Heft 6/2019, afrika süd-Dossier: Tradition im globalen Zeitalter

The Africa we want

„DAS AFRIKA, DAS WIR WOLLEN": Wie sich Afrika von seine Problemen lösen und die Zukunft gestalten könnte.

Überall auf dem afrikanischen Kontinent sind sich über das Jahrhundert die Berichte der Menschen über Kampf und Missbrauch schrecklich ähnlich geblieben. Seit Beginn der Kolonialisierung hat sich sehr wenig geändert. Durch die Revolutionen, die die Herrschaft der Schwarzen einleiteten, bis zur heutigen unzureichenden Form der Demokratie und Freiheit, unter der die „Afrikanerinnen" und „Afrikaner" weiterhin leben, hat sich nur die Farbe und der Charakter der Unterdrücker von weißen Europäern zu vertrauteren schwarzen Gesichtern gewandelt, deren Agenda jedoch ebenso verkommen ist.

Dies hat viele Wissenschaftler dazu veranlasst, über die Frage nachzudenken, was für ein „Afrika wir wollen", also die Art von Kontinent, den die afrikanische Bevölkerung verdient, und eine Vision, die einen weitreichenden Wandel in den Städten, Gemeinden und Dörfern Afrikas vorantreiben kann. In „Afrotopia", seiner jüngsten Abhandlung über Afrika, fordert Felwine Sarr mit Nachdruck eine afrikaweite kulturelle Revolution, um eine neue Realität ins Leben zu rufen. Die „Afrikanerinnen" und „Afrikaner" sind in der Tat noch immer auf der Suche nach Hoffnung und nach Erneuerung des bestehenden Modells. Dieser Artikel ist ein Versuch, einige der Probleme Afrikas und die Möglichkeiten aufzuzeigen, die zur ihrer Lösung eingesetzt werden könnten.

Die Berliner „Kongo-Konferenz" von 1884 teilte Afrika in 50 Territorien auf, die Kultur, Religion und ethnische Aspekte in Afrika ignorierten und stattdessen auf den egoistischen und engstirnigen Interessen der europäischen Mächte beruhte, um den afrikanischen Kolonialismus in Gang zu setzen. Durch diese systematische Zerstörung verloren die „Afrikaner" ihre Systeme der öffentlichen Verwaltung, Wirtschaft, Recht, Religion und Kultur. Das Afrika, das wir wollen, muss sich voll und ganz mit dem negativen Erbe des Kolonialismus befassen, das durch das Gerangel um Afrika und dessen Teilung 1884 entstanden ist. So müssen beispielsweise Grenzen und Barrieren, die der Kolonialismus gesetzt hat, beseitigt werden, um den Einfluss neokolonialer Mächte zu verringern und ein Modell zu schaffen, in dem die „Afrikaner" aufeinander angewiesen sind, wie es sich Führer wie Kwame Nkrumah vorstellten. Im Mai 1963 verbreitete dieser bei der Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), dem Vorläufer der Afrikanischen Union, erstmals die Idee der Vereinigten Staaten von Afrika.

Die Grenzen haben die Entwicklung von Handelsbeziehungen zwischen afrikanischen Nationen erschwert, da sie die Abhängigkeitsbeziehung von Zentrum und Peripherie zwischen afrikanischen Nationen und ausländischen Mächten begünstigen. Die Schaffung eines Afrika ohne Grenzen wird auch den innerafrikanischen Handel ankurbeln, der derzeit bei gerade einmal 16 Prozent der Exporte und 13 Prozent der Importe stagniert, verglichen mit dem Handel mit anderen Regionen. Die Europäische Union hat durch den europäischen Binnenmarkt ein bedeutsames Beispiel für die afrikanischen Länder gegeben. Über den Gemeinsamen Markt besteht europaweit freier Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Dies ermöglicht den ungehinderten freien Verkehr von Produktionsfaktoren im gesamten europäischen Raum. Sollte dies auch in Afrika Wirklichkeit werden, würde dies den Handel, die Märkte und Kultur in Afrika verändern und eine Plattform für Wohlstand schaffen.

Es wird geschätzt, dass 60 Prozent der afrikanischen Bevölkerung unter 25 Jahre alt sind, wobei das mittlere Alter des Kontinents 19,5 Jahre beträgt. Gleichzeitig liegt das Durchschnittsalter eines afrikanischen Präsidenten bei 62 Jahren. Die Ironie dabei ist auffallend. Die meisten afrikanischen Führer sind nicht repräsentativ für die Menschen, die sie führen, und daher nicht mit den Realitäten und Bestrebungen der meisten „Afrikaner" vertraut, da ihnen Vision, Verdienste und Vitalität fehlen, um die Vorstellungen junger „Afrikanerinnen" und „Afrikaner" zu beflügeln.

Zudem muss der Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten, Bildung und Beschäftigung für junge Frauen erheblich erweitert werden, und es müssen beherzte Schritte unternommen werden, um die Vergütung und die Eigentumsrechte zwischen Männern und Frauen anzugleichen. Um in Afrika Chancengleichheit herzustellen, ist es von zentraler Bedeutung, starke Haushalte mit doppeltem Einkommen zu bilden, die finanziell stärkere Familien schaffen und ihrerseits zum Aufbau stärkerer Gemeinschaften und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Afrika beitragen können.

