Heft 6/2017, afrika süd-Dossier: Entwicklung

Neue Pläne, alte Rezepte?

DAS AFRIKA-JAHR DER DEUTSCHEN G20-PRÄSIDENTSCHAFT UND NEUE AFRIKA-INITIATIVEN

Im Dezember 2016 begann Deutschlands Präsidentschaft der G20, deren Höhepunkt der G20-Gipfel im Juni 2017 in Hamburg war. Obwohl mit Südafrika nur ein afrikanisches Land offizielles Mitglied der G20 ist, hat die Bundesregierung beschlossen, Afrika zum Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft zu machen. Diese Schwerpunktsetzung gab Anlass zu rivalisierenden Initiativen verschiedener Bundesministerien: Der Marshallplan mit Afrika vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Compact mit Afrika vom Finanzministerium und Pro! Afrika vom Wirtschaftsministerium sind die bekanntesten dieser Initiativen. Hinzu kommt der EU External Investment Plan, der auch die gleiche Motivation hat und die gleichen Rezepte für die Ankurbelung der afrikanischen Volkswirtschaften vorschlägt wie die deutschen Initiativen. Die folgenden Zeilen wollen sich mit diesen Initiativen auseinandersetzen und auf die Frage eingehen, was sie für Afrika mit sich bringen.

Afrika-Initiativen der Bundesregierung und afrikanische Interessen
Der Zeitpunkt der Verkündung dieser Initiativen mitten in hysterisch geführten Debatten um Flucht und Migration zeigt vor allem eins: Um afrikanische Interessen geht es in erster Linie nicht, sondern um eigene deutsche bzw. europäische Interessen. Ohne die sogenannte Flüchtlingskrise hätte es diese Initiativen trotz deutscher G20-Präsidentschaft vermutlich nicht gegeben. Die Tatsache, dass sich jedes Ministerium mit jeweils eigener Initiative profilieren wollte, ist auf diese interne Dynamik innerhalb Deutschlands zurückzuführen. Ob die somit geschürte Konkurrenz sich nur zwischen verschiedenen Ressorts abspielte oder auch eine parteipolitische Note enthielt, lässt sich diskutieren. Die Konstellation in der Besetzung der drei Ministerien zu dem Zeitpunkt und der Fakt, dass aus den Reihen fast aller politischen Parteien der Wille geäußert wurde, angesichts der „Flüchtlingsströme" Zeichen zu setzen, lassen es vermuten. So gesehen dienen diese Initiativen zunächst innerdeutschen Auseinandersetzungen um die besten Methoden der Fluchtursachenbekämpfung. Von daher ist es berechtigt, danach zu fragen, ob und in welcher Intensität es mit diesen Initiativen unter einer neuen Bundesregierung, mit Neubesetzungen von Ministerämtern und mit neuen Mehrheiten im Parlament weitergeht.

Militarisierung und Grenzzäune
Die in diesen Initiativen enthaltenen Konzepte zur Lösung afrikanischer Probleme sind für die Befriedung der Zielgruppen gemeint, die sich mit der bisherigen Antwort auf die Flüchtlingskrise nicht zufrieden geben konnten. Diese bestand im Wesentlichen darin, die alten Instrumente der Aus- und Vorlagerung der europäischen Grenzen ins Mittelmeer und bis in die afrikanischen Staatsgrenzen besonders in Nord-, Ost-, und Westafrika hinein zu verstärken.
Die Aufrüstung der Grenzregime innerhalb von Westafrika führt seit Jahren schon dazu, dass die davor im Rahmen der Visafreiheit und weiterer Vereinbarungen der westafrikanischen ECOWAS-Staaten praktizierte Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren und Dienstleistungen gefährdet wird. Denn insbesondere junge Menschen stehen immer im Verdacht, nach Europa auswandern zu wollen. Die Sicherheitskräfte in Mali, Niger oder im Senegal werden von der EU massiv unterstützt, um deren Bewegungsfreiheit zu beschränken. Mit anderen Worten: Das Interesse der EU, die Abwehr der Flüchtlinge, führt dazu, dass eines der wichtigsten Projekte der westafrikanischen Gemeinschaft wie auch anderer afrikanischen Regionen in akuter Gefahr steht: die regionale Integration. Diese sollte dazu führen, dass der regionale bzw. der innerafrikanische Handel zunimmt. Denn auch über 50 Jahre, nachdem die meisten Staaten politisch unabhängig wurden, ist dieser immer noch schwach.

