Heft 6/2017, Simbabwe

Das Spiel ist aus!

DIE ÄRA ROBERT GABRIEL MUGABE IST VORBEI. Am 19. November 2017 hat die regierende Zanu-PF Simbabwes Langzeitpräsidenten als Parteivorsitzenden abgesetzt, am 21. November wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet. „Mugabe must go!" skandierte Simbabwes Bevölkerung auf den Straßen, und jubelte nach dem „sanften Putsch" des Militärs. Noch am gleich Tag trat Mugabe dann doch zurück.

Simbabwe hat seit der Unabhängigkeit 1980 immer wieder lange Konfliktphasen erlebt. Im November 2017 übertrieben der 93-jährige Robert Gabriel Mugabe und seine Ehefrau Grace es dann aber und legten sich mit dem Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa, den Kriegsveteranen und der Armee gleichzeitig an.

Mugabes Entmachtung
Am späten Morgen des 19. November 2017 wurde Robert Gabriel Mugabe vom parteiinternen Zanu-PF-Präsidententhron gestoßen. Die Partei setzte ihm ein Ultimatum von 24 Stunden, um auch das Amt des Staatspräsidenten niederzulegen. Grace Mugabe und fast alle ihre Vasallen der „G40"-Gruppe wurden ihrer Ämter enthoben und unehrenhaft aus der Partei ausgeschlossen.
Nicht weit entfernt vom Zanu-PF Hauptquartier auf dem „Unity Square" in der Stadtmitte hatten sich Hunderte Gläubige der verschiedenen Konfessionen zu einem Friedensgebet versammelt. Das erste Mal seit Jahren geschah dies ohne ein Eingreifen von Polizei und Sicherheitskräften.
Eigentlich erinnert der „sanfte Militärputsch" an das Drehbuch für ein ganz schlechtes „Z-Movie" aus indischen, nigerianischen oder amerikanischen Filmstudios. Ein greiser und starrköpfiger Diktator, der sein rohstoffreiches und fruchtbares Land systematisch heruntergewirtschaftet hat, will seine mehr als 40 Jahre jüngere Frau als Nachfolgerin installieren. Diese ist macht- und gewaltbesessen und hat einen obszönen Hang zum Luxus, während das Volk hungert.
Grace Mugabe dachte nicht mehr in Millionen US-Dollar, sondern in Milliarden. Westliche Diplomaten in Harare schätzen das Privatvermögen von Grace Mugabe auf mittlerweile ca. neun Milliarden US-Dollar; weltweit hauptsächlich in Immobilien und Firmen angelegt.

