DEINDUSTRIALISIERUNG, SCHULDEN UND ABHÄNGIGKEIT VOM MULTINATIONALEN KAPITAL BESTIMMEN MOSAMBIKS ENTWICKLUNGSWEG.
Seit der Kolonialzeit enthielten die mosambikanischen Produktions- und Handelsstrukturen interne Dynamiken einer systemischen Krise. Es entstand ein Exportsektor, der sich auf die erste Verarbeitung land- und forstwirtschaftlicher Rohstoffe konzentrierte: Tee, Sisal, Rohrzucker, Kopra aus Kokosnüssen, Cashewnüsse, Baumwolle etc. Das erste Ziel der kolonialen Wirtschaft war die Extraktion. Die Eisenbahnlinien, die Mosambik von Ost nach West durchkreuzen, wurden vor allem von den rohstoffreichen Nachbarländern Mosambiks benötigt. Der Bau dieser Eisenbahnlinien verlangte nach Errichtung einer Schwerindustrie, die Schienen und Waggons reparieren oder ersetzen konnte. Die Schifffahrtslinien des Überseehandels erforderten ausgebaute Tiefseehäfen, Kräne auf Zementkais, Lagerhallen etc. Damit entstand auch die Zementindustrie.
Mit der erhöhten Migration von portugiesischen Siedlern in die Kolonien ab 1950 bis zum Ende der 60er-Jahre entstand die Forderung nach einer raschen Expansion der verarbeitenden Industrien für Konsumgüter (Importsubstitution) und des Dienstleistungssektors.
Mosambik hatte also in den siebziger Jahren eine Industrie, die sich auf die erste, nicht vollständige Verarbeitung lokaler Produkte aus der Landwirtschaft stützte. Das war Mosambiks eher langsam und zögerlich wachsende Exportindustrie. Dann gab es vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg eine rasch wachsende verarbeitende Industrie, die für den expandierenden Binnenmarkt der Siedler Mosambiks Verbrauchsgüter produzieren wollte. Diese Industrie war davon abhängig, dass sie 85 Prozent der Materialien, aus denen ihre Produkte und Maschinen zusammengesetzt waren, aus dem Ausland importieren musste. Das schloss natürlich Rohöl, Benzin und Diesel ein.
Strukturelle Krise
Diese duale Struktur enthielt in sich den Keim für eine strukturelle Krise: Die Produktion der verarbeitenden Industrie war von Importen abhängig und deswegen schwach; die Exporte bestanden aus landwirtschaftlichen Rohstoffen, deren Preise vom Weltmarkt diktiert wurden: Waren z.B. die Preise für Baumwolle niedrig, konnte Mosambik entsprechend weniger importieren, der Kolonialstaat hatte geringere Einnahmen als Ausgaben in der Handelsbilanz und musste Schulden machen.
Nach Erringung der nationalen Unabhängigkeit 1975 sollten Mega-Projekte eine industrialisierte Landwirtschaft schaffen und die Wirtschaft des Landes dynamisieren. Da die Investitionsmittel zur Entwicklung gering waren, beruhte alles auf der Annahme, dass externe Geldflüsse bereit stünden. Zwischen 1980 und 1982 wurden große Investitionen in die Landwirtschaft mittels Schulden getätigt. Die Gewinne aus der modernisierten Landwirtschaft konnten aber erst realisiert werden, als die Nationalwirtschaft schon bankrott war.
Diese Entwicklungsstrategie verursachte ebenso wie der Destabilisierungskrieg , den die von Apartheid-Südafrika unterstützte Kontrabewegung Renamo gegen die Frelimo-Regierung führte, in den 1980er-Jahren eine tiefe Wirtschaftskrise. Ab 1987 wurde diese von der großflächigen Privatisierung von über 1000 Firmen im Staatsbesitz abgelöst, hinter der allerdings keine Produktivstrategie stand. Die größeren und lebensfähigen Firmen wurden an das ausländische Kapital verkauft; kleinere und obsolete Firmen gingen in die Hände lokaler Unternehmer, die meist nur ein Fünftel des ausgeschriebenen Preises zahlten. Die neuen Besitzer erhielten keine weitere staatliche Hilfe, um ihre Firmen zu rehabilitieren.
