Heft 6/2017, afrika süd-Dossier: Entwicklung

Der Fluch ausländischer Entwicklungshilfe

TÖTLICHE HILFE STATT NACHHALTIGE ENTWICKLUNGSFÖRDERUNG: Dieser Vorwurf an die staatliche Entwicklungshilfe ist bereits in dem 1985 erschienenen Buch von Brigitte Erler, frühere Referentin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, erhoben worden. Ein Vorwurf, der auch heute noch u.a. von afrikanischen Experten wie dem simbabwischen Wirtschaftswissenschaftler Vince Musewe vertreten wird.

Ausländische Entwicklungshilfe ist, ob mit Absicht oder per Zufall, zum mächtigsten Werkzeug geworden, mit dem gewisse westliche Regierungen Afrika weiterhin als Kontinent der Bittsteller erhalten.
In seinem Buch „The Great Escape" („Der große Ausbruch") erklärt Angus Deaton, Experte für globale Armut und ausländische Entwicklungshilfe und jüngster Träger des Wirtschaftsnobelpreises, dass ausländische Entwicklungshilfe mehr schadet als nützt. Ihm zufolge korrumpiert es Regierungen und erreicht selten die Armen. Nach seinem Urteil ist die globale Armut heute nicht mehr das Ergebnis mangelnder Ressourcen oder Möglichkeiten, sondern von armen Institutionen, schlechter Regierungsführung und toxischer Politik. Obwohl immer noch Milliarden von Dollar an offiziellen Entwicklungsgeldern von den Geberregierungen an die Empfängerregierungen fließen, ist es bisher nicht gelungen, die Armut zu beseitigen. Die Gelder dienten eher kommerziellen Interessen zu Hause oder kauften politische Verbündete im Ausland.
Deaton ist natürlich nicht der einzige Wirtschaftswissenschaftler, der die nachteiligen Auswirkungen ausländischer Entwicklungshilfe auf die Empfängerländer verurteilt. Zahlreiche Theorien und Veröffentlichungen listen viele Quellen des Scheiterns von ausländischer Entwicklungshilfe auf. Die meisten von ihnen sind sich über die Tatsache einig, dass ausländische Hilfe zwar zu kurzfristigen Interventionen führt, nachhaltige soziale und wirtschaftliche Auswirkungen aber fehlen.
Seit Jahrzehnten wird die Auslandshilfe zur Unterstützung von Entwicklungsprojekten, zur Ergänzung der nationalen Haushalte, zur Entschuldung und zur Bekämpfung von Armut eingesetzt. Doch statt eine nachhaltige Entwicklung der Empfängerländer zu fördern, haben diese Darlehen und Zuschüsse wenig, wenn nicht sogar gegenteilige Ergebnisse gezeigt.
Laut William Easterly, einem Entwicklungsökonomen und Autor des Buches „The White Man's Burden" („Wir retten die Welt zu Tode"), sind in den letzten vier Jahrzehnten schätzungsweise mehr als 2,3 Billionen US-Dollar an Entwicklungshilfegeldern vom Westen nach Afrika geflossen, aber bis heute bleiben in vielen afrikanischen Empfängerländern Armut und Unterentwicklung ein gemeinsames Merkmal.

