GLEICHHEIT, GERECHTIGKEIT UND MENSCHLICHKEIT: DAFÜR STAND GEORGE BIZOS. Südafrikas renommiertester Jurist und Kämpfer für die Menschenrechte verstarb am 9. September. Mit seinem Tod hat Südafrika einen Mann von großer moralischer Integrität verloren, der sich unermüdlich gegen Unterdrückung und für eine demokratische Verfassung in Südafrika und der Region eingesetzt hatte.
Für Südafrika war das Jahr 2020 wenig erfreulich. Nicht nur der schwierige Kampf des aktuellen Präsidenten und ANC-Vorsitzenden Cyril Ramaphosa gegen Vetternwirtschaft und Korruption in der eigenen Partei, sondern auch die Pandemie haben das Land aus dem Gleichgewicht gebracht und in eine Identitätskrise gestürzt. Mit dem Tod der letzten verbliebenen Angeklagten des Rivonia-Prozesses, Andrew Mlangeni (afrika süd Nr. 4, 2020) und Denis Goldberg (as Nr. 3, 2020) in diesem Jahr, markiert Bizos' Tod nun den endgültigen Schlussstrich unter die Ära von Nelson Mandela. Der Prozess von 1963-64 richtete sich gegen Mitglieder von Umkhonto we Sizwe (MK), dem militärischen Arm des African National Congress (ANC). Die Angeklagten waren Widerstandskämpfer gegen das Apartheidregime, die sich für Freiheit und Gleichberechtigung einsetzten. Die Rechtsgrundlage des Prozesses bildeten der Sabotage Act General Laws Amendment Act (Act No. 76/1962) und der Suppression of Communism Act aus dem Jahr 1950. Die ursprüngliche Anklage lautete auf Sabotage, Umsturzversuch und kommunistische Aktivitäten.
Bizos, der schon seit längerem unter gesundheitlichen Problemen litt, starb am 9. September 2020 friedlich im Alter von 92 Jahren.
Während der weiterhin grassierenden Covid-19-Pandemie, die ein mögliches Scheitern der gerade erst 26 Jahre alten Demokratie möglich erscheinen lässt, bestätigte Bizos' Tod die Zäsur zwischen den verschiedenen Generationen von Freiheitskämpfern und Anti-Apartheid-Aktivisten, die in den 1950er- und 1960er-Jahren aktiv waren, und den Menschen im heutigen Südafrika, in dem weiterhin eine wirtschaftliche und politische Ungleichheit herrscht.
Bis zu seinem letzten Atemzug setzte er seine Fähigkeiten als Anwalt und seine ungeheure moralische Autorität ein, um das zu erreichen, was der Führer des Black Consciousness-Bewegung, Steve Biko, einmal als „einen Aktivismus beschrieb, der Südafrika ein menschlicheres Gesicht" geben will.
Vom Migranten zum politischen Anwalt
Bizos war ein Immigrant, der erst im Alter von 13 Jahren nach Südafrika kam; als Flüchtling vor der Barbarei der Nazis. Sein Vater Antoni Bizos war Bürgermeister des kleinen griechischen Dorfes Vasilitsi auf der Peloponnes-Halbinsel. Nach der Besetzung des Landes durch Nazideutschland wurde der Vater aus dem Priesteramt verstoßen und des Amtes enthoben.
Alliierte Soldaten aus Neuseeland, Australien und England halfen Antoni und George Bizos bei der Flucht aus dem besetzten Griechenland. Sie flohen mit einem Ruderboot nach Kreta. Ohne dass sie es wussten, wurde Kreta fast zeitgleich durch deutsche Truppen besetzt. Der junge Bizos bestand darauf, seinen Vater auf dieser Odyssee 1941 zu begleiten. Die britische Royal Navy rettete die in Seenot geratenen Flüchtlinge, brachte sie nach Ägypten und schließlich nach Durban. Danach wurden sie nach Johannesburg zwangsumgesiedelt.
George Bizos wurde schnell in die dortige griechische Gemeinschaft aufgenommen, doch seine Mutter und Geschwister kamen erst sehr viel später nach Südafrika nach. Über das Schicksal des jungen Flüchtlings, der anfangs weder Englisch noch Afrikaans sprach, berichtete 1941 die Sunday Times in einem Artikel. Bizos arbeitete in einem griechischen Café, als ihn die Lehrerin Cecilia Feinstein aufgrund des Zeitungsartikels wiedererkannte und ihm eine Schulbildung ermöglichte. Als er 1948 an die Witwatersrand-Universität aufgenommen wurde und dort Jura studierte, war sein weiterer Weg vorgezeichnet. In gemeinsamen Kursen lernte er Nelson Mandela und weitere Anti-Apartheid-Kämpfer kennen und freundete sich mit ihnen an. 1950 erwarb er den Bachelor of Arts, 1953 den Bachelor of Law.
