Heft 6/2020, Namibia

No BIG no vote

GRUNDEINKOMMEN IN NAMIBIA: DIE KAMPAGNE FORMIERT SICH NEU.

Nach 30 Jahren Unabhängigkeit steht Namibia vor seiner schwersten sozio-ökonomischen Krise, die durch die Covid-19-Pandemie noch erheblich verschärft wurde. Massenarbeitslosigkeit und anhaltend hohe Ungleichheit haben junge Menschen und Frauen besonders hart getroffen, und die politischen Parteien scheinen nicht in der Lage zu sein, Lösungen für die Krise zu finden.

Infolgedessen sinkt das Vertrauen in das politische Establishment, was sich im Ergebnis der Wahlen vom November 2019 widerspiegelt, als die Regierungspartei Swapo von fast 80 Prozent auf 65 Prozent der nationalen Stimmen zurückging. Auch die Zustimmung für Präsident Hage Geingob sank drastisch von 87 Prozent auf 53 Prozent. Dies ist das erste Mal seit der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990, dass die Regierungspartei und ihr Präsident einen derartigen Stimmenrückgang erlebten. Anscheinend sind die Namibierinnen und Namibier auf der Suche nach neuen Ideen zur Lösung der Krise.

Dies zeigt sich auch in der wachsenden Unterstützung für unabhängige Kandidaten bei Regionalwahlen und im Entstehen neuer politischer Formationen wie der Partei der Landlosenbewegung (LPM). Doch immer noch ist die offizielle Oppositionspartei PDM (Popular Democratic Movement) weit davon entfernt, eine Gefahr für die Regierungspartei zu werden, hat sie doch bei den letzten Wahlen gerade mal 5,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Beide, sowohl LPM als auch PDM, haben sich für eine Grundeinkommen – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Vorgaben – ausgesprochen. Darauf bezieht sich jetzt die wiederbelegte Kampagne zur Einführung eines universellen, bedingungslosen Grundeinkommens. Sie wirbt mit dem Slogan: „No BIG no vote" am Ende ihrer ersten offiziellen Deklaration.

Zur Geschichte
2008/09 wurde in Namibia das vielbeachtete BIG-Pilotprojekt in Otjivero durchgeführt1 und die Ergebnisse ließen vermuten, dass die namibische Regierung die Umsetzung einleiten würde. Besonders als Hage Geingob, der zu den ersten Unterstützern des BIG gehörte, 2015 zum Präsidenten Namibias gewählt worden war. Er setzte einen prominenten Vertreter der BIG-Koalition, Bischof Zephania Kameeta, als Sozialminister ein und schürte damit die Hoffnungen auf eine baldige Umsetzung. Doch diese Hoffnung wurde zerstört, denn durch die Verlagerung der Debatte über die Einführung eines Grundeinkommens in ein Ministerium verschwand sie aus der öffentlichen Wahrnehmung und die Kampagne selbst kam zum totalen Stillstand. Minister Kameeta erarbeitete 2016 einen Blueprint für die Einführung eines BIG gemeinsam mit ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus der Kampagne und legte diesen dem Kabinett vor, doch weiter geschah zunächst nichts.

2019 erstellte das Ministerium dann eine Draft National Social Protection Policy. Darin wird die Einführung eines universellen Kindergeldes in Höhe von 340 Namibia-Dollar (NAD, 17,50 Euro) pro Monat vorgeschlagen sowie ein Grundeinkommen für Arbeitslose zwischen 30 und 59 Jahren. Gleichzeitig versprach Minister Kameeta auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni des Jahres, dass ein Grundeinkommen im folgenden Jahr eingeführt werden würde.

Dann kam die Corona-Krise und die Regierung erkannte die Notwendigkeit, dem Wegbrechen der Lebensgrundlage für viele Menschen während des Lockdowns etwas entgegenzusetzen. Mit dem sogenannten Notfallgrundeinkommen (emergency income grant EIG) sollte all denen unter die Arme gegriffen werden, deren Einkommen durch den Lockdown weggebrochen war. Der Finanzminister berechnete einen Bedarf von 1000 NAD pro Monat pro Person zum Überleben, worauf die Regierung für den ursprünglich auf drei Wochen angesetzten Lockdown einen Betrag von 750 NAD (39 Euro) an 760.000 Menschen über Mobilfunksysteme auszahlte. Wer Einkommenssteuer zahlt und damit mehr als 50.000 NAD pro Jahr verdient, wurde von der Auszahlung ausgeschlossen. Die Auszahlung ist bis heute – sechs Monate nach Beginn des Lockdowns – nicht wiederholt worden.

Neue Kampagne gestartet
Die durch die Pandemie verursachte dramatische sozioökonomische Situation und der damit verbundene Verlust der Einkommen für viele prekär Beschäftigte hat die Zivilgesellschaft des Landes auf den Plan gerufen, um einen neuen Versuch für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens BIG zu starten. Viele Aktivistinnen und Aktivisten der ersten Stunde, aber auch neue, junge Gesichter sind sich einig, dass die Maßnahmen der Regierung zur Minderung der dramatischen Auswirkungen sowohl der Corona-Pandemie selbst als auch der Lockdown-Maßnahmen bei weitem nicht ausreichend sind, um die Folgen und Schäden abzuwenden.

