Heft 6/2018, Namibia: Landreform

Wenig Wandel in Sicht

ZUR LANDKONFERENZ IN NAMIBIA

Eigentlich wollte Namibia die drängende Landfrage mit mehr Eile vorantreiben. Zumindest hatte das Präsident Hage Geingob als Ziel der einwöchigen Landkonferenz Anfang Oktober in der Hauptstadt Windhoek angekündigt. „Im aktuellen Tempo kommt die Landreform nicht voran", betonte der Präsident vor wenigen Wochen. Er schlug vor, Enteignungen stärker in Betracht zu ziehen. Damit wolle er Lösungen finden, um die ungerechte Verteilung des Landes zwischen Schwarzen und Weißen zu beheben. Das könnte bedeuten, dass weiße Großgrundbesitzer ihr Land gegen eine Entschädigung abgeben müssten, damit es schwarzen Farmern zugeteilt würde.

„Das Reformprogramm zur Landumverteilung in Namibia bleibt höchst kompliziert", sagt Dietrich Remmert, Mitarbeiter des Institutes für öffentliche Politikforschung (IPPR), eine Denkfabrik in Namibia. „Die Konferenz diente zwar als Forum für viele Menschen, ihre Stimmen hörbar zu machen, darunter auch sozial schwächere Gruppen wie die Farmarbeiter. Aber die Veranstaltung war schlecht organisiert und geprägt von den Anschuldigungen, es habe im Vorfeld politische Manipulationen gegeben."

Somit gibt es auch nach Ende des fünftägigen Dialogs mit angeblich 800 Delegierten der Regierung, des Privatsektors, von Zivilgesellschaften, Kirchen und traditionelle Stammesführer in Sachen Landreform offenbar kaum einschneidende Änderungen. „Aus meiner Sicht haben sich die Organisationen dieser Konferenz zu wenig darum gekümmert, dass mehr akademische Experten und Wissenschaftler an Bord sind." Untersuchungsergebnisse von Landprogrammen und Projekten seien laut Remmert kaum in der Debatte genutzt worden. Auch sei die Regierung nicht transparent genug gewesen, wichtige Fakten und Daten für die Analyse der Landproblematik rechtzeitig vor Konferenzbeginn zu veröffentlichen.

Werden Vorschläge zur Reform umgesetzt?
Das Land habe eine große Gelegenheit verpasst, die seit 1995 bestehenden Landreform-Programme und Aktivitäten kritisch zu beleuchten, was laut Remmert eine bessere Grundlage für künftige Änderungen in dem Reformprozess gewesen wäre. „Sorge bereitet auch, dass es fast keine Diskussion über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft und das Land-Management stattgefunden hat", fügt er hinzu.

Remmert behauptet, kritische Beobachter seien sich einig: Die Regierungspartei Swapo (Südwestafrikanische Volksorganisation) wolle gar keinen wirklichen Wandel der bestehenden Situation, denn die Elite und die neue, aufstrebende Mittelklasse profitierten davon. „Man könnte sagen, die Konferenz ist veranstaltet worden, damit bei den nächsten Volkswahlen (2019) die Landkonferenz als Zugpferd für Wähler genutzt werden kann. Ich bezweifele, dass die Empfehlungen und Beschlüsse, die bei dieser Konferenz ausgesprochen worden sind, konkret umgesetzt werden."

Die Teilnehmer dieser zweiten nationalen Landkonferenz – die erste fand bereits 1991 statt – beschlossen: Das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Besitz bleibt im Prinzip bestehen, jedoch dürfen Ausländer zukünftig keine privaten Immobilien mehr in Namibia besitzen. Namibische Staatsbürger dürfen in Zukunft nur eine einzige Farm besitzen. Bevölkerungsgruppen, die während der deutschen Kolonialzeit und der jahrzehntelangen südafrikanischen Fremdherrschaft Land verloren haben, sollen nun bei Ansiedlungsprogrammen bevorzugt werden.

Die Größe der Farmen soll reguliert werden. Die Bevorzugung bei den Wiederansiedlungen gilt vornehmlich den San, Herero und Nama, sie waren es, die während der Kolonialzeit ihr Land verloren haben: 70 Prozent dieser Volksgruppen und 30 Prozent anderer Gruppen sollen nach diesem Zahlenverhältnis dort leben können. Eine Kommission soll ernannt werden, die Ansprüche auf vorväterliches Land und dessen Rückgabe untersuchen soll.

Wenig Land für Schwarze
Namibia war von 1884 bis 1914 deutsche Kolonie, danach wurde es lange vom weißen Apartheid-Regime in Südafrika verwaltet. In dieser Zeit sind tausende schwarzer Namibier von ihrem Land vertrieben worden. Bis heute ist ein Großteil des Grundbesitzes in der Hand von Deutsch- und Südafrika-Stämmigen oder Ausländern: Etwa 70 Prozent des Farmlandes ist im Besitz weißer Landwirte. Sozial benachteiligte schwarze und farbige Einwohner besitzen laut der Namibischen Statistik-Agentur nur 16 Prozent.

