Heft 6/2020, Südliches Afrika

Warum so zögerlich?

ZUM VERHALTEN DER SADC BEI POLITISCHEN KRISEN. Viele Menschen im südlichen Afrika fragen sich, warum die SADC, die Entwicklungsgemeinschaft für das südliche Afrika, bei politischen Krisen wie in Mosambik, Simbabwe oder der DR Kongo nicht in gleicher Weise eingreift, wie es die Staats- und Regierungschefs in Westafrika tun.

Im Vorfeld ihres 40. Jahresgipfels am 17. August 2020 sahen sich die Staats- und Regierungschefs der SADC massiver Kritik seitens der Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt, die ihre Untätigkeit kritisierten, auf die Probleme der Region zu reagieren. Gruppen der Zivilgesellschaft, Oppositionsführer und Kommentatoren fragten, warum die SADC zu den Krisen größtenteils schweigt. So fragte etwa Südafrikas einflussreiche ehemalige Ombudsfrau Thuli Madonsela, warum die SADC nicht in Simbabwe eingreife, um den Konflikt auf dieselbe Weise zu entschärfen, wie die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas (Economic Community of West African States) in Westafrika. „Wenn dies die Ecowas wäre, hätte es schon vor langer Zeit ein Treffen mit Präsident Mnangagwa gegeben, um ihn zu bitten zu erklären, was vor sich geht", sagte Madonsela in einem Interview.

Die Ecowas-Staatschefs versuchen derzeit, die politische Krise in Mali zu lösen, und haben in der Vergangenheit oft auf hoher Ebene in Staaten wie Liberia, Sierra Leone, Guinea-Bissau und Gambia interveniert. Unterdessen mehren sich in der SADC fast drei Jahre nach dem Ausbruch eines verheerenden Aufstands im Norden Mosambiks die Forderungen nach einem entschlossenen und transparenten Handeln der SADC.

In der Demokratischen Republik Kongo fragen Oppositionspolitiker, warum es bisher keine Delegation von hochrangigen SADC-Diplomaten gegeben hat, die in der schweren politischen Krise dort auf die gleiche Weise vermittelt wie die Ecowas in Mali. Nach Ansicht der kongolesischen Opposition ist die SADC für die politischen Spannungen im Kongo mitverantwortlich, vor allem nachdem sie interveniert hatte, um eine gefälschte Wahl zu legitimieren.

In Malawi, wo der amtierende Präsident Lazarus Chakwera im Mai 2020 die vom Gericht angeordnete Wiederholung der Wahlen von 2019 gewann, haben die Menschen weniger Vertrauen in die SADC als zuvor. Denn diese hatte die Präsidentschaftswahlen des vergangenen Jahres als friedlich und transparent abgesegnet, obwohl sie von malawischen Gerichten als fehlerhaft eingestuft worden war.

SADC ist nicht Ecowas
Die SADC unterscheidet sich stark von der Ecowas – historisch, institutionell und politisch. In den kritischen Berichten aus dem südlichen Afrika zur SADC wird in der Regel die Solidarität zwischen den ehemaligen Befreiungsbewegungen als Haupthindernis für ein sinnvolles Engagement zur Intervention im Namen der Bevölkerung dieser Länder genannt. Dies trifft sicherlich in vielen Fällen zu. Herrschende Parteien wie der ANC in Südafrika, die Zanu-PF in Simbabwe, die Frelimo in Mosambik, die Swapo in Namibia und die MPLA in Angola neigen dazu, sich gegenseitig vor Einmischung in innere Angelegenheiten oder Kritik abzuschirmen. Diese bekannte „Bruderschaft" – wie afrikanische Staatschefs sie gerne bezeichnen – lässt manche Regime sogar mit Mord davonkommen. Hier unterscheidet sich die SADC auch von der Ecowas, wo die Erinnerungen an den Kampf gegen den Kolonialismus nicht mehr so präsent sind wie im südlichen Afrika. Im Süden des Kontinents sind die Verbindungen zwischen ehemaligen Befreiungsbewegungen nach wie vor stark.