Direkt nach seiner Anwaltszulassung übernahm Bizos „politische Fälle". Dies führte dazu, dass ihm vom Apartheidregime die Staatsbürgerschaft und ein Pass verweigert wurden, was zur Folge hatte, dass er seine Mutter erst 21 Jahre, nachdem er sie verlassen hatte, bei ihrem Besuch in Südafrika 1962 wiedersehen würde.
Meisterlicher Stratege im Rivonia-Prozess
Bizos war seit seinem Studium eng mit Aktivisten und ANC-Führern wie Nelson Mandela, Ruth First und Joe Slovo befreundet. Er fungierte als Berater für Mandela, Govan Mbeki und Walter Sisulu, beim Rivonia-Hochverratsprozess war er Mitglied des Anwaltsteams, das unter der Leitung von Bram Fischer stand. Auch andere Anwälte, die später als Verfassungsrichter Prominenz erlangten, wie z.B. Arthur Chaskalson, Vernon Berrangé und Joel Joffe, gehörten zur Gruppe der Verteidiger. Die gemeinsame Zeit des Rivonia-Prozesses schweißte sie lebenslang zusammen.
Während des Hochverratsprozesses bewies Bizos, dass er ein herausragender Jurist, exzellenter Stratege und ein gefürchteter Kreuzverhörspezialist war. Seine überlegenen Fähigkeiten im Kreuzverhör beruhten auf einem instinktiven Gespür für Menschen und einer brennenden Wut gegen Ungerechtigkeiten. Mit freundlicher und sanfter Stimme innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals setzte er geradlinig und kompromisslos das Recht um.
Es war George Bizos persönliche Interpretation von „Menschlichkeit", die ihn dazu trieb, der Wahrheit immer auf den Grund zu gehen. Verdächtige Todesfälle in Polizeigewahrsam von Aktivisten wie Steve Biko, Neil Aggett, Ahmed Timol trieben ihn immer wieder an, „Rechenschaft zu verlangen".
In seinem Buch „No One to Blame? In Pursuit of Justice in South Africa" beschrieb er einige dieser Fälle ausführlich. Im Vorwort des Buches beschreibt Bizos' Freundin und Kameradin, die Schriftstellerin Nadine Gordimer, ihn als „südafrikanischen Bürgerrechtsanwalt von internationalem Rang, einen vernichtenden Kreuzverhörspezialisten, der von der Apartheid autorisierte Folterer und Mörder zur Rechenschaft zog... Als George Bizos einen Fall gewann, war das nicht nur ein professioneller Sieg, sondern ein Imperativ eines Mannes, dessen tiefe Menschlichkeit sein Leben lenkt."
Bizos' herausragender Ruf begründet sich z.T. auch auf die fast vierstündige Rede Mandelas zum Abschluss der Rivonia-Prozess, die noch heute berühmt ist und mit folgenden Sätzen endete: „Zeit meines Lebens habe ich mich diesem Kampf für die Afrikaner gewidmet. Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen Gesellschaft gepflegt, in welcher alle Personen in Harmonie und mit gleichen Chancen zusammenleben. Es ist ein Ideal, für welches ich hoffe zu leben und das ich hoffe zu erreichen. Aber sollte es notwendig sein, ist es ein Ideal, für das ich bereit bin zu sterben."
Juristischer Berater nach der Apartheid
Bis 1990 arbeitete George Bizos als Strafverteidiger und hatte sein Büro im Johannesburger Stadtteil Marshalltown. Nach dem Ende des Apartheidstaates war Bizos einige Jahre als leitender Jurist in der Abteilung für Verfassungsrechtsstreitigkeiten beim Johannesburger Legal Resources Centre tätig, das er 1979 mit begründet hatte.
