Heft 6/2020, 50 Jahre issa

Wie alles anfing

DIE ISSA FEIERT IM JUNI 2021 IHR 50-JÄHRIGES JUBILÄUM. In afrika süd 3-2020 hatte Peter Ripken von den Anfangsjahren des Vereins berichtet. In dieser Ausgabe erinnert sich Christa Brandt, die zu den Gründungsmitgliedern gehörte und dem Verein lange Jahre als engagierte erste Vorsitzende diente, daran, wie die Idee entstand, eine Informationsstelle zum südlichen Afrika zu gründen.

Im Mai 1969 kam ich als „Entwicklungshelferin" des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) nach Sambia. Vor dem Abflug waren wir DEDler am Flughafen Frankfurt vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke als „Botschafter des guten Willens" verabschiedet worden. Wir, junge Deutsche, sollten das demokratische Nachkriegsdeutschland in der Welt repräsentieren. Nicht mehr das „hässliche Deutsche" des rassistischen, faschistischen Dritten Reiches sollte das Bild Deutschlands prägen, sondern das Bild des „helfenden Deutschen", für das auch wir DEDler werben sollten. Das entnazifizierte Nachkriegsdeutschland wollte als Partner in der Völkerfamilie akzeptiert werden und in deren Institutionen als Partner an der Entwicklung einer friedlichen Weltordnung mitarbeiten. Das wollten wir auch.

Botschafterin der Unterdrückten
Aber dann lernten wir in Sambia Flüchtlinge aus Südafrika, Namibia und den portugiesischen Kolonien kennen, die uns von ihren leidvollen Erfahrungen berichteten, und erfuhren, dass unser demokratisches Nachkriegsdeutschland keineswegs die Kräfte unterstützte, die im südlichen Afrika Rassismus und Kolonialismus bekämpften, sondern dass Deutschland im Gegenteil zu denen gehörte, die aus wirtschaftlichen und geostrategischen Eigeninteressen die Unterdrückung und Ausbeutung der Mehrheitsbevölkerung im Apartheidstaat und in den portugiesischen Kolonien unterstützten.

Für eine solche Politik der Unterstützung rassistischer Unterdrückung und kolonialer Unrechtsherrschaft konnte ich keine Botschafterin mehr sein, zumal ich keinen guten Willen der BRD, zu einer friedlichen, gerechten Entwicklung in den Apartheid- und Kolonialstaaten beizutragen, erkannte. Von nun an wollte ich zu Hause, in Deutschland, Botschafterin der Oppositions- und Befreiungsbewegungen sein. Mir war klar, dass nur durch Überwindung der Apartheid- und Kolonialherrschaft eine soziale und demokratische Entwicklung im südlichen Afrika möglich werden kann.

Im DED fand ich Unterstützung für diese Position. Der Hauptgeschäftsführer, Dr. Manfred Kulessa, war durch seine Mitarbeit in der Evangelischen Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst und durch seine Kontakte mit afrikanischen Kirchen ein überzeugter Gegner der Apartheid. Er beklagte – mit uns – den Mangel an faktischer Information über die tatsächliche Situation im südlichen Afrika sowie die Rolle der Bundesrepublik, die Südafrika und Portugal selbst militärisch, zumindest aber wehrtechnisch unterstützte.

Es fehlte ein Gegengewicht zur Propaganda der einflussreichen Deutschen Südafrika Gesellschaft (DSAG), die die Apartheid verteidigte, das Südafrikabild wirkungsvoll beschönigte und für die Unterstützung des „weißen" Südafrika in vielen Vor- und Chefzimmern der Macht warb. Mit einer kirchlichen Starthilfe und der Möglichkeit, einen Zivildienstleistenden zu beschäftigen, konnte schließlich ein Infodienst erstellt werden. Der DED hat mich für diese Aufgabe aus meinem Dienstvertrag entlassen mit der Zusage einer Wiedereinstellung, wenn es nötig werden sollte.

Der Bergweg 21
Ein etwas von der Straße zurückliegendes Einfamilienhaus in Bonn-Beuel – bald als „Bergweg 21" in der Anti-Apartheid-Szene bekannt geworden – wurde schließlich der Geburtsort des „Informationsdienstes Südliches Afrika". In dem Haus wohnten Wolf Geisler, der das Deutsche Komitee für Angola, Guinea-Bissau und Mosambik (AGM-Komitee) mitbegründet und geleitet hat, die jeweiligen Zivis von issa und der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) und ich.