Mehr Geld verlässt Afrika, als reinkommt
Ein im Jahr 2014 veröffentlichter Bericht, der von dreizehn im Vereinigten Königreich und in Afrika ansässigen Nichtregierungsorganisationen verfasst wurde, darunter Health Poverty Action, Jubilee Debt Campaign and World Development Movement, erregte mit seiner Aussage Aufsehen, westliche Länder nützten Entwicklungshilfe für Afrika als Vorwand, um Ihren Einfluss beizubehalten und die „anhaltende Plünderung" des Kontinents zu vertuschen. Jährlich verliert der Kontinent fast 60 Milliarden US-Dollar durch Steuerhinterziehung, Klimaschutzmaßnahmen und die Profitflucht ausländischer multinationaler Unternehmen.
Der Bericht weist auch darauf hin, dass Subsahara-Afrika jedes Jahr 134 Mrd. US-Dollar an Darlehen, ausländischen Investitionen und Entwicklungshilfe erhält, gleichzeitig jedoch würden 192 Mrd. US-Dollar aus der Region abfließen und damit ein Defizit von 58 Mrd. US-Dollar hinterlassen. In Bezug auf Entwicklungshilfegelder schicken die westlichen Länder jedes Jahr etwa 30 Mrd. US-Dollar nach Afrika, doch mehr als das Sechsfache dieses Betrags verlässt den Kontinent, „hauptsächlich in die Länder, die diese Hilfe bereitstellen". Ebenso wird der Abbau von Ressourcen unter dem Deckmantel der Hilfe durchgeführt. Mit anderen Worten, es fließt mehr Geld aus dem afrikanischen Kontinent raus als das, was hereinkommt. Millionen von Afrikanern bleiben mittellos und arm zurück.
Im Gegensatz zum konditionalen und belehrenden westlichen Geberansatz bietet sich China als alternative Quelle für „freundschaftliche" Hilfe für Afrika an. Chinas Ansatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Empfängerländer hat dazu beigetragen, seinen Einfluss in Afrika zu stärken. Obwohl China behauptet, dass es den Empfängerländern keine politischen Ansichten, Ideale oder Prinzipien aufdrängt – was sich in „bedingungsloser" Unterstützung widerspiegele –, gibt es unumstößliche Beweise, dass Chinas Motive in erster Linie in der Rohstoffgewinnung liegen. Bedingungslose Hilfe wird im Austausch gegen begünstigte Zugänge gewährt. Darüber hinaus wird China häufig auch der skrupellosen Hilfe beschuldigt, weil es Geberbeziehungen mit Staaten eingeht, denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Teufelskreis der Hilfe
Die Entwicklungsökonomin Dambisa Moyo formuliert in ihrem Buch „Dead Aid" klar, was sich hinsichtlich ausländischer Hilfe ändern muss: „Es ist an der Zeit, aufzuhören so zu tun, als würde das derzeitige hilfsbasierte Entwicklungsmodell ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den ärmsten Ländern der Welt herbeiführen. Das wird nicht der Fall sein." Ihr zufolge ist das Nettoergebnis der Hilfsabhängigkeit, dass statt eines funktionierenden Afrika, das von Afrikanern für Afrikaner verwaltet wird, eines übrig bleibt, in dem Außenstehende versuchen, sein Schicksal zu bestimmen und das Sagen haben. Sie ermutigt die Entwicklungsländer, bewusst neue Wirtschaftspläne zu entwickeln, die weniger auf Hilfe und dafür mehr auf Handel und Investitionen von privaten Kapitalmärkten basieren.
Eine weitere kritische Frage, die Moyo in ihrem Buch aufwirft, bezieht sich auf die Auswirkung von Entwicklungshilfe auf die lokalen Kapitalmärkte und den Wirtschaftssektor in den Empfängerländern. Auch andere Beispiele von subventioniertem Genmais oder Altkleidern, die lokale Märkte zu Dumpingpreisen überschwemmen, während Bauern und Schneiderinnen arbeitslos werden, verdeutlichen die Schwächung lokaler Märkte. Ein produzierendes Gewerbe entsteht nicht. Zölle auf Rohwaren sind niedriger als auf verarbeitete Produkte, wie das beispielsweise bei Kaffeebohnen bzw. gemahlenem Kaffee der Fall ist. Die Botschaft dahinter verdeutlicht der Wirtschaftswissenschaftler James Shikwati in einem Interview mit der FAZ vom 4.4.2007: „Produziert keine Endprodukte! Packt die Rohwaren in Säcke und liefert sie uns, und wir schicken euch dann gerne die Endprodukte."
Die Auslandshilfe stützt nach Moyos Analyse zudem korrupte Regierungen und versorgt sie mit frei verfügbarem Geld. Diese korrupten Regierungen beeinträchtigen die Rechtsstaatlichkeit, die Schaffung transparenter ziviler Institutionen und den Schutz der bürgerlichen Freiheiten, wodurch inländische und ausländische Investitionen in arme Länder unattraktiv werden. Größere Undurchsichtigkeit und weniger Investitionen verringern das Wirtschaftswachstum, was zu weniger Arbeitsplätzen und zunehmender Armut führt. Als Antwort auf die wachsende Armut geben die Geber mehr Hilfe, was die Abwärtsspirale der Armut fortsetzt. Solange die Länder arm bleiben, können korrupte Regierungen auf ausländische Geldflüsse zählen.
„Das ist der Teufelskreis der Entwicklungshilfe: ein Kreislauf, der dringend benötige Investitionen abwürgt, eine Kultur der Abhängigkeit schafft, wuchernde und systematische Korruption erleichtert – dieses alles mit schädlichen Folgen für das Wachstum. Dies ist der Zyklus, der in der Tat die Unterentwicklung aufrechterhält und wirtschaftliches Versagen in den ärmsten der hilfsabhängigen Länder garantiert", schreibt Moyo.

Wachstumsverhinderung
Es gibt auch überwältigende Beweise dafür, dass ausländische Entwicklungsprogramme bei fehlender Rechenschaftspflicht und fehlenden Kontrollmechanismen eher als Ersatz für Steuereinnahmen fungieren. Solange Entwicklungsgelder ins Land fließen, brauchen die Regierungen keine effizienten Steuersysteme einführen, die die Reichen und Mächtigen in die Pflicht nehmen. Die Steuereinnahmen werden dann zur Quelle von Korruption und unproduktiver Mittelverschwendung, statt in produktive Sektoren wie Gesundheit, Bildung und Infrastruktur gelenkt zu werden.
Bekanntlich sind gerade Regierungen von Ländern, die ein hohes Maß an Hilfe bekommen, tendenziell weniger an der Förderung von Unternehmern und der Entwicklung einer starken Mittelschicht als an der Vorantreibung ihrer eigenen finanziellen Interessen interessiert. Ohne eine starke wirtschaftliche Stimme ist eine Mittelschicht machtlos, ihre Regierung zur Rede zu stellen. Mit leichtem Zugang zu Bargeld aus der Auslandshilfe bleibt eine Regierung allmächtig und nur ihren Hilfsgebern und nicht ihren Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig. In ihrem Wachstum gehemmt, erreicht die Mittelklasse niemals jene kritische Masse, die sich historisch als wesentlich für den wirtschaftlichen und politischen Erfolg eines Landes erwiesen hat. Anstatt eine starke, dynamische Mittelschicht zu entwickeln, um das Wirtschaftswachstum zur Linderung der Armut anzukurbeln, erstickt die Hilfe das Wachstum und erhöht dabei die Armut.