Das Militär solidarisiert sich mit der Bevölkerung
Den bisher loyalen Offizieren ging dieser Herrschafts-Automatismus jetzt zu weit. Sie setzten Mugabe und seine Frau unter Hausarrest und übernahmen die politischen Geschäfte – „vorübergehend", wie es hieß. Ein „sanfter Putsch", wie es junge Simbabwer in den sozialen Medien ausdrückten.
Von Armee und Polizei war man bisher ganz anderes gewohnt. Auf die Infragestellung seiner Macht reagierte das Regime mit brutalen Angriffen und systematischer Repression gegen die demokratischen Kräfte des Landes. Vor allem Anhänger der MDC (Movement for Democratic Change) und anderer regierungskritischer Kreise wurden eingeschüchtert und ermordet. „Fear" (Angst) war das beliebteste Machtinstrument seit 1980. Die Repression erreichte während und nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2008 ihren Höhepunkt. Als Reaktion auf den Wahlsieg der MDC bei den Parlamentswahlen und in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen initiierte die Zanu-PF eine brutale Vergeltungsaktion. Angesichts der hohen Zahl von Todesopfern und zahlreichen Verletzten zog sich MDC-Vorsitzender Morgan Tsvangirai aus der Präsidentschaftswahl zurück.
Lange hatten viele westliche Länder und auch die EU geglaubt, man könne das autokratische System von Robert Mugabe und seiner Partei Zanu-PF durch Sanktionen in die Schranken weisen. Doch Wahlfälschungen, Wahlmanipulationen, illegale Farmbesetzungen, Mordversuche an Oppositionellen, die Plünderung der vielfältigen Bodenschätze des Landes, schwere Menschenrechtsverletzungen und Vertreibung der eigenen Bevölkerung gehörten bis zum 19. November 2017 zum alltäglichen politischen Repertoire des bei afrikanischen Despoten hoch geschätzten Verfechters einer hemmungslosen Machtpolitik à la Machiavelli.
Ab Anfang 2014, einige Monate nach den manipulierten Wahlen 2013 und dem Ende der „Regierung von SADC-Gnaden", drehte sich die Abwärtsspirale noch schneller als zuvor.
Es begann eine Zeit der politischen Lethargie und Schockstarre. Erst ab Anfang 2016 gab es erneut politische Bewegung: Diese ging von mutigen Einzelpersonen aus, die über die sozialen Medien ihre Anhängerschaft schnell vergrößerten – so zuletzt Pastor Evan Mawarire, der die Bevölkerung seit April 2016 zu friedlichen Protesten gegen die Regierung aufrief. Andere Aktivisten wie z.B. der Journalist Itai Dzamara wurden inhaftiert oder waren plötzlich „verschwunden". Von Mitte 2016 bis Mitte 2017 war unklar, wer bei den friedlichen Protesten die Oberhand behielt, zumal auch Teile von Polizei und Armee zu den Unzufriedenen gehörten. Auch die sozialen Medien wurden immer schneller zum Sprachrohr der Unzufriedenen. Mit neuen und ungewohnten Formen des Protestes wurde harsche Kritik am Regime Mugabe geübt.

Machtkampf um Mugabes Nachfolge
In den letzten beiden Jahren hatte der sich zuspitzende Machtkampf um die Nachfolge des schwerkranken Präsidenten das politische Geschehen weitgehend absorbiert. Nur Gott könne ihn aus seinem Amt abrufen, betonte Mugabe gern. Er habe den Auftrag, seinem Land zu dienen – bis zum Ende. Und danach würde er aus dem Grab weiterregieren, ergänzte seine Frau schnippisch. Aller Kritik von Menschenrechtsorganisationen, internationalen Organisationen und sogar aus der befreundeten VR China trotzte er.
Auch bei den aufgeflammten internen Machtkämpfen behielt er bis jetzt stets die Oberhand. Zuletzt schienen viele Politiker und Bürger Simbabwes den verhassten Tribalisten und Liebling der Afrikanischen Union auszusitzen – doch dann verkalkulierte der 93-jährige sich ausgerechnet im Poker um seine Nachfolge.
Mit seiner zweiten Ehefrau Grace war eine neue, von einflussreichen Zanu-PF-Politikern gestützte Akteurin auf die politische Bühne getreten. Unter ihrer Führung kam es Ende 2014/Anfang 2015 zu einer in Simbabwe bislang nicht gekannten politischen Säuberungsaktion. Dabei wurden sowohl die bis dahin aussichtsreichste Nachfolgekandidatin, Vizepräsidentin Joice Mujuru, als auch 140 weitere einflussreiche Personen von ihren Posten innerhalb der Regierung und der Partei verjagt.
Umgesetzt wurde die Säuberungsaktion 2014 von Emmerson Mnangagwa, der als Wasserträger des Präsidenten dessen Frau für das Komplott gegen Joice Mujuru instrumentalisierte. Seit Ende 2014 hatte Grace Mugabe mehr und mehr Gefallen an der politischen Macht gefunden und sich immer stärker in den Vordergrund gedrängt.