Das Altersprofil Afrikas bietet jedoch auch Chancen, zum weltweiten Motor für Wachstum und Produktivität zu werden. Derzeit liegt das Durchschnittsalter in Westeuropa bei 43,5 Jahren und wird bis 2050 auf schätzungsweise 53,5 Jahre ansteigen. Angesichts der alternden Bevölkerung sieht sich Westeuropa heute mit weniger Arbeitnehmern konfrontiert, was den wirtschaftlichen Fortschritt in den kommenden Jahren beeinträchtigen könnte. Damit die „Afrikanerinnen" und „Afrikaner" jedoch zu Hütern des globalen Wachstums werden können, muss die Beteiligung der Jugendlichen an Führung und Regierung der afrikanischen Nationen verbessert werden. Es muss eine Abkehr vom Status quo und die Schaffung einer neuen Generation von Führungskräften in Afrika geben, die über das Fachwissen und die Kraft verfügen, um Wachstum in Afrika zu anzustoßen.

Nehmen wir als Beispiel das Mutapa-Reich (auch Mwenemutapa genannt), das von 1450 bis 1629 bestand und trotz seines frühen Erfolgs aus dem Gedächtnis der Geschichte verschwunden ist. Das mittelalterliche Königreich erstreckte sich über das Land zwischen dem Sambesi- und dem Limpopo-Fluss und umfasste das heutige Simbabwe, Mosambik, einen Teil Südafrikas und Sambias. Das goldreiche Königreich gründete sich größtenteils auf den Handel von Mineralien wie Gold, Kupfer und Elfenbein mit portugiesischen Kaufleuten, die diese Waren bis ins entfernte Indien vertrieben.

Daraus ist ersichtlich, dass das Mutapa-Reich ein Teil des globalen Handels war. Das Königreich verfügte auch über Regierungsstrukturen, Gesetze und eine Religion, die die traditionelle Kultur führte und zu ihrem damaligen Erfolg beitrug. Daher ist es für „Afrikaner" unerlässlich, auf diese Beispiele zurückzublicken und die Aspekte der Vergangenheit, die im Mutapa-Reich funktioniert haben, einzubinden.

Das Afrika, das wir wollen, muss eines sein, das die Kolonialgeschichte nicht auf Kosten der afrikanischen Geschichte fördert. Afrikanische Nationen dürfen sich nicht davor scheuen, fremde Regierungs-, Rechts- und Wirtschaftssysteme aufzugeben. Stattdessen sollten sie afrikanische Methoden der öffentlichen Verwaltung, der Wirtschaft und des Rechts, die mit dem afrikanischen Kontext und der afrikanischen Erfahrung vereinbar sind, erneuern und übernehmen. Am Beispiel des Mutapa-Imperiums ist erkennbar, dass es in vorkolonialen Zeiten sehr wohl Beispiele für afrikanische Erfolgsgeschichten gibt, die für den zukünftigen Erfolg des Kontinents nachgeahmt werden können, um es den „Afrikanerinnen" und „Afrikanern" zu ermöglichen, sich auch in der globalisierten Welt zu behaupten.

Jeder wissenschaftliche Bericht über Afrika und die sogenannten Entwicklungsländer konzentriert sich zum Teil auf die Notwendigkeit institutioneller Reformen in Afrika, und das ist eine Tatsache. Die Institutionen auf dem afrikanischen Kontinent befinden sich in einem schlimmen Zustand. Die meisten afrikanischen Befreier nutzten einfach die Euphorie der Unabhängigkeit, indem sie die neu erlangte Macht und die Privilegien für ihren persönlichen Gewinn nutzten und nicht für die nationale Entwicklung. Auf diese Weise wurden Institutionen, die bereits arm waren, noch weiter heruntergewirtschaftet, zu dem, was sie heute sind.

Die Institutionen, die der größten Reformen benötigen, sind die Justiz, die uniformierten Streitkräfte und der Finanzsektor. Damit Wirtschaft und Handel erfolgreich sind, ist es wichtig, dass die Gerichte unparteiisch sind und Missstände wie Korruption effektiv und ohne Furcht und Befangenheit bekämpfen. Zudem müssen auch die Polizei und das Militär zu professionellen Kräften reformiert werden, die dem Volk dienen und die Verfassungsrechte aufrechterhalten.

Am Ende liegt die Zukunft Afrikas in einer furchtlosen und selbstlosen Führung. Die afrikanische Führung muss nun den Charakter und die Gestalt von kompetenten und mutigen jungen Menschen annehmen, die sich nicht scheuen werden, die Ungerechtigkeiten und Machtmissbräuche der Vergangenheit zu korrigieren. Und dies unabhängig davon, wer sie begangen hat, sei es von „Vätern" wie Robert Mugabe oder vom belgischen König Leopold, dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kongo Adolf Hitler Konkurrenz machen. Dadurch wird sich Afrika von seinem gegenwärtigen chaotischen und kleptokratischen Wesen entfernen, um ein neues Beispiel und eine neue Ordnung zu schaffen, die auf Frieden, Gerechtigkeit, Verdienst und Wohlstand beruht und schließlich in dem Afrika gipfeln, das wir wollen.

Henry Munangatire

Der Autor ist Politikwissenschaftler aus Harare.