Mit dem ersten Zivi der issa, Klaus Pokatzky, begannen wir mit dem Sammeln von Informationen aus der ganzen Welt, deren Auswertung und schließlich der Veröffentlichung von relevanten Kurznachrichten in einem gedruckten DIN-A5-Heftchen. Unser Handwerkszeug waren zahlreiche Informationsblätter, Schere, Kleber und eine alte Schreibmaschine – unser Arbeitsraum, mein Schlafzimmer. Wer hätte es damals für möglich gehalten, dass sich das „graue Entlein" zu einem derart schönen Schwan und einer so beachtlichen Zeitschrift entwickeln würde.

Das Haus Bergweg 21 wurde bald zu einem Treffpunkt der Solidaritätsbewegung gegen Apartheid und Kolonialismus im südlichen Afrika. Hier trafen sich deutsche und europäische Gruppen zum Informations- und Meinungsaustausch sowie zu Planung von Aktionen und Kampagnen. Und immer mal wieder waren Vertreter von Befreiungsbewegungen zu Besuch. Es war ein lebendiges, buntes Treiben im Haus.

Unter Beobachtung
Irgendwann geriet das Haus mit den vielen fremden Gästen ins Visier des Staatsschutzes. Uns fiel auf, dass wir beobachtet wurden. Immer wieder kam ein Auto mit einer fest aufs Haus gerichteten Kamera und fotografierte – nicht verdeckt, sondern offen. Sollten wir eingeschüchtert werden? „Seht her, wir haben euch unter Beobachtung." Unsere Vermieter und Nachbarn erzählten uns, dass sie Hausbesuche bekommen hatten, bei denen sie nach dem Haus, seinen Bewohnern und Gästen befragt wurden.

Meinem damaligen Arbeitgeber, Björn Engholm (zu der Zeit parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesbildungsminister) wurde nahegelegt, mich noch einmal durch den Sicherheitsdienst des Bundestages überprüfen zu lassen. Er hat das abgelehnt und uns stattdessen im Bergweg besucht. Aus seinem Bundestagsbüro konnte ich manche Gespräche von Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern mit Vertretern von Befreiungsbewegungen in die Wege leiten und manche parlamentarische Anfrage zu Geschäften deutscher Firmen mit Südafrika und/oder Portugal vorbereiten.

Um die bereits bestehenden vielfältigen Aktionsgruppen gegen Apartheid-Südafrika in der BRD zu koordinieren, gründeten diese die „Anti-Apartheid Bewegung" (AAB). Sie trug mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen entscheidend dazu bei, die südafrikanische Propaganda zu kontern und für Solidarität mit den Oppositionsgruppen und Befreiungsbewegungen zu werben.

Die Zeitschrift
Der „Informationsdienst Südliches Afrika" – inzwischen als „afrika süd" eine seriöse, gut gemachte und weithin anerkannte Zeitschrift – sollte über die Solidaritätsgruppen hinaus eine Leserschaft erreichen, deren Meinung bisher durch die breite Lobbyarbeit und Propaganda Südafrikas gebildet worden war. Dieser Propaganda wollte die issa durch faktische Information – einschließlich der über interne Entwicklungen in der südafrikanischen Opposition – begegnen. Das hat manche Aktivist/innen der Anti-Apartheid-Bewegung irritiert. Sich fürchteten, dass wir z.B. die uneingeschränkte Solidarität mit dem ANC verletzten, wenn wir z.B. auch über die von Steve Biko in den 1970er-Jahren inspirierte und angeführte „Black Consciousness-Bewegung" und ihre Organisationen berichteten. Wir wollten aber der Propaganda Südafrikas nicht einfach eine Propaganda der Befreiungsbewegungen entgegensetzen, sondern eben faktische Information, auch über Entwicklungen in der schwarzen Opposition.

Der Rückblick auf 50 Jahre issa zeigt, dass ihr Informationskonzept – trotz der allgegenwärtigen Finanzprobleme – tragfähig ist. Allen, die es geschafft haben, nach unseren laienhaften, selbstgestrickten Anfängen im Bergweg eine Zeitschrift zu gestalten und lebendig zu erhalten, die nach 50 Jahren immer noch eine verlässliche und interessante Quelle wichtiger Informationen über Entwicklungen im südlichen Afrika ist, Hochachtung und Dank. Einen besonderen Dank an Hein Möllers und Lothar Berger, ohne die die issa niemals 50 Jahre alt geworden wäre.

Christa Brandt, Gründungsmitglied der issa und bis 1994 1. Vorsitzende des Vereins.