Heft 6/2017, DR Kongo

Politisch und ökonomisch motivierte Gewalt

DIE GEWALT IN DER DR KONGO NIMMT LANDESWEIT ZU. Seit 2014 häufen sich die Berichte von Massakern an der Zivilbevölkerung, vor allem in der Provinz Nord-Kivu, aber auch in den Kasaï-Provinzen. Evariste Mfaume, Leiter der NRO Solidarité des Volontaires pour l'Humanité in Süd-Kivu, erläutert im Interview mit Gesine Ames vom Ökumenischen Netz Zentralafrika die Hintergründe.

Sie kommen aus der Provinz Süd-Kivu, in der Ende September schwere Gefechte stattfanden. Wer ist dafür verantwortlich?
Im September lieferten sich die kongolesische Armee FARDC und eine neu entstandene Koalition verschiedener Milizgruppen namens „Alliance pour la Souveraineté du Congo" heftige Gefechte in der Region Fizi in Süd-Kivu. Hier gibt es seit vielen Jahren große Spannungen, die gewaltsam eskalieren. Ursachen dafür sind fehlende staatliche Strukturen und mangelnde Sicherheit für die lokale Bevölkerung. Diese Situation nutzen verschiedene Milizen aus, um ihre Partikularinteressen durchzusetzen. Der Staat übernimmt keine Verantwortung und kommt seinen Pflichten, zum Beispiel dem Aufbau einer nachhaltigen Sicherheitsstruktur, nicht nach. Die Bevölkerung wurde wiederholt Opfer von Gewalt und Vertreibung.
Dieses Klima der Unsicherheit schürt Konflikte. Es bietet Unruhestiftern ein Argument, gewalttätige Aktionen mit einem politischen Unterbau zu versehen. Die Gewalt richtet sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung, die mehrheitlich kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sicherheit hat.

Was begründet den enormen Anstieg der Gewalt gegen die Bevölkerung?
Kongos Bodenschätze. Besonders in Minengebieten, in denen Gold und andere Mineralien abgebaut werden, konzentriert sich die Gewalt. Verschiedene Milizen profitieren von der fragilen und desolaten politischen Situation und kontrollieren diese Gebiete. Sie verlangen zudem Wegzölle von Kleinschürfern und der lokalen Bevölkerung. Aber auch Teile der kongolesischen Armee eignen sich die natürlichen Ressourcen an. Offiziere kollaborieren mit Milizen. Das befeuert die Kriegsökonomie länderübergreifend. Wie die Expertengruppe der Vereinten Nationen konstatiert, floriert etwa der illegale Handel von Rohstoffen, vor allem Gold gegen Waffen, rund um den Tanganjikasee zwischen den Ländern Burundi, Tansania und der Provinz Süd-Kivu in der DR Kongo. Es handelt sich um eine weitläufige, unkontrollierte Gegend, die von keinem der drei Staaten zu 100 Prozent kontrolliert wird.

Wer sind die militanten Gruppen, die für die Massaker in Nord-Kivu verantwortlich sind?
Die fragile Situation in der DR Kongo ermöglicht es kongolesischen sowie ursprünglich aus den Nachbarländern stammenden Milizen, ihre Ansprüche geltend zu machen. Kongolesische Milizionäre verfolgen vor allem ökonomische Ziele. Milizen aus den Nachbarländern vertreten darüber hinaus oftmals auch eine politische Agenda. Dabei handelt es sich um bewaffnete Gruppen aus Uganda, Ruanda und Burundi.
Im Nord-Kivu existiert seit langer Zeit die Miliz FDLR (Forces Démocratique de Libération du Rwanda). Es sind ehemalige Génocidaires, die nach dem Völkermord in Ruanda in die DR Kongo geflohen sind. Heute sind viele mit Kongolesinnen verheiratet und haben zum Teil starke Verbindungen in lokale Gesellschaften. Dennoch ist diese Miliz für grausame Übergriffe auf die Bevölkerung verantwortlich. FDLR-Kämpfer haben vor allem in den 2000er-Jahren sexualisierte Gewalt als Kampfstrategie angewandt. Sie haben geplündert, getötet und schwerste Körperverletzungen begangen. Die FDLR versucht, gewaltsam eine möglichst großflächige Kontrolle zu erreichen und Widerstand zu brechen.
Eine weitere Miliz, die Allied Democratic Forces – vereint mit der National Army for the Liberation of Uganda (ADF-NALU), kommt ursprünglich aus Uganda und ist seit vielen Jahren in der Region um Beni in Nord-Kivu im Handel von mineralischen Rohstoffen, Holz und Drogen aktiv.
Diese Milizen verbünden sich mit kongolesischen Milizen und Teilen der kongolesischen Armee; sie begehen Menschenrechtsverletzungen an der lokalen Bevölkerung. Allerdings gibt es in der kongolesischen Gesellschaft eine Tendenz, dies zu leugnen. Oft hört man, Kongolesen würden doch keine Kongolesen töten und keine Frauen vergewaltigen. Leider geht diese Wahrnehmung an der Realität vorbei. Seit 2014 sind bei Übergriffen im Gebiet um die Stadt Beni mindestens 1000 Menschen umgebracht worden. In diesem Zusammenhang ist die weit verbreitete Straflosigkeit das größte Problem. Es obliegt der kongolesischen Regierung, vor allem in den Reihen ihrer Armee für Ordnung und Disziplin zu sorgen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Sie sollte eine Null-Toleranz-Politik gegenüber der Gewalt durchsetzen. Leider sind wir weit davon entfernt.

