Heft 6/2018, Südafrika

Ramaphosas geschwächte Präsidentschaft

DIE MACHT VON SÜDAFRIKAS PRÄSIDENT CYRIL RAMAPHOSA IST NICHT GEFESTIGT. Im regierenden ANC halten sich seine Anhänger und die Unterstützer des vorherigen Präsidenten Jacob Zuma die Waage. Die „Zumaiten" scheinen allerdings besser organisiert und geben sich noch lange nicht geschlagen. Im Frühjahr 2019 stehen Wahlen in Südafrika an. Bis dahin muss Ramaphosa die gespaltene Partei mehrheitlich hinter sich bringen, will er das Land weiter regieren.

Die Erwartungen, die viele Menschen in Südafrika an die Präsidentschaft von Cyril Ramaphosa geknüpft haben, brauchen hier nicht im Detail wiedergegeben zu werden. Da gab es sicherlich etliche wenig realistische Erwartungen, die eher mit der Erleichterung über den Rücktritt von Jacob Zuma zu tun hatten als mit dem, was Ramaphosa möglicherweise hätte tun können.

In den ersten Monaten strahlte Ramaphosa durch seine spürbar methodische, systematische und maßvolle Art und Weise, mit der er sein Büro führte, viel Vertrauen aus. Dies stand im krassen Gegensatz zu dem beschämend ungehobelten Verhalten seines Vorgängers, der sich immer wieder gegen festgelegte Abläufe und selbst die Verfassung hinwegsetzte und das Wohl der Südafrikaner im Allgemeinen mit Verachtung strafte, indem er sich lieber mit Selbstbereicherung beschäftigte. Nichts war für das Land teuer genug, um seine unersättliche Sehnsucht nach Reichtum und Macht zu befriedigen.

Die Geschäftswelt war beeindruckt von Cyril Ramaphosa, viele haben immer noch das Gefühl, dass er sich gut schlägt. Die Wirtschaft wünscht sich Sicherheit und Kontinuität, und es gibt dort niemanden, der Ramaphosa sofort infrage stellt – zumindest nicht offen. Selbst ein Ramaphosa, der nicht alle Hoffnungen oder Erwartungen erfüllt, sorgt für ein besseres Investitionsklima als die Instabilität, die sich aus seiner andauernden Anfälligkeit dafür, aus dem Amt gedrängt zu werden, ergibt.

Schon vor der Amtsübernahme hatte man den Eindruck, dass Ramaphosa mit der Erwartung, Staatspräsident zu werden, bereits Schritte zur Sanierung eingeleitet hatte. Tatsächlich konnten einige Fortschritte erzielt werden: Vorstände wurden ersetzt und Gelder zurückgefordert, die ordnungswidrig ausgezahlt wurden. Es war jedoch auch klar, dass er über keine feste Basis im ANC verfügt. All das Vertrauen, das ihm die Wirtschaft entgegengebracht haben mag, half wenig, seine Macht als Präsident einer in Fraktionen gespaltenen Organisation zu stabilisieren, in der es einige seiner Führung gegenüber offen feindlich gesinnte Kräfte gibt.

Der Entschlossenheit, der erkennbaren Professionalität und dem Festhalten an Rechtsstaatlichkeit, die mit Ramaphosa verbunden werden, stand von Anfang an die Unsicherheit um seine Position im ANC und letztlich auch als Staatspräsident gegenüber. Dies drückte sich zunächst durch die knappe Mehrheit aus, mit der er zum Präsidenten des ANC gewählt wurde. Ramaphosas hauchdünner Sieg war zum Teil auch dem kompromittierten David Debede Mabuza geschuldet, der sein Schicksal in seine Hände lag und dann Vizepräsident des ANC und Südafrikas wurde.