Allerdings wird die SADC auch durch eine Reihe von institutionellen Hindernissen gelähmt. Durch institutionelle Reformen könnte die Regionalgemeinschaft in Zukunft eine größere politische Rolle spielen.

Erstens verfügt sie über ein relativ schwaches Sekretariat, das im Vergleich zur Ecowas-Kommission nur sehr wenige Entscheidungsbefugnisse hat. Letztere verfügt über ein größeres Budget und auch über mehr Kapazitäten als die SADC, um ihre Programme unabhängig von den Mitgliedsstaaten durchzuführen. Die SADC-Mitgliedsstaaten haben allerdings die Stärkung des SADC-Sekretariats bisher nicht als ihren Interessen entsprechend angesehen. Da ist es kaum verwunderlich, wenn sich das SADC-Sekretariat und sein Exekutivsekretär auffallend selten zu kontroversen Themen äußern. Dies wird bisher den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. Doch diese treffen sich nur einmal im Jahr, und wenn der Vorsitzende der Organisation nicht an Themen interessiert ist – oder sogar selbst in Konflikte verstrickt ist, wie es bei Mosambik, das den SADC-Vorsitz für 2020/2021 innehat, der Fall sein könnte –, dann geschieht nichts.

Bei all der berechtigten Kritik an der SADC muss jedoch gesagt werden, dass auch die Ecowas in dieser Hinsicht nicht fehlerfrei ist. Denn ob sie effektiv kommuniziert, hängt meist von der Persönlichkeit und Stärke des aktuellen Vorsitzenden der Ecowas-Kommission ab.

Unzureichende Strategien zur Konfliktvermeidung
Zweitens wird die SADC, wenn es darum geht, in Krisen einzugreifen, durch ein kompliziertes System behindert, das auf eine Zeit vor dem Beitritt Südafrikas zur damaligen „Southern African Development Coordination Conference" (SADCC, später umbenannt in SADC) im Jahr 1992 zurückgeht.

Alle politischen Fragen werden von der Troika des Organs für Verteidigung, Politik und Sicherheit behandelt, die im vergangenen Jahr von Mnangagwa geleitet wurde. Diese unterscheidet sich von der Troika der derzeitigen, früheren und künftigen Vorsitzenden der SADC. Dieses rotierende System der sogenannten „Doppel-Troika" mag zwar inklusiver sein – mit sechs Staatschefs, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Führungspositionen dienen –, aber es wird von der Öffentlichkeit oft missverstanden und schafft mehr Verwirrungen als Klarheiten. Kritische Stimmen fordern daher Reformen des Systems der doppelten Troika. Die rotierenden Positionen werden zudem noch zu selten von Regierungschefs kleinerer und neu hinzugekommener Staaten wie Madagaskar, Mauritius, den Seychellen oder den Komoren besetzt. Seit dem Gipfel vom 17. August 2020 wird die SADC nun von Mosambiks Präsident Filipe Nyusi geleitet, während Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi das Organ leiten wird.

Mangelndes Vertrauen in die SADC
Drittens ist die Tatsache, dass es in der SADC keine Institutionen gibt, die die Bürgerinnen und Bürger angemessen vertreten, ein großes Hindernis für entschlossenes Handeln und die Unterstützung der einfachen Menschen in der Region. So können sich SADC-Bewohner an kein Tribunal ähnlich dem Ecowas-Gerichtshof wenden, wenn sie sich von ihren eigenen Regierungen benachteiligt fühlen. Denn das SADC-Tribunal wurde 2012 auf Druck des damaligen simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe aufgelöst. Es ist unabdingbar, das Tribunal wieder mit vollen Befugnissen zur Anhörung von Beschwerden von SADC-Bürgerinnen und Bürgern einzusetzen.