Entfremdung zwischen Mugabe und Mnangagwa
Galt Vizepräsident Mnangagwa 2015 noch als der wahrscheinlichste Nachfolgekandidat, so begann sein Stern bei Mugabe bereits Anfang 2016 zu sinken. Zu sehr hatte er sich in den Augen des Despoten von seinem politischen Gönner entfremdet und eigenständige Politik betrieben. Die westlichen Länder verstanden dies als Politikwechsel hin zu Realpolitik, Bereitschaft zu Reformen und einer gewissen politischen Öffnung, auf die auch China drängte. Das war jedoch eine Fehlinterpretation. Mugabes Politik hatte sich keinen Deut geändert. Es war Mnangagwa, der sich immer weiter von Mugabe entfernte und eine pragmatische Politik propagierte. Seine politischen Aktivitäten und Alleingänge wurden von Robert Mugabe und seinen Getreuen als „Verrat" interpretiert.
Doch das „Krokodil", so der Spitzname Mnangagwas, schnappte zu.
Er hatte vorgesorgt und wiederholte nicht die strategischen Fehler von Joice Mujuru 2014. Er selbst und hochrangige Vertreter der Sicherheitsarchitektur entwickelten einen Plan, um die Selbstzerstörung der Einheitspartei Zanu-PF zu stoppen, den Machtübergang auf Grace Mugabe zu verhindern und die Nachfolgefrage endgültig zu klären. Scheinbar versicherte sich Emmerson Mnangagwa auch der politischen Unterstützung Chinas, das unter Mugabe bereits Millionen-Investitionen verloren hatte. Damit hatten Grace und Robert Mugabe nicht gerechnet.
Grace Mugabe wurde von jüngeren Zanu-PF-Repräsentanten („G40 – Generation 40") unterstützt und z.T. wohl auch instrumentalisiert. Spätestens seit Mitte 2017 wurde immer deutlicher, dass „Gucci Grace" den alten Fahrensmann ihres Mannes nicht länger dulden wollte und konnte. Er stand ihr bei ihren hochfliegenden politischen Plänen im Weg. Fast exakt mit dem gleichen Drehbuch wie Mnangagwa 2014 bei Joice Mujuru stürzte Grace jetzt den Vizepräsidenten. Ein Mordversuch am Vizepräsidenten mit Speiseeis aus der Molkerei von Mugabe im September scheiterte nur knapp. Mnangagwa floh nach Südafrika, erklärte dem Mugabe-Clan von dort aus den Krieg. Schon wenige Tage später kam er erstarkt zurück und führte seine Pläne eines „sanften Umsturzes" durch.

Anhaltende Wirtschaftskrise
Besonders dramatisch sind aktuell die wirtschaftlichen Folgen der langen Misswirtschaft. Das Land, das sich von der schweren Wirtschaftskrise und Hyperinflation (Höhepunkt 2008) noch immer nicht erholt hat, weist weiterhin eine hohe interne und externe Verschuldung (10,8 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden entsprechen 50 Prozent des BIP) und gewaltige Liquiditätsprobleme auf. Dem stehen eine marode Infrastruktur und ein nahezu unglaubliches Missmanagement im Agrarsektor und fast allen anderen Bereichen gegenüber. Zusätzlich führte die anhaltende Trockenheit im Winter und Frühjahr 2016 dazu, dass die Versorgung von fast einem Drittel der Bevölkerung nicht sichergestellt werden konnte. Dies gilt hauptsächlich für den ländlichen Raum, wo die größte Armut zu verzeichnen ist.
Das Wirtschaftswachstum ist von 3,8 Prozent (2014) auf 1,1 Prozent (2015) und ca. 1,0 Prozent (2016) gesunken. 2017 lag es wohl unter 1 Prozent. Die Auslastung der Betriebe beträgt weniger als 30 Prozent, nur noch eine Minderheit der Bevölkerung kann einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Die Arbeitslosigkeit wird auf über 90 Prozent geschätzt; bei Jugendlichen um die 95 Prozent.
Der Internationale Währungsfonds (IWF), mit dem die Regierung (noch) in einem „Staff Monitored Programm" kooperiert, mahnt seit Jahren politische und ökonomische Reformen an, die Simbabwe u.a. für internationales Kapital attraktiver machen sollen.
Bereits heute leidet das Land unter den gravierenden Folgen des globalen Klimawandels. Diese werden in den kommenden Jahren wohl noch dramatischer und zu einer Bedrohung der gesamten Region werden.