Die Zumaiten mögen diese Abstimmung verloren haben, doch sie wurden nicht entscheidend besiegt, was die Positionen im ANC und bis zu einem gewissen Grad in der Regierung betrifft. Entscheidender aber ist: Sie haben die Zeit seit der Wahl von Ramaphosa womöglich effektiver dafür genutzt, Unterstützung einzuwerben, als die Anhänger von Ramaphosa. Statt zu verschwinden, haben sich die Zumaiten zu einer ziemlich konsistenten Gruppe ausgeweitet, die sich gegen Ramaphosa verschwört. Zuma hat sich nicht zurückgezogen, sondern ist selbst sehr stark daran beteiligt. Andere Zumaiten bleiben im Wartestand, entweder bereit für den Kampf, wie im Falle des ehemaligen Premierministers von Nordwest und Anführers der aufgelösten ANC der Provinz, Supra Mahumaphelo, oder sie warten, Loyalität bekundend, auf den Moment, in dem Ramaphosa entfernt werden kann, um wieder die Seite zu wechseln, die ihren persönlichen Interessen besser entsprechen. Daran ist nichts Politisches. Es geht lediglich darum, Patron-Klient-Beziehungen zu suchen und die zuvor von Zuma erlangten Vorteile wiederherzustellen. Dessen Netzwerke hatten ihnen mit eher unlauteren als fairen Mitteln erhebliche finanzielle Vorteile gebracht.

Von dem, was Außenstehenden bekannt ist, ist die Unterstützung für und gegen Ramaphosa mehr oder weniger gleichmäßig verteilt unter den sechs führenden ANC-Politikern, dem Nationalen Exekutiv-Komitee (NEC) und dem National Working Committee (NWC) des ANC, wobei sich letzteres anscheinend gegen ihn richtet.

Die Frage ist jedoch, ob sich die mit Ramaphosa verbundenen Personen tatsächlich zu einer geschlossenen Gruppe gegen die Verschwörungen und Demonstrationen der Zumaiten organisiert haben. Sind sie vielleicht so sehr dem Mantra der Einheit des ANC verpflichtet, dass sie es für falsch halten, Unterstützung für Ramaphosa zu organisieren? Wehren sie sich gegen diese Idee, da eine solche Aktion ja voraussetzte, er würde nicht automatisch über eine solche Unterstützung verfügen, obwohl er ANC-Präsident ist? Oder lehnt Ramaphosa vielleicht selbst eine solche Unterstützungsaktion ab, weil sie nach Spaltung klingt?

Gleichgewicht der Kräfte
Von Anfang an war klar, dass Ramaphosa es mit verschiedenen Personen auf unterschiedlichen Führungsebenen und innerhalb der Organisation zu tun hatte, die über seine Wahl nicht glücklich waren. Das ist an sich nichts neues, auch Nelson Mandela und Thabo Mbeki hatten Gegner im ANC. Aber die Zeiten haben sich geändert. Der ANC ist weniger vereint und weit entfernt von dem Gefühl politischen Zusammenhalts, das früher mit der „Kongressbewegung" (ANC-geführtes Bündnis von Organisationen verschiedener Hautfarben, das in den 1950er-Jahren entstanden war; d. Red.) verbunden war.

Die mit der Parteiführung verbundenen Herausforderungen sind, was die materiellen Folgen anbetrifft, viel größer als je zuvor. Auf allen Ebenen ist der ANC bekanntlich von großen Kontroversen befallen. Dabei wird auch nicht vor Morden zurückgeschreckt, um sich Wahlen zu sichern und dadurch Macht zu erlangen, mit deren Hilfe über Patronagenetzwerke Ressourcen zugeteilt werden können. Auf Basisebene kann die Wahl in eine bestimmte Position den Mitgliedern zudem die Möglichkeit eröffnen, in einer Zeit von 45 Prozent realer Arbeitslosigkeit ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Sicherheit zu erlangen.

