griff ein Präsident Themen der einfachen Bevölkerung auf und nahm Wahlversprechen ernst. Das brachte ihm Sympathien ein, auch unter den Wählerinnen und Wählern, die nicht für ihn gestimmt hatten. Dafür sah man über erste autoritäre Anzeichen hinweg, bagatellisiert diese als „Kollateralschäden". Auch wurde toleriert, dass einzelne Wahlversprechen wie die angekündigte Aufnahme des Verfassungsprozesses noch nicht erfolgten.
Bei den Entlassungen achtet Magufuli nicht auf CCM-Parteimitgliedschaft, er nimmt sich ebenso parteinterne Kritiker vor. So etwa den früheren CCM-Minister für Information und Medien, Nape Nnauye, nachdem dieser das Eindringen in einen Radiosender durch einen Regionalmitarbeiter der Regierung in Begleitung von bewaffneten Sicherheitskräften kritisiert hatte, um die Ausstrahlung einer Nachricht zu erzwingen. Damit kreiert Magufuli – auch innerparteilich – ein Klima der Angst, das jede Form von Kritik im Keim erstickt. Dabei scheint sein Politikstil noch anzukommen. Auch wenn die Zustimmungswerte nachlassen, liegen diese noch über 70 Prozent und deutlich über denen für die Arbeit der CCM und des Parlamentes.

Auf dem Weg zur Diktatur 2.0?
Es sind sein politisches Agieren und durchaus „Erfolge", die das Phänomen Magufuli schwer zu greifen lassen. Die Widersprüchlichkeit erlaubt kein Schubladendenken. Er kann nicht in das Fach (früherer) Diktatoren vom Schlage eines Mobutu Sese Seko in Zaire (heute DR Kongo) oder Teodoro Obiang in Äquatorialguinea, gekennzeichnet durch Klientelismus, Elitenförderung und Selbstbereicherung, gesteckt werden. Trotz aller Repressionen sprechen daher Oppositionspolitiker wie Kabwe zurzeit noch von „weiteren Schritten zu einer diktatorischen Tendenz".
Es könnte daher überspitzt formuliert werden, dass Tansania auf eine Diktatur 2.0 zusteuert. Deren Deutlichkeit zeigt sich einerseits in der Propagierung und teilweisen Umsetzung eines „developmental state" oder in seinem Kampf gegen Korruption, andererseits in der massiven Verengung des demokratischen Handlungsspielraumes, von denen politische Akteure und Medien betroffen sind. Zu nennen ist das stark kritisierte und vage formulierte Cyber Crime Law, das die Veröffentlichung von falschen Daten oder Informationen in Bild-, Schrift-, oder Symbolform in Computersystemen als Straftat deklariert. Derzeit werden 9.440 Fälle von Internetkriminalität durch die Polizei verfolgt.
Zudem sind Liveübertragungen von Parlamentsdebatten verboten. Den Ausschluss von Fernsehteams kritisierten damals Kabwe und sechs Chadema-Oppositionsabgeordnete. Sie forderten Live-Übertragungen aus dem Parlament. Dies wurde als „Störung der Geschäftsordnung" innerhalb des Parlaments gewertet und führte wiederum zu einem halbjährlichen Ausschluss der sieben Abgeordneten von Parlamentsdebatten in 2016.
Im gleichen Jahr wurde ein neues Mediengesetz verabschiedet. Unter diesem können unter anderem einzelne Artikel verboten werden. Angewandt wurde das Gesetz bereits gegen die Wochenzeitung „Mawio". Daneben wurden Versammlungen politischer Parteien verboten und ein angekündigtes neues Parteiengesetz lässt alles andere als Gutes erwarten. Auch in seiner Wirtschaftspolitik setzt Magufuli eher auf „Basta"-Entscheidungen anstatt einer Orientierung an Gesetzen. Trotz bisher fehlender Verträglichkeitsstudien und Protesten soll der umstrittene Stiegler's Gorge-Staudamm im Selous Game Reserve, dem größten kontrollierten Wildschutzgebiet Afrikas und Unesco-Weltnaturerbe, vorangetrieben werden. Dieser wird – wie Magufuli betonte – so sicher gebaut, wie „Sonne scheint und Regen fällt".
Aufgrund der Verengung des politischen Raumes hat die Opposition nur wenige Möglichkeiten zu agieren. Sie ist personell geschwächt und kann kaum nationale Diskurse beeinflussen. Oftmals bleibt nur das Anprangern von Korruption und Intransparenz. Hier nimmt Magufuli durch sein Agieren der Opposition geschickt Wind aus den Segeln. Sozialökonomische Visionen bleiben unklar, um hier ein Gegengewicht zu Präsident Magufuli zu etablieren. Dabei gäbe es durchaus Ansatzpunkte: unter anderem in der Klärung, welche wirklichen gesellschaftlichen Verbesserungen Magufuli mit dem inzwischen eingesparten Geld umsetzen will.

Andreas Bohne und Katrin Voß

Andreas Bohne ist Projektmanager Ostafrika bei der Rosa Luxemburg Stiftung und Katrin Voß ist Mitarbeiterin des Bereiches Internationale Politik bei DIE LINKE.