Jenseits der Militarisierung
Für diejenigen in Deutschland, die sich mit der Abschottungspolitik durch Verlagerung der Grenzregime nicht zufrieden geben können, kommen die neuen Initiativen gelegen. Sie verfolgen eine andere Strategie: Deutschland will sich für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents stark machen. Die deutschen Initiativen zielen drauf ab, die „guten Schüler" unter den afrikanischen Ländern besser zu fördern, gleichzeitig eine fairere Handelspolitik mit Afrika auszuhandeln und internationale Investitionen auf dem Kontinent zu erleichtern. Es soll mehr Geld nach Afrika fließen und dortige Investitionen sollen sicherer werden.
All diese Konzepte gehen von der Feststellung aus, dass die klassische Entwicklungszusammenarbeit nicht in der Lage sei, die zentralen Herausforderungen der Zeit zu bewältigen, nämlich für eine schnell wachsende Bevölkerung in Afrika mit einem großem Anteil an jungen Menschen die erforderlichen Millionen Jobs pro Jahr zu generieren. Wie man leicht erkennen kann, beruhen diese Initiativen auf drei falschen Annahmen:
Erstens wird Afrika hauptsächlich als Kontinent von Defiziten gesehen, für dessen Entwicklung die entscheidenden Impulse von außen, in diesem Fall von Deutschland, kommen müssten. Dort sei die Lösungskompetenz aufgrund des eigenen Entwicklungsweges vorhanden. Daran ändert nichts, dass hier und da die Potenziale Afrikas betont werden oder dass zwei dieser Pläne zumindest dem Namen nach eine afrikanische Beteiligung suggerieren, die es in ihrer Entstehung nicht gegeben hat. Entwicklung muss aber von innen ausgehen, es gibt kein Land, das von außen entwickelt wurde. Im Gegenteil, wer seine Selbstständigkeit nicht bewahrt und sich nicht weigert, die Vorherrschaft anderen zu überlassen, wird zur Spielwiese fremder Interessen degradiert. Dies ist die Erfahrung vieler afrikanischer Länder bis jetzt.
Zweitens wird davon ausgegangen, dass mehr Entwicklung weniger Migration bedeutet. Bisherige empirische Erfahrungen zeigen eher, dass mehr Entwicklung, wie immer diese aussieht und was sie taugt, zunächst zu mehr Mobilität und damit zu mehr Migration führt, bevor diese Tendenz wieder an Dynamik verliert.
Drittens wird davon ausgegangen, dass die Belebung der Volkswirtschaften durch massive Investitionen in große Infrastrukturprojekte geschehen soll. Diese Annahme ignoriert sowohl die Erfahrungen mit Modernisierungsansätzen als auch die jüngsten Erfahrungen des afrikanischen Kontinents mit ausländischen Direktinvestitionen, die sich als Lizenz zur Ausplünderung der Ressourcen des Kontinents erwiesen haben, ohne dabei einen Strukturwandel von den Primärerzeugnissen zur Industrialisierung zu bewirken.