Viele von denen, die regelmäßig erklären, es gebe nur einen ANC-Präsidenten und nur einen Staatspräsidenten, sind damit vielleicht nicht dauerhaft versöhnt, denn es macht sich immer wieder Unzufriedenheiten darüber Luft, wie schlecht Zuma angeblich behandelt würde oder dass seine Anhänger marginalisiert würden. Eine bestimmte Gruppe innerhalb der Führungsebenen des ANC ist definitiv nicht mit einer Ramaphosa-Präsidentschaft versöhnt. Es dürfte ihnen vor allem nicht schmecken, wenn Ramaphosa und seine Verbündeten sich weiter daran machen, das Justizsystem, die Finanzbehörde SARS (South African Revenue Service) und verschiedene Staatsunternehmen zu sanieren. Die verschiedenen Versuche, die staatliche Vereinnahmung sowie die Fehler und Unregelmäßigkeiten bei staatlichen Unternehmen und einzelnen Ministerien aufzudecken, könnten für einige dieser Personen eine Gefahr darstellen. Sollte ihre Verwicklung aufgedeckt werden, müssten sie mit Strafverfolgung rechnen oder könnten zumindest ihre prestigeträchtigen und lukrativen Positionen verlieren.

Hinter den Kulissen dürften selbst einige derer, die dem Ramaphosa-Lager zugerechnet werden, nicht vorbehaltlos mit jeder Richtung zufrieden sein, die dieser für entscheidend hält. Gut möglich, dass einige Ramaphosas Säuberungsaktionen eher ambivalent gegenüber stehen. Das könnte das Versagen der ANC-Führung erklären, Pravin Gordhan, den Minister für öffentliche Unternehmen, schnell und unmissverständlich zu unterstützen, als er wegen seiner Aussagen vor der Untersuchungskommission zu State Capture und vor der Nugent Commission zur Untersuchung der Finanzbehörde SARS angegriffen wurde. Gordhan muss nach wie vor erhebliche Verunglimpfung durch die Economic Freedom Fighters (EFF) über sich ergehen lassen und bekommt dabei nur wenig Unterstützung durch den ANC.

Zuma-Bedrohung hält an
Die Bedrohung durch Zuma könnte, statt zu verschwinden, mit der Zeit ernster geworden sein. Er hat zuletzt eine prominentere Rolle in der ANC-Politik gespielt als jeder andere ehemalige ANC-Präsident. Er dürfte kein Treffen des Nationalen Exekutivkomitees des ANC ausgelassen und ebenso an anderen organisatorischen Aktivitäten teilgenommen haben. Dabei beobachtete er die Vorgänge genau und schüchterte andere durch seine Anwesenheit ein. Es gibt offensichtlich Personen, die eine lange Geschichte der Kumpanei mit Zuma haben und auf der politischen Bühne verbleiben. Es ist aber ungewiss, wie viele andere nach vorne treten werden, sollte die Sicherheit von Ramaphosas Amtszeit in Frage gestellt werden. Zudem gibt es eine Gruppe von Personen, die sich nicht aktiv gegen den amtierenden Präsidenten stellen, die sich aber auch nicht als wirkliche Unterstützer erweisen werden, wenn seine Position gefährdet ist.

Es kann durchaus sein, dass die EFF, wie von einigen vorgeschlagen, ein Arbeitsverhältnis mit dem einen oder anderen Mitglied der ANC-Führung und der parlamentarischen Fraktionen aufbauen. Falls der ANC bei den Wahlen 2019 nicht mindestens 50 Prozent der Stimmen einfährt, könnten sich die EEF als Koalitionspartner andienen, zumindest ihre Unterstützung könnte benötigt werden.

Die EFF und die offenen wie versteckten Pro-Zuma-Fraktionen des ANC haben eines gemeinsam: Sie fürchten ein konsequentes Durchgreifen gegen Unregelmäßigkeiten, denn es könnte sich gegen einige von ihnen selbst richten. Sie haben kein Interesse an gut funktionierenden staatlichen Institutionen. Gut möglich auch, dass einige in der derzeitigen Führung, die keine Zumaiten sind, ebenso zweifelhafte Geschäfte gemacht haben. Das könnte das relative Schweigen über die Angriffe auf Gordhan erklären.