End Game
Im September/Oktober 2017 begann nun das „End Game" in Simbabwe, markiert durch eine Kabinettsumbildung und eine subsequente Schwächung der Position von Vize-Präsident Emmerson Mnangagwa sowie seine schnelle Absetzung, Flucht, Militärputsch, Wahl zum Zanu-PF Parteivorsitzenden und Wiedereinsetzung als Vizepräsident.
Noch bis vor wenigen Wochen hätte niemand auch nur im Traum daran gedacht, dass die Simbabwerinnen und Simbabwer ihre kollektive Angst vor dem Sicherheitsapparat überwinden, in Massen auf die Straße gehen und gegen Mugabe und seine Privatmafia demonstrieren. Aber am 18. November war es soweit. Hunderttausende gingen in Harare, Bulawayo, Mutare und anderen Städten auf die Straßen und forderten die Absetzung Mugabes. Die Menschen waren wie befreit und skandierten „Mugabe must go!" Eine Welle von Optimismus schwappte durch das gesamte Land, und Ausläufer erreichten selbst Europa, die USA und Australien.
Am darauffolgenden Tag brachten dann Mutige und Wendehälse in der Zanu-PF allen Mut auf und entthronten Mugabe, seine Clique und seine gefürchtete Frau. Viele der Strippenzieher, Selbstbereicherer und deresgleichen setzte man vor die Tür. Die Generalität vereinbarte für den gleichen Abend eine TV-Rede an die Nation – live übertragen vom simbabwischen Fernsehen, allen Sendern im südlichen Afrika, BBC, CBB, YouTube, SkyNews und zahlreichen anderen Plattformen. Man erwartete Mugabes offiziellen Rücktritt, das Eingeständnis der Niederlage und eine förmliche Entschuldigung. Aber Mugabe überraschte ein weiteres Mal und trat nicht zurück, sondern gab eine gehaltlose Erzählstunde zum Besten. Eine Vollbremsung aus voller Fahrt. Die Kriegsveteranen zeigten sich erbost und riefen zu weiteren Demonstrationen auf.
Aktuell nicht wirklich einzuschätzen ist der weitere Kurs Simbabwes, dessen nahezu unübersehbarer Berg an Problemen auch durch das Ende der Ära Mugabe nicht kleiner geworden ist. Sollte es im Jahr 2018 wirklich zu freien, fairen und glaubwürdigen Wahlen kommen, so sind die Länder des Nordens, insbesondere die EU und die USA, gefragt. Man hatte Hilfe und Unterstützung versprochen. Jetzt gilt es, die Versprechen einzuhalten und mit neuen Konzepten konstruktiv zu starten. Für Deutschland und seine neue Regierung eine gute Gelegenheit, die auf dem G20-Gipfel in Hamburg leutselig vorgetragenen Konzepte in die Realität umzusetzen.
Auch für die Afrikanische Union und das SADC-Bündnis besteht jetzt die Gelegenheit, bisherige Praktiken zu reflektieren und Tyrannen das Handwerk zu legen. Wenn man als Organisationen überleben will, kann und darf es nicht sein, dass man Tyrannen hofiert und mit Beifallsstürmen so tut, als würde es sich beim Redner um einen Freiheitshelden, ein ethisches Vorbild oder einen Reformer handeln. Tyrannen bleiben Tyrannen.
Dem Satz von Südafrikas Präsident Nelson Mandela aus dem Jahr 1995, den er anlässlich einer Parlamentsrede formulierte, kann und muss man vorbehaltlos zustimmen: „There is lots to be done!" Dies stimmt für die ganze Region, ebenso wie für die ehemaligen Kolonialmächte.
Simbabwes neuer Präsident Emmerson Mnangagwa, am 24.11.2017 vereidigt, sollte sich an diese Worte erinnern und jetzt eine neue, pragmatische Politik betreiben. Seine Rolle als Mugabes Wasserträger und Inquisitor ist noch nicht vergessen.

Alfred Obed Rankomise

Der Autor ist freier Journalist – schreibt (noch) unter Pseudonym.