Darüber hinaus hat die SADC hat auch kein Regionalparlament. Sie hat lediglich ein parlamentarisches Forum ohne legislative Befugnisse. Häufig wurde daher der Wunsch geäußert, das Forum zu einem vollwertigen Parlament aufzuwerten. Dies ist jedoch noch immer nicht geschehen. Ein solcher Schritt könnte die Beziehungen zwischen den Menschen und der regionalen Organisation verbessern. Wie beim panafrikanischen Parlament gesehen, müsste ein solches Gremium jedoch die gesamte politische Landschaft angemessen repräsentieren und ein hohes Profil haben, um eine sinnvolle Rolle spielen zu können. Im Allgemeinen hat die Ecowas bisher deutlich stärkere Verbindungen zu Nichtregierungsorganisationen und zur Zivilgesellschaft als die SADC.

SADC-Beobachtermissionen
Viertens hat die Struktur der Wahlbeobachtungsmissionen, die sich häufig aus Regierungsbeamten mit geringer Beteiligung der Zivilgesellschaft zusammensetzen, in der Vergangenheit die Glaubwürdigkeit dieser Missionen untergraben. Dies ist oft das einzige Mal, dass Bürgerinnen und Bürger der SADC in ihren eigenen Ländern konkret bei der Arbeit zusehen können. Nämlich dann, wenn Fahrzeuge mit dem SADC-Logo und Beamte in Westen zur Wahlzeit überall im Land die Runde drehen.

Vorfälle wie jene in Malawi im vergangenen Jahr und die vielen kontroversen Äußerungen der SADC zu den Wahlen in Simbabwe haben die SADC weder bei der Bevölkerung dieser Länder noch bei der Opposition beliebt gemacht. In diesem Punkt sind auch die Ecowas und andere regionale Wirtschaftsgemeinschaften nicht ohne Schuld, da sie im Laufe der Jahre viele Wahlen abgesegnet haben, die als zutiefst kompromittiert galten.

Schließlich untergräbt auch die Tatsache, dass viele Resolutionen angenommen und nicht umgesetzt werden, das Vertrauen der Menschen in die SADC. In der Ecowas beispielsweise kann man als Inhaber eines Ecowas-Passes relativ frei durch die 15 Mitgliedsstaaten der Organisation reisen – abgesehen von Schikanen durch korrupte Beamte an den Grenzen. Für die meisten SADC-Bürger jedoch, insbesondere aus Ausreiseländern wie Madagaskar, gibt es diese Möglichkeiten nicht. Während für manche der freie Grenzübertritt möglich sein mag, ist das Arbeiten und Leben in einem anderen SADC-Mitgliedsstaat für andere aufgrund ihres regionalen Status immer noch Zukunftsmusik.

Die SADC hat im Laufe der Jahre wichtige Meilensteine bei der Verbesserung der regionalen Integration und der Gewährleistung größerer Synergieeffekte zwischen den Politiken in den einzelnen Mitgliedsstaaten – von der Genderfrage in der Politik über die Infrastruktur bis hin zur Grenzverwaltung – eingefordert. Sie hat auch versucht, die Reaktionen auf Covid-19 zu koordinieren, indem sie dafür gesorgt hat, dass der Güterverkehr in der gesamten Region abgewickelt werden kann. Jene Menschen im südlichen Afrika, die in konfliktgebeutelten Ländern leben, und jene, die unter schlechter Regierungsführung leiden, werden jedoch weiterhin auf SADC-Reformen hoffen, die in Zukunft ein noch stärkeres Eingreifen und eine prinzipientreue Haltung der SADC ermöglichen.

PSC Report

Der PSC Report wird seit 2009 vom Institute for Security Studies (ISS) über sein Büro in Addis Abeba, Äthiopien, herausgegeben. Er soll die Arbeit der Afrikanischen Union (AU) und ihres Friedens- und Sicherheitsrates (FSK) durch die Bereitstellung regelmäßiger, unabhängiger und forschungsbasierter Informationen und Analysen unterstützen.
Der vorliegende PSC Report erschien am 28.8.2020 auf issafrica.org

Zu dem Thema siehe auch:
Henning Melber und Chris Sauners, Immer auf die Kleinen? Gambia, Ecowas und SADC, in afrika süd Nr. 2, 2017