Wenn Ramaphosa verhandeln muss, was ja im Hinblick auf seine Rolle bei der damaligen Aushandlung der demokratischen Herrschaft als seine größte Stärke gilt, mit welchem Deal wird er sich dann heute zufrieden geben? Hat er einen Fahrplan? Und können wir sicher sein, dass er die Sanierung, einschließlich einer stärkeren Finanzbehörde, nicht als Teil dieses Deals aufgeben wird? Werden die EFF eine Koalition unterstützen, ohne die Sanierung zu verhindern? Wird das nicht auch die Haltung der bekannten und stillen Zumaiten in den verschiedenen Ausschüssen der Parteiführung und im Parlament sein?

Es braucht Visionen
Solange die spezifischen Charakteristika der Zuma-Ära nicht identifiziert werden, besteht die Gefahr, dass der Fokus der Ramaphosa-Phase ausschließlich auf State Capture, Korruption und Rechtsstaatlichkeit gelegt werden könnte. So entscheidend eine Regulierung der Regierungsführung auch sein mag, es muss eine Vision geben, die für die breiteren Aspekte der Art von Freiheit, die wir anstreben, entwickelt wird.

Während des Befreiungskampfes spielte der ANC eine pädagogische Rolle, die nicht nur dazu beitrug, dass er über eine Massenbasis verfügte, die seinen breiten Richtungen folgte, sondern er erläuterte auch die Bedeutung der Entwicklungen in dem Land und wie man im Kampf um Freiheit Herausforderungen begegnet. Die Erklärungen der ANC-Führung wurden an der Basis breit debattiert. Heute ist dem ANC eine solche Vision abhanden gekommen, eine Vision, die die Gegenwart mit ihrem historischen Engagement für die Armen und Schwachen, die Randgruppen und die Stummen verbindet. Es fehlt eine Vision, die einen Plan aufzeigt, ihr Los zu verbessern.

Die Annahme, dass die Sanierung der Regierung nicht verhandelbar oder unaufhaltsam ist, greift deswegen zu kurz. Wenn es für den ANC das Wichtigste ist, Wahlen zu gewinnen und Regierungspartei zu bleiben, zu welchen Kompromissen ist er dann bereit, um sicherzustellen, dass dies auch weiterhin der Fall ist? Wenn diejenigen, von denen Ramaphosa abhängt und mit denen die Parteiführer verhandeln müssen, mit einer möglichen Strafverfolgung wegen Korruption konfrontiert werden, dann ist es schwer vorstellbar, dass ein Abkommen erzielt wird – wenn es nicht gar heißt: „Sie haben Immunität vor Strafverfolgung", was ohnehin illegal wäre. So schlimm muss es nicht kommen. Aber man könnte sich darauf verständigen, die Schritte zur Wiederherstellung der Kapazität von staatlichen Behörden wie der SARS, der Strafverfolgungsbehörde NPA (National Prosecuting Authority), der Hawks (Eliteeinheit der Polizei) und anderer zu verschleppen. In diesem Fall wäre es nicht notwendig, Vereinbarungen über eine Immunität zu treffen. Dazu wird es dann nicht kommen.

Damit stellt sich einmal mehr die Frage, ob wir als Bürgerinnen und Bürger eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Ereignisse spielen oder einfach nur Zuschauer sind. So wie die Zivilgesellschaft ihre Macht bei der Beseitigung von Zuma unter Beweis gestellt hatte, ist es wichtig, eine organisierte Präsenz aufzubauen, um sicherzustellen, dass die Notwendigkeit nicht aus den Augen verloren geht, Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und die Korruption und staatliche Vereinnahmung zu beenden, und dass alle Täter strafrechtlich verfolgt werden. Es ist wichtig, dass solche sich entwickelnden Massenaktivitäten nachhaltig werden. Wir müssen lernen, wie wichtig eine organisierte Präsenz aller, die sich für unsere Freiheit einsetzen, ist. Dann können Errungenschaften gesichert und Verbesserungen erzielt werden.

Raymond Suttner

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und politischer Analyst. Er ist Prof. em. der UNISA und an die Rhodes Universität assoziiert. Als Anti-Apartheid-Aktivist war er lange Jahre inhaftiert oder stand unter Hausarrest.
Der Beitrag fußt auf seinen Kommentaren auf polity.org.za vom 26. November und 10. Dezember 2018.