Schwindende Industrie
Die erste Folge dieser Strategie war, dass etwa 40 Prozent des noch bestehenden Industrieparks die Produktion aufgaben. Zehn industrielle Subsektoren verschwanden, einschließlich fünf Sektoren der Importsubstitution. Entwicklung hieß jetzt, dem transnationalen Kapital die natürlichen Ressourcen Mosambiks – Energiequellen, Minerale aus dem Bergbau und Ackerland zu einem niedrigen Preis – zur Verfügung zu stellen.
Die Konzentration auf Halbwaren der Rohstoffindustrie nahm zu. Im Ergebnis stammen 90 Prozent der Exporte Mosambiks zur Zeit aus neun Rohstoffen: Aluminium, Kohle, schwere Sande (d.h. Ilmenit, Zirkon, Rutil, Titanium), elektrische Energie, Erdgas, Tabak, Bananen, Zucker aus Zuckerrohr und Holz. Die Preise für diese Rohstoffe schwanken stark und unterliegen dem Diktat des Weltmarktes. Untersucht man die Importe Mosambiks, so werden 66 Prozent der Waren und 60 Prozent der Dienstleistungen von den Megaprojekten des Energiesektors benötigt. Der Rest der Importe dient hauptsächlich der Ernährung der Bevölkerung.
Die Wirtschaft Mosambiks hat heute also weniger Produktionszweige als in den 1960er-Jahren, ist schlechter über Wertschöpfungsketten vernetzt und hat eine geringere Fähigkeit, Importe durch heimische Produktion zu ersetzen. In Zeiten des beschleunigten Wirtschaftswachstums wird mehr importiert, aber die Arbeitsplätze und die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung steigen nicht merklich an. Zeiten der Krise sind daher nicht atypisch, sondern systemisch begründet. Die Problemlösung muss in einer Transformation der Wirtschaft liegen.
Schulden und niedrige Steuereinnahmen
Im letzten Jahrzehnt sind die gesamten öffentlichen Schulden 13mal schneller gewachsen als die Wirtschaft des Landes. Hier verdienen die kommerziellen Schulden der öffentlichen Hand besondere Aufmerksamkeit. Zwischen 2006 und 2015 wuchsen sie von 300 Millionen US-Dollar auf 5,5 Mrd. US-Dollar an und machten so im Juni 2016 rund 56 Prozent der öffentlichen externen Schulden des Landes aus. Etwa 81 Prozent der kommerziellen öffentlichen Schulden (2016 waren das 4,5 Mrd. US-Dollar) waren das Resultat einer direkten Finanzierung von privaten Interessen im Bereich der extraktiven Wirtschaft durch die öffentliche Hand. Auf der anderen Seite der volkswirtschaftlichen Rechnung bleibt die Durchlässigkeit der Wirtschaft, also der Verlust des erarbeiteten Mehrwerts und des gesellschaftlichen Reichtums zu Gunsten privater nationaler wie ausländischer Interessen.
Zwischen 2008 und 2012 haben die drei ausländischen Firmen Mozal (Aluminiumhütte), Sasol (Gasförderung und Leitung nach Südafrika) und Kenmare (schwere Titan-Sande bei Moma) zusammen etwa 20 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet, aber nur zwei Prozent zum Steueraufkommen der Regierung beigetragen.