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 versucht die Regierung Namibias, die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und das Unrecht aus der Kolonialzeit zu berichtigen. Nach der ersten Landkonferenz 1991 entschied sich Namibias Regierung für zwei Prinzipien, um die Landreform einzuführen: Wiederansiedlung von zuvor benachteiligten Namibiern auf kommerziellem Farmland und ein vergünstigtes Kreditsystem für besser verdienende schwarze und farbige Namibier, um Farmen zu kaufen.

Weiße Farmer können dem Staat bislang auf freiwilliger Basis Land verkaufen. Doch dieses Prinzip funktionierte nicht – so waren sich wohl auch die Delegierten einig – und soll laut Konferenzbeschluss durch andere Methoden der Regierung, Farmland aufzukaufen, ersetzt werden. Das südwestafrikanische Land will 43 Prozent oder 15 Millionen Hektar seines Farmlandes bis 2020 an schwarze Einwohner geben. Ende 2015 waren nur 27 Prozent umverteilt, sagte die Landwirtschaftsunion Namibias in Medienberichten.

Elite profitiert bei Landbesitz
„Es gibt ein Gerangel bei den sozial Schwachen über den geringen Anteil an Land, das die Regierung für sie bereitgestellt hat. Eine neue Elite, oft mit engen Verbindungen zur Regierung und internationalen Investoren, profitiert mehr als die Armen", schreibt auch die Anthropologin Romie Vonkie Ngheitevelekwa von der Universität Namibia in einem Fachartikel. Die Politik der nationalen Versöhnung werde von der Regierung genutzt, um den Status quo zu rechtfertigen. „Mit dieser Strategie wird vermieden, die strukturellen Probleme Namibias anzugehen."

Die Konferenz zur Landfrage werde nichts ändern – so sieht es Bernadus Swartbooi, Anführer der „Bewegung der Landlosen in Namibia". Im staatlichen Fernsehsender NBC sagte er bereits vor der Konferenz: „Die Landlosen werden landlos bleiben, die Obdachlosen werden obdachlos bleiben. Nichts wird sich ändern, was die Rückgabe von Land unserer Vorfahren angeht." Seine Organisation sei gar nicht eingeladen gewesen, ihre Besorgnisse vorzutragen.

„Die traditionellen Gruppierungen werden in diesem Prozess unterwandert. Unsere Vorschläge passen nicht zur Ideologie der Regierungspartei", sagte Swartbooi. Die Rückgabe von Höfen hätte längst geschehen können. Die Menschen der geringen Einkommensgruppen in den Städten, die nie ein Stück Land besitzen werden, sollten von der Regierung ohne Zahlung ein Stück Land erhalten. „Wir wollen die Gesellschaft fundamental umstrukturieren und die Würde der Menschen wiederherstellen."

Wenige Tage vor der Konferenz war ein Dokument der Regierung aufgetaucht, das schon Beschlüsse vorweggenommen hatte und Ansprüche auf vorväterliches Land zwar zur Diskussion zulassen wollte, aber nicht geltend machte. Daraufhin weigerten sich über ein Dutzend traditionelle Stammesführer, an der Konferenz teilzunehmen. Einige Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen schlossen sich an. Erst später, nach eindringlichem Aufruf des Präsidenten bei der Konferenz, schickten einige Stammesführer und Gruppen der Zivilgesellschaft ihre Vertreter.

Gibt die Regierung den Diskurs vor?
Naita Hishoono, Direktorin des Institutes für Demokratie in Namibia, sieht die Veranstaltung ebenfalls kritisch: Die Zivilgesellschaft, Akademiker und wichtige Vertreter der Landverbände hätten die Konferenz boykottiert, weil dort nur Regierungsinstitutionen agierten und es sich lediglich um einem PR-Akt handele, sagte sie und weist auch auf die im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen hin: Der Präsident sei entsprechend unter Druck.

„Auch die von dem Genozid durch die Kolonialherren am meisten Betroffenen, die Angehörigen der Volksgruppen der Herero und Nama, sind verärgert. Sie fordern einen offenen Dialog", sagt Hishoono weiter. Landverlust der Herero, Nama, Damara und San durch Kolonialismus bedeutet für viele Namibier ein Trauma, dass sich durch Generationen zieht. Viele leben in Armut. Trotz Anträgen auf Wiederansiedlung seien sie oft übergangen worden.

Die Regierung wolle Frieden im Land und sie wolle Investoren nicht verschrecken. Das sei bereits die vorgegebene Linie der Debatte, fügt sie hinzu. „Die Regierung will nicht den produktiven Farmern im Weg stehen, die dann abwandern könnten. Landwirtschaft ist eine der Haupteinnahme-Quellen in Namibia."

Allerdings sei die Frage, wem das Land gehöre, schwer zu beantworten, erklärt Hishoono: „Die Ureinwohner Namibias haben Land nicht als ihren eigenen Besitz gesehen, sondern als etwas, das allen gehört."

Martina Schwikowski

Die Autorin ist freie Journalistin und ist u.a. für die taz und die Deutsche Welle tätig.

Vgl. auch Wolfgang Werner, Zeit für eine Bestandsaufnahme – in Namibia steht die zweite nationale Landkonferenz bevor, in afrika süd 4/2018