Entwicklungshilfe hilft den Armen nicht
Bei all den vorhandenen Beweisen dürfte klar sein, dass Afrika definitiv nicht Endbegünstigter ausländischer Entwicklungshilfe ist. Es braucht einen Paradigmenwechsel für den Bereich der Entwicklungshilfe in Entwicklungsländern, um fruchtbare Ergebnisse zu erzielen. Dafür müssen zwei Schlüsselaspekte berücksichtigt werden:
Ausrottung des Hilfeabhängigkeitssyndroms: Es ist dringend notwendig, dass die Empfängerländer ihre Entwicklungsverantwortung wahrnehmen und weniger auf Hilfe angewiesen sind. Dies erfordert nicht nur eine Einstellungsänderung, sondern auch die Schaffung eines institutionellen Rahmens in den Empfängerländern, der die Sparkultur, die Rechenschaftspflicht der Führungskräfte, die Rechtsstaatlichkeit und die ordnungsgemäße Verwaltung und Zuteilung von Ressourcen fördert.
Bessere Wirtschaftsentwicklungspolitik: Es liegt auf der Hand, dass sich die Entwicklungshilfe bei einer schlechten Politik keineswegs positiv auf das Wachstum auswirkt, wobei vereinzelte Projekterfolge auch dazu genutzt werden, um eine künstliche Stabilität zu suggerieren. Die anhaltende Auferlegung politischer Maßnahmen sind geberorientiert und gehen nicht notwendigerweise die zentralen sozialen Aufgaben und Probleme an der Basis an. Damit bleiben sie ein Hindernis für die wirksame Nutzung der Entwicklungshilfe zur Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, die von den Empfängerländern selbst gesteuert wird. Entwicklungshilfe, die nicht den Lebensstandard der armen ländlichen Gebiete verbessert, das Leben marginalisierter Bürgerinnen und Bürger stärkt und nicht zu einer inklusiven makroökonomischen Entwicklung führt, sollte weder unterhalten noch akzeptiert werden.
Die offensichtlichen Schlussfolgerungen aus allen oben angesprochenen Problemen sind, dass erstens Entwicklungshilfe den Armen nicht hilft, sondern Geberinteressen bedient sowie in den Ländern autokratische Regime und eine Elite stärkt und festigt, die bald ihre eigenen politischen Interessen und nicht nationalen Interessen verfolgen. Es kann daher die Unterdrückung verstärken, das Wachstum einer starken Mittelschicht einschränken und die Armen, die eigentlich die beabsichtigten Endbegünstigten sind, weiter marginalisieren.
Zweitens sind Zuwendungen keine entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, da sie lokale Märkte verzerren können. Sie neigen dazu, Regierungen ein falsches Gefühl der Sicherheit zu geben, zu Missbrauch von Steuereinnahmen zu führen und die Korruption zu erhöhen, was zu schwerwiegenden politischen Ineffizienzen führt, die das Wirtschaftswachstum ersticken. Sie haben tendenziell kurzfristige Auswirkungen und können vorübergehende Erleichterung bieten, fördern aber langfristig nicht die Schaffung nachhaltiger Einkommen, insbesondere für die marginalisierten Armen.
Ausländische Entwicklungshilfe hat daher nicht die beabsichtigten Ziele erreicht, und dies erfordert einen völlig neuen und informierten Ansatz, wenn Afrika aus eigener Initiative und in Eigenregie aufsteigen will. Dass dies möglich ist, formuliert James Shikwati auf die Frage, was passieren würde, wenn die Entwicklungshilfe von heute auf morgen gestoppt würde: „Zunächst gäbe es eine Krise, aber dann käme es zu einer Wiedergeburt. Die Afrikaner würden erkennen, dass sie die Lösungen ihrer Probleme vor der eigenen Haustür finden."

Vince Musewe

Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler und politischer Analyst, ansässig in Harare/Simbabwe.

Literatur:
Angus Deaton, Der große Ausbruch: Von Armut und Wohlstand der Nationen, Stuttgart 2017

William Easterly, The White Man's Burden: Why the West's Efforts to Aid the Rest Have Done So Much Ill and So Little Good, New York 2006

Dambisa Moyo, Dead Aid: Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann, Berlin 2011