Bizos war Mitglied des National Council of Lawyers for Human Rights, zu dessen Mitbegründern er 1979 ebenfalls zählte. Von 1985 bis 1993 war er Richter am Court of Appeal („Berufungsgericht") in Botswana. 1990 wurde er Mitglied des Legal and Constitutional Committee („Komitee für Rechts- und Verfassungsfragen") des ANC. Bei der Convention for a Democratic South Africa (Codesa), bei der die Abkehr vom Apartheid-System mit der Regierung De Klerk ausgehandelt wurde, fungierte er im selben Jahr als Berater der Verhandlungsparteien und wirkte an der Erstellung der südafrikanischen Übergangsverfassung mit. Er verfasste zahlreiche Gesetzentwürfe, insbesondere die Truth and Reconciliation Bill, die zur Einrichtung der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) 1996 führte. Von ihm stammen auch Änderungen am Criminal Procedures Act (etwa: „Strafprozessordnung"), die allen Angeklagten fundamentale Menschenrechte garantieren sollen.
In den Anhörungen der TRC hatte er die Leitung der Gruppe, die die Familien prominenter Apartheidopfer vertrat, darunter die Angehörigen von Steve Biko, Chris Hani, Ruth First und der Cradock Four. Das Ziel, Amnestien für die Verantwortlichen zu verhindern, wurde in den meisten Fällen erreicht.
George Bizos wurde 1994 vom damaligen Präsidenten Mandela als Mitglied der Judicial Services Commission berufen, die Kandidaten für Richterämter benennen und Vorschläge zur Abschaffung der Gesetze aus der Zeit der Apartheid machen sollte. Bizos erreichte, dass die Todesstrafe als verfassungswidrig abgeschafft wurde. Er arbeitete auch als Berater der Nationalversammlung bei der Zertifizierung der Verfassung durch das südafrikanische Verfassungsgericht.
2004 vertrat er den simbabwischen Oppositionsführer Morgan Tsvangirai (MDC), der beschuldigt wurde, vor den Präsidentenwahlen 2002 einen Mordanschlag gegen Präsident Robert Mugabe geplant zu haben. Tsvangirai wurde freigesprochen. Die große griechische Diaspora in Harare hatte ihren ehemaligen Landsmann um Hilfe gebeten.
2005 war Bizos Nelson Mandelas Anwalt in einem Rechtsstreit mit dessen früherem Anwalt Ismail Ayob. Bizos vertrat vor der Farlam Commission für das Legal Resources Centre und die Benchmark Foundation die Familien der Opfer des „Massakers von Marikana", das am 16. August 2012 stattfand und 34 Opfer forderte.
2013 gab es einen Rechtsstreit zwischen zwei Töchtern Nelson Mandelas und George Bizos, dem ehemaligen ANC-Minister Tokyo Sexwale sowie dem Juristen Bally Chuene. Den Männern wurde vorgeworfen, unerlaubt als Verwalter des 1,3 Millionen Euro umfassenden Fonds Mandelas zu amtieren, während diese angaben, von Mandela eingesetzt worden zu sein.
Einer der letzten Gerichtsauftritte von Bizos fand im Zeugenstand statt, als die Untersuchung des Todes des SACP-Aktivisten Ahmed Timol 2017 wieder aufgenommen wurde. Timol starb 1971 in der berüchtigten Polizeistation John Vorster Square in Johannesburg. Im Zeugenstand im Gerichtssaal des Obersten Gerichts in Johannesburg sprach Bizos mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war, aber mit einer ohrenbetäubenden moralischen Autorität. Er beschrieb ein Justizsystem, in dem die Sicherheitspolizei „Richter und Staatsanwälte kontrollierte" und „falsche Beweise fabrizierte".
In einem öffentlichen Vortrag 2013 mit dem Titel „Mandelas Prozesse" sagte Bizos über seinen Freund Mandela: „Mit unangemessener Bescheidenheit verleugnet er, dass er der große Anführer war, der den Menschen in Südafrika Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Würde gebracht hat. Seine Sorge um die Nation, seine Familie, seine Freunde und sogar um diejenigen, die manche als seine Feinde betrachten würden, macht ihn zu einem der großen Köpfe der Welt. Das Leben von uns allen, die seinen Weg gekreuzt haben, ist bereichert worden. Wären sein Optimismus und seine Führungsqualitäten nicht gewesen, hätten viele von uns vielleicht aufgegeben", fügte er hinzu. „Es wird schwer sein, einen anderen südafrikanischen Anführer zu finden, der ihm folgt."
Ähnliches kann man von George Bizos sagen, einem Kriegsmigranten, einem einzigartigen Südafrikaner, dessen Suche nach Gerechtigkeit bis zu seinem letzten Atemzug von einer tiefen Menschlichkeit und einem unbeirrbaren Streben nach Heilung eines traumatisierten Landes getrieben war.
Jürgen Langen