Gleiche Ursachen produzieren gleiche Effekte
Sowohl der Marshallplan als auch der Compact mit Afrika haben eine klare Vorstellung darüber, wer die massiven Investitionen in Infrastruktur für Transport und Energie finanzieren soll. Es sind institutionelle Anleger wie Versicherungen, Investmentgesellschaften und Hedgefonds. Deutschland und andere Industrienationen sollen dabei Garantien und Risikoabsicherungen für diese Privatakteure übernehmen, um sie zu ermutigen, in einem als unsicher geltenden Umfeld zu investieren. Bei diesen Investitionen geht es allerdings nicht in erster Linie darum, „Afrika" zu helfen, auf die eigenen Beine zu kommen, sondern darum, günstige Anlagemöglichkeiten für die Kunden der benannten Institutionen zu schaffen. Das zeigen die niedrigen Zinsen, mit denen im Moment die Anleger im Westen konfrontiert werden. Bei der „G20 Africa Partnership Conference – Investing in a common future", die die Bundesministerien für Finanzen und für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 12. und 13. Juni in Berlin organisiert hatten, betonte Jim Yong Kim, der Präsident der Weltbank, es gebe mehrere Billionen US-Dollar in Industrienationen, welche hinter den Erwartungen zurückblieben, weil die Besitzer Negativzinsen zahlen müssten. Afrika böte große Möglichkeiten. Es sei an der Zeit, dieses Kapital zu mobilisieren und in aufstrebende Märkte zu investieren. Damit dies geschehe, müssten die Risiken für Investitionen reduziert werden. In diesem Punkt seien die Industriestaaten gefragt, betonte er.
Dieses Loblied auf Investitionen mit dem Kapital von Privatanlegern erweckt den Eindruck, dass diese per se positiv sind. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Privatanleger gerne in Infrastrukturen investieren, die aus der Perspektive der Entwicklungsprioritäten eines Landes am meisten Sinn machen, wenngleich diese nicht die beste Rendite versprechen. Der Blick auf die Investitionen der letzten 20 Jahre zeigt, dass der Schwerpunkt auf der Rohrstoffförderung gelegen hat. Sie haben den Investoren massive Gewinne beschert, doch Beschäftigung, Schaffung von Wertschöpfungsketten und Diversifizierung der Ökonomien afrikanischer Länder haben sie nicht im Blick. Es gibt wenig Grund zur Annahme, dass sich dies ändert, zumal die Auflagen, die auf die gewählten Länder zukommen, kaum überraschend an die Strukturanpassungsprogramme der 1980er-Jahre erinnern.
Die Einigkeit über die notwendigen Reformen, die es durchzuführen gilt, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, war während der oben erwähnten Konferenz unter den Finanzministern der „guten Schüler" so groß, dass sich Christine Lagarde, Chefin des Weltwährungsfonds IWF, die Bemerkung erlaubte, alle auf dem Podium vertretenen Länder Afrikas seien Brüder, weil alle das gleiche Reformprogramm des IWF durchliefen. Was sie nicht formulierte, aber mit ihrer Aussage deutlich wurde: Der IWF ist die Mutter der auf dieser Konferenz vertretenen, wenn nicht aller afrikanischer Länder. So viel zur Emanzipation. Als Deutschlands bisheriger Finanzminister Schäuble später erklärte, die Compact-Länder (bis jetzt der Senegal, Ruanda, Tunesien, Marokko, die Elfenbeinküste und dazu Ghana und Äthiopien) müssten mit dem IWF verhandeln, um konkrete Schritte für ihre Reformprozesse zu definieren, sagte er inhaltlich nichts Neues. In vorauseilendem Gehorsam tun diese Länder schon viel.

Gefahr für regionale Integration
Es muss betont werden, dass die Neugestaltung der Rahmenbedingungen, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, eine Gefahr für die Regionalintegration darstellt, weil die Länder Afrikas in den verschiedenen Regionen in einen Wettbewerb miteinander gedrängt werden. Dieser hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass viele Regierungen die Sozial- und Umweltstandards senken und Steuersätze für Unternehmen äußerst attraktiv gestalten. Das führt nicht nur zu Defiziten in den Staatskassen, was dem erklärten Ziel dieser Initiativen widerspricht, zur stärkeren Mobilisierung lokaler Ressourcen beizutragen, sondern es führt auch zu einer neuen und gefährlichen Verschuldungsspirale, wenn afrikanische Regierungen bestimmte Infrastrukturen selbst bauen wollen, die ausgewählte Standorte attraktiv für ausländische Investitionen machen.
Die neuen Initiativen der Bundesregierung bergen all diese Gefahren in sich. Darüber hinaus gilt zu berücksichtigen, dass die Abschottungspolitik der EU und diese neuen Initiativen eine andere Gefahr mit sich bringen, die in Ansätzen bereits um sich greift: Mittel werden von der klassischen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (Förderung von Menschenrechten, Good Governance, Ernährungssouveränität) zugunsten von Fluchtabwehr und Risikoabsicherungen für die Privatwirtschaft abgezweigt.
Damit sind wir bei der oft geführten Diskussion um Kohärenz der verschiedenen Politikfelder. In der Theorie und auf dem Papier sollen alle anderen Politikfelder entwicklungspolitische Ziele nicht konterkarieren. In der Praxis zeigt sich aber zumeist, dass Entwicklungspolitik nicht so wichtig ist, um sich als übergeordnete Instanz durchsetzen zu können. In einem Kontext, in dem verschiedene Zielsysteme miteinander konkurrieren – und dies ist im Außenhandel der EU und der Bundesrepublik Deutschland der Fall –, setzen sich die Ziele durch, die von den stärksten Institutionen verfolgt werden. In diesem Fall sind es die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen. Dies setzt sich mit den neuen Initiativen der bisherigen Bundesregierung fort.

Boniface Mabanza Bambu

Der Autor ist für die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) tätig.