Warum toleriert die kongolesische Regierung diese Straflosigkeit?
Die kongolesische Regierung hat die Kontrolle über viele Landesteile verloren. Das verschlimmert die Situation. Zudem hat das politische Klima mafiöse Strukturen geschaffen, die bis in hohe politische Ämter reichen. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, kollaborieren mit Milizen auf verschiedenen Ebenen. Wir haben es mit einem starken Klientelismus in der kongolesischen Politik zu tun. Einige Politiker versuchen, in ihren Heimatregionen die lokale Bevölkerung, vor allem Jugendliche, für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Gleichzeitig rufen sie nach Friedensmissionen zur Befriedung der Gewalt, obwohl sie selbst Auftraggeber des Konfliktes sind.

Sie arbeiten in Süd-Kivu. Inwieweit hängen dortige Konflikte mit der regionalen Dynamik zusammen?
In Süd-Kivu in der Region Fizi treibt die bewaffnete Gruppe FNL (Forces Nationales de Libération) ihr Unwesen. Sie kommt aus Burundi und meint, ihre Legitimation durch politische Forderungen gegenüber der burundischen Regierung zu erhalten. Sie wendet Gewalt gegen die kongolesische Bevölkerung an, um ihre Machtansprüche zu demonstrieren und – so bitter es klingt – als Überlebensstrategie. Zudem haben politische Krisen wie in Burundi direkte Auswirkungen auf den Kongo.
In einer Region im Süd-Kivu leben heute 3300 burundische Flüchtlinge unter prekären Bedingungen. Dies stellt die wirtschaftlich und infrastrukturell vernachlässigte Gegend vor extreme Herausforderungen. Erschreckendes Beispiel ist die Ermordung von 37 burundischen Flüchtlingen und mehr als 117 Verletzten im Camp Kamanyola durch kongolesische Sicherheitskräfte im September 2017. Bis heute gibt es dazu keine unabhängige Untersuchung und strafrechtliche Maßnahmen, obwohl der kongolesische und burundische Geheimdienst in der Region aktiv sind.

Schildern Sie bitte Ihre Menschenrechtsarbeit. Was sind die größten Herausforderungen?
Ich arbeite als Leiter der 2003 gegründeten Organisation Solidarité des Volontaires pour l'Humanité zu Fragen der Friedens- und Versöhnungsarbeit, des Umwelt- und Konfliktmanagements, der Menschenrechte und der natürlichen Rohstoffen. Wir erstellen Analysen zu lokalen Konflikten, nehmen Berichte von Opfern der Menschenrechtsverletzungen auf, vermitteln sie an juristische Ansprechpersonen und kümmern uns verstärkt um die Flüchtlinge in den Lagern. Des Weiteren stellen wir Verbindungen zwischen internationalen Menschenrechtsorganisationen und lokalen Organisationen her und vernetzen diese miteinander.
Die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger/innen und Journalist/innen ist extrem gefährlich. Denn wir befinden uns in einem angespannten politischen Klima und einem ungewissen Wahlprozess. Bedrohungen kommen von staatlicher Seite wie von Milizen. Zudem kämpfen wir mit strukturellen Herausforderungen, wie der Schaffung eines gut funktionierenden Netzwerkes sowie fehlenden finanziellen Mitteln. Wir brauchen Sicherheitsvorkehrungen und -trainings. Unsere Wohn- und Arbeitsräume sind überhaupt nicht geschützt. Wir haben oftmals keine Möglichkeiten zu schneller Kommunikation und sind nicht mobil, was bei akuten Bedrohungsszenarien aber sehr wichtig ist. Zudem leben wir im Süd-Kivu weit entfernt von staatlichen und diplomatischen Strukturen. Das heißt: Wir haben kein Zugang zu Botschaften und Konsulaten oder zu Stützpunkten der UN-Friedensmission Monusco.

Wer sind die Hauptgefährder?
Das sind vor allem Mitarbeiter des kongolesischen Geheimdienstes ANR und des militärischen Geheimdienstes. In anderen Fällen sind es Politiker, die Leute dafür instrumentalisieren, uns per Telefon zu bedrohen. Manche Menschenrechtsverteidiger wurden auch von Milizen bedroht, die ihnen zeigen wollten, dass sie mit ihren Berichten nicht einverstanden sind. All diese Personen, die uns in unserer Arbeit behindern und einschüchtern, erlauben es unserem Land nicht voranzuschreiten. Wir bewältigen also die Arbeit, die eigentlich die Regierung leisten müsste.

Welche Perspektiven gibt es für eine nachhaltige Beruhigung in der DR Kongo und im Gebiet der Großen Seen?
Zu allererst müssen die Kongolesen sich ihrer Verantwortung stellen und ihrer Arbeit nachgehen: in den Ministerien, im Senat, im Parlament und auf Provinzebene. Zweitens ist es die Aufgabe der Afrikanischen Union, der Internationalen Konferenz der Große Seen und der Ost-Afrikanischen Gemeinschaft EAC, pro-aktiv eine Strategie des Monitorings zu erstellen und Beschlüsse tatsächlich umzusetzen. Wir benötigen einen glaubwürdigen und transparenten Wahlprozess mit gültigem Wahlkalender für die DR Kongo. Drittens ist die gerechte Verteilung der natürlichen Rohstoffe zu nennen. Zu viele Einnahmen fließen in private Taschen. Daher benötigen wir Transparenz und ein gerechtes Steuersystem, von dem vor allem der soziale Sektor und damit die Bevölkerung profitiert.


Flucht und Vertreibung
In der DR Kongo waren im August 2017 über 3,8 Mio. Binnenvertriebene registriert, davon sind seit Beginn 2017 knapp eine Mio. neu Vertriebene – doppelt so viele wie im Vorjahr. 236.527 flohen nach Uganda, 73.644 nach Ruanda und 62.505 nach Tansania. Seit 2015 kamen rund 37.000 burundische Flüchtlinge in die Provinzen Nord- und Süd-Kivu.