Der Verzicht auf eine Besteuerung der großen Projekte, die Erlaubnis, Kapitalgewinne in das Heimatland der Investoren zu schaffen, die niedrige Besteuerung der Re-Investierung von erzielten Profiten ausländischer Investitionen, die kaum oder nur schwach ausgebildeten Wertschöpfungsketten zwischen ausländischem und lokalem Kapital in der Nationalwirtschaft, der spekulative Charakter des Finanzsystems, die Beschränkung eines großen Teils nationaler Firmen auf eine Vermittlertätigkeit zugunsten ausländischer Konzerne, die Verramschung der natürlichen Ressourcen und der Infrastruktur des Landes zu niedrigsten Preisen an die nationalen und multinationalen Oligarchen... all das bewirkt in Kombination, dass die Kapazität der Wirtschaft, den nationalen Mehrwert zu mobilisieren, um in die Transformation der Wirtschaft zu investieren, extrem beschränkt ist.
Seit der Strukturanpassungspolitik des Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank (ab 1987) ist die Verbindung mit dem multinationalen Kapital die Grundlage für die Kapitalakkumulation der entstehenden lokalen Kapitalistenklasse. Die Verschuldung des unabhängigen Staates war die Gelegenheit, diesen Mechanismus zu schaffen; sie ist zugleich eine Folge der Strategie, das ausländische Kapital überhaupt anziehen zu können. Die Verschuldung der öffentlichen Hand ist daher nicht nur eine Folge der materiellen und sozialen Struktur der Produktion, sondern sie stellt auch eine Strategie dar, um die primitive Kapitalbildung mithilfe einer Enteignung des Staates zu fördern.
Die Schulden der öffentlichen Hand haben sechs Folgewirkungen:
1. Sie verringern die Fähigkeit des Staates, eine eigenständige Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verfolgen. 2. Sie machen aus dem lokalen Finanzsektor einen Markt von Schuldenpapieren, welcher der Entwicklung einer Produktionsbasis wenig Interesse schenkt. Das nimmt der lokalen Wirtschaft die Luft zum Atmen.
3. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind die Schulden so groß, dass ausländische Devisen ständig knapp und die Umtauschraten instabil sind. Das hat Wirkungen auf die Kosten der Produktion und die Kosten des Lebens. Der reale Wert der Löhne sinkt tendenziell und kleine und mittlere Firmen können sich die Anstellung neuer Arbeitskräfte nicht leisten.
4. Die kommerziellen Schulden können nicht gezahlt werden. Die Restrukturierung dieser Schulden treibt die Kosten noch weiter in die Höhe. Die Wirtschaft muss neue Kredite aufnehmen, um die Abzahlungen bedienen zu können. Der Wirtschaftspolitik geht es nicht mehr um die Entwicklung des Landes, sondern um das Schulden-Management.
5. Die Schuldenkrise läuft Gefahr, die Wirtschaft in die Implosion zu treiben. Das beinhaltet Rückzug der Investitionen, abfallendes Wirtschaftswachstum, Verlust an Arbeitsplätzen, weniger Steuereinnahmen.
6. Die aktuelle Schuldenkrise wurde damit verteidigt, dass auf künftige, noch nicht realisierte Gewinnperspektiven im Erdgassektor und auf die Vorteile einer modernen Infrastruktur verwiesen wurde. Fallen diese Perspektiven in sich zusammen, droht der Aufstieg spekulativer Tendenzen. Daher gilt: Die Megaprojekte im Kohle- und Erdgasbereich wie auch im übrigen Bergbau müssen endlich besteuert werden. Der in den Verträgen erlaubte Kapitalverlust des Staates hat den Wert von drei bis vier Prozent des BIP. Das Angebot steuerlicher Anreize ist völlig überflüssig. Hingegen ist ein besseres Angebot öffentlicher Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger des Landes absolut notwendig.
Gottfried Wellmer
Dieser Artikel hat sehr profitiert von zwei Artikeln, die Carlos Nuno Castel-Branco publizierte:
Growth, capital accumulation and economic porosity in Mozambique: social losses, private gains. In: Review of African Political Economy Vol.41 (suppl.) 2014, S. 26-48
Carlos Castel-Branco e Fernanda Massarongo et al., Crónica de uma crise anunciada: divida publica no contexto da economia extractiva. In: IESE, IdeIAS 14 de Junho de 2016, Boletim N° 89