Heft 6/2018, Editorial

Es braucht einen Paradigmenwechsel

DEUTSCHE AFRIKAPOLITIK ZEICHNET SICH DURCH HEKTIK, INKOHÄRENZ UND STRATEGIELOSIGKEIT AUS. Diese Aussage lässt sich durch die vielen Pläne der Bundesregierung und einzelner Ministerien leicht belegen. Ebenso so schnell wie Pläne auf den Tisch kommen, verschwinden sie wieder. Vom „Marshallplan mit Afrika" mag man schon gar nicht mehr im BMZ sprechen, nachdem er im Jahr 2018 die Gazetten gefüllt und Minister Müller sich dafür so stark gemacht hatte. Andere Pläne werden wieder aus der Schublade geholt, wie die Afrikaleitlinien des Jahres 2014. Sie sollen vom Auswärtigen Amt Anfang 2019 überarbeitet vorliegen. Um einen großen Entwurf wird es sich nicht handeln. Dazu fehlt die Bereitschaft der beteiligten Ministerien, an einer kohärenten deutschen Afrikastrategie zu arbeiten. Allein der Compact with Africa (CWA) scheint eine gewisse Dauer zu haben, was vor allem daran liegt, dass die deutsche Wirtschaft diesen unterstützt.

Noch immer schimmert durch alle deutschen Pläne so eine Art Samaritertum durch, aber Hilfe ist in afrikanischen Ländern immer weniger willkommen. Denn sie haben eigene Initiativen auf den Weg gebracht, die mit EZ nichts mehr zu tun haben. Dazu gehören der Ausbau der Infrastruktur, Industrialisierung und der Aufbau einer Freihandelszone auf dem Kontinent. Damit ist auch Deutschland gefordert – am besten im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Afrika-Kooperationspolitik –, sich neu aufzustellen und Strategien für eine Afrika-Kooperation gemeinsam mit den afrikanischen Ländern und ihren Akteuren unter Einschluss der Zivilgesellschaft zu entwickeln.

Die deutsche Afrikapolitik bedarf also dringend eines Mentalitätswandels, der die deutschen Interessen eindeutiger definiert. Was sind unsere Hauptanliegen, wie wollen wir gemeinsam mit den Partnern weiterkommen? Welche Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen haben wir, welche Werte und Normen sollen zum Tragen kommen und wie sollen international vereinbarte Klima-, Arbeits- und Umweltstandards umgesetzt werden? Daraus folgt auch die Entscheidung, mit welchen Ländern und welchen Akteuren Deutschland besonders eng zusammen arbeiten möchte. Deutsche Afrikapolitik benötigt daher vor allem einen Paradigmenwechsel, der endlich akzeptiert, dass Entwicklung nur von innen kommen kann: Die Afrikaner entscheiden über ihren Weg. Je schneller wir das Lernen, umso besser ist es für eine zukünftige Kooperation mit einem selbstbewussten Afrika. Unser deutscher Paternalismus ist fehl am Platz, zumal Deutschland nicht der Nabel Afrikas ist. Im Gegenteil: Es steht nur auf Platz elf der wichtigsten Investoren und nur etwa ein Prozent des deutschen Handels findet mit Afrika südlich der Sahara statt. Dies sollte zu einem realitätsnahen und demütigen Verhalten beitragen.

M.E. kommt es in Zukunft vor allem auf Folgendes an:

  • Deutschland sollte ein Zivilmachtakteur bleiben und in eine nachhaltige Strategie der fairen Kooperation mit Afrika eintreten. Die überfällige Reform der Handels- und Agrarpolitik der Europäischen Union erfordert zudem die Aussetzung der sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs).
  • Deutschland sollte im Rahmen einer kohärenten Afrikastrategie im Handel mit Afrika eine Abkehr von den asymmetrischen Handelsbeziehungen verfolgen. Berlin muss sich also für einen europäischen Kurs des fairen Handels mit Afrika einsetzen.

Die europäische Agrarwirtschaft ist durch ihre extrem hohe Produktivität und Milliarden an Fördersummen der afrikanischen Landwirtschaft in jeder Hinsicht überlegen, so dass afrikanische Bauern und Fischer von fairen Handelsbedingungen weit entfernt sind. Außerdem behindern nicht-tarifäre Handelshemmnisse und hohe Handels- und Transportkosten ihre Agrarexporte. Deshalb müssen in den EU-Afrika-Verhandlungen zur Zukunft des Cotonou-Abkommens solche Fragen zu Handel und Landwirtschaft zusammen beraten werden, um die afrikanische Landwirtschaft nicht noch weiter zu benachteiligen.

Der deutsche Beitrag zur Senkung der Armut und der hohen Jugendarbeitslosigkeit ist allenfalls gering. Beispielsweise sind durch deutsche Investitionen während der letzten Jahres gerade 2500 neue Arbeitsplätze entstanden. Die etwa 1000 deutschen Unternehmen beschäftigen derzeit etwa 200.000 Afrikaner. Zielstrebig sollte Deutschland daher im eigenen Interesse Kooperationen jenseits des Wirtschaftsengagements verfolgen: etwas technologische Kooperation vertiefen, gemeinsame Forschungseinrichtungen aufbauen, Studentenaustausch und Universitäts-Kooperation verbreitern und dadurch lebenslange Netzwerke schaffen.

Zu sehr wird der gegenwärtige öffentliche Diskurs zur Afrikakooperation von Flucht und Migration bestimmt. Wir sollten unsere Lektion lernen und umsteuern. Wir sollten Afrikas Agenden zur Industrialisierung, zur Modernisierung und zur Entwicklung ernst nehmen und uns vom Denken in den Kategorien „Krisen, Kriege und Kinder" oder von der Leerhülse „Zukunfts- und Chancenkontinent" lösen. Wir sollten lernen, Afrika ernst nehmen und uns selbst anders aufstellen, als Zivilmacht und als fairer Akteur gegenüber Afrika.

Robert Kappel