„Mit der Covid-19 Pandemie hat sich die Situation für uns noch verschlimmert, denn zu unserer Last ist noch der tägliche Überlebenskampf hinzugekommen. Viele von uns haben durch die Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren. Viele Namibierinnen sind im informellen Sektor beschäftigt, von dem sie als einziger Einkommensquelle komplett abhängig sind. Durch die Ausgangssperre wurden wir von dieser Einkommensquelle abgeschnitten, da es uns nicht erlaubt ist, zu arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu sichern. Sie hat unsere Armut und unseren Hunger vergrößert und uns der Fähigkeit beraubt, uns selbst als Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Unsere Staats- und Regierungschefs bieten uns keine langfristige Hilfe an, da wir weiterhin täglich ums Überleben kämpfen, obwohl wir ihnen in der Hoffnung vertraut haben, dass sie unser Wohlergehen sichern werden", heißt es in der Deklaration, die von über 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnet wurde.

Von Beginn an wurde vor allem auf Mobilisierung und Verbreitung über soziale Medien gesetzt. Die Kampagne übernahm die von der KASA gepflegte Facebookseite, die inzwischen fast 3000 Abonnierende hat. Eine Online-Petition konnte bereits 700 Unterschriften erreichen. Außerdem werden Gespräche besonders mit Politikerinnen und Politikern sowohl der Regierungspartei als auch der Oppositionsparteien gesucht, die offen für die Implementierung eines Grundeinkommens sind. Damit ist der Slogan „No BIG no Vote for you" kein Aufruf zum Wahlboykott, sondern Ausdruck einer politischen Strategie im Sinne eines: „Wir wählen euch nur, wenn ihr Euch für die Einführung eines BIG einsetzt!", die Demokratie befördern kann. Also: Vote BIG!

Was ist anders?
Setzte die erste BIG-Kampagne vor allem auf die Ausrottung der absoluten Armut, so ist die Situation jetzt mit der Corona-Pandemie eine andere. Auch Menschen, die bisher einigermaßen über die Runden gekommen sind, sehen ihre Existenz bedroht und brauchen Unterstützung. Namibias arbeitende Bevölkerung ist entweder unterbezahlt, prekär beschäftigt oder unterbeschäftigt. Besonders betroffen sind dabei junge Menschen. Dies wurde bereits in einer 2014 veröffentlichten Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über das namibische Sozialsystem analysiert und bewertet. Die Studie betonte auch die Bedeutung und den Erfolg, den Namibia mit der universellen Grundrente bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit erzielt habe. In diesem Licht wäre auch die Einführung eines Kindergeldes zu sehen. Der Bericht spricht sich überzeugend gegen Bedürftigkeitsprüfungen als Grundlage für die Bestimmung von Leistungsempfängern aus: „Bedürftigkeitsprüfungen führen zu hohen effektiven Steuersätzen für die Armen und zu Negativanreizen für die Altersvorsorge sowie zu unnötigen und verschwenderischen Verwaltungsausgaben, weil Bedürftigkeitsprüfungen in einem informellen Umfeld mit niedrigem Einkommen sehr schwer mit Genauigkeit durchzuführen sind oder sehr ressourcenanreizend werden."

War die Forderung 2008 noch 100 NAD (damals rund 10 Euro) pro Person und Monat für alle bis zum Renteneintrittsalter von 60 Jahren, so hat sich auch hier die Position geändert. Der Betrag liegt jetzt bei 500 NAD (25 Euro) für alle Menschen zwischen Kindergeld – von dem erwartet wird, dass es bald eingeführt werden wird – und der Altersrente. Damit sind im Gegensatz zu den Plänen der Regierung die Jugendlichen miteinbezogen, deren Arbeitslosenquote besonders hoch ist. Gerade auf die junge Generation setzt auch die neue Kampagne, denn die Jugendlichen sind es leid, immer nur vom Befreiungskampf zu hören. Sie erwarten konkrete Verbesserungen und Zukunftschancen und sind hoffentlich auch die Trägerinnen und Träger der Forderungen nach der Einführung eines bedingungslosen und universellen Grundeinkommens.

Simone Knapp und Herbert Jauch

Simone Knapp ist Koordinatorin der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.

Herbert Jauch ist Gewerkschafter und Aktivist, lebt in Namibia und hat das BIG-Pilotprojekt in Otjivero mitbegründet.

1. Siehe dazu https://www.kasa.de/arbeitsbereiche-der-kasa/basic-income-grant/ und http://www.bignam.org/ sowie afrika süd Nr. 6/2012 https://www.afrika-sued.org/ausgaben/heft-6-2012/big-am-ende-/