Heft 6/2021, Südafrika: Kommunalwahlen

Etablierte Parteien abgestraft

ANC UND DA VERLIEREN BEI DEN KOMMUNALWAHLEN IN SÜDAFRIKA. Es war eine historische Schlappe für den ANC: Zum ersten Mal hat Südafrikas Regierungspartei die absolute Mehrheit verloren. Lediglich knapp 46 Prozent der am 1. November abgegebenen Stimmen fielen noch auf die frühere Befreiungsbewegung. Auch die größte Oppositionspartei, die Democratic Alliance DA, büßte empfindlich Stimmen ein. Die Economic Freedom Fighters (EEF) konnten nur leicht zulegen, Zulauf erhielten kleinere Parteien und unabhängige Kandidaten. Nicht nur das historische schlechte Abschneiden müsste Südafrikas politische Elite erschrecken, es ist vor allem die Wahlmüdigkeit einer Bevölkerung, die von Corona, anhaltender Korruption und fehlenden staatlichen Dienstleistungen erschöpft ist.

Die Kommunalverwaltung in Südafrika besteht aus Gemeinden verschiedener Art. Die großen Ballungsräume, die 40 Prozent der Bevölkerung und mehr als 55 Prozent des BIP repräsentieren, werden von acht Metropolen verwaltet: Johannesburg, Tshwane (Pretoria), Ekurhuleni (East Rand), eThekwini (Durban), Cape Town, Buffalo City (East London), Nelson Mandela Bay (Port Elizabeth) und Mangaung (Bloemfontein). Der eher ländliche Rest des Landes ist in Distriktgemeinden unterteilt, die jeweils aus mehreren Kommunen bestehen. Zur Wahl standen am 1. November neben den Vertretungen der acht „Metros" 44 Distriktgemeinden und 207 Kommunen.

Schon die große Zahl von 325 politischen Parteien und 1.546 unabhängigen Kandidatinnen und Kandidaten offenbarte die Unzufriedenheit mit den bisherigen etablierten Kommunalverwaltungen. Diese Vielfalt, hätte man meinen können, müsste doch eigentlich einen Ansturm der Massen an die Wahlurnen auslösen. Immerhin sind von den 60 Millionen Südafrikaner:innen laut dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos 42,6 Millionen wahlberechtigt. Doch lediglich 26,2 Millionen haben sich registrieren lassen, von denen nur etwas mehr als 12,3 Millionen bereit waren, ihre Stimme abzugeben, was einer offiziellen Wahlbeteiligung von 46 Prozent entspricht. Schon das ist die niedrigste seit 20 Jahren. Gemessen an der Gesamtzahl der Wahlberechtigten haben sich nur noch 29 Prozent an die Wahlurnen begeben.

Seit dem Ende der Apartheid warten die Menschen auf Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnen, Stromversorgung, Infrastruktur und Jugendbeschäftigung. Doch die immer wiederkehrenden Versprechen der Kommunalverwaltungen bleiben seit Jahren unerfüllt. In vielen Kommunen gehören Stromausfälle mittlerweile zur Tagesordnung, von Korruption und Misswirtschaft ganz zu schweigen. Von demokratischer Willensbildung, mit der sich die gewählten Volksvertreter legitimiert sehen könnten, ist Südafrika weiter entfernt als zuvor. Das Vertrauen in fast alle demokratischen Institutionen ist extrem niedrig – und die Kommunalverwaltungen stehen ganz unten in der Akzeptanz. Ihr Versagen mag viele unabhängige Kandidaten motiviert haben, die frustrierten Menschen setzen eher auf Straßenproteste. In verschiedenen Landesteilen erlebt Südafrika seit einiger Zeit eine Welle von Protesten wütender Bürgerinnen und Bürger, die endlich eine flächendeckende Stromversorgung haben wollen. Die massiven Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben die Menschen zusätzlich belastet.

Ergebnisse der Kommunalwahlen

  2021 (%) 2016 (%) 2011 (%)
ANC 45,59 53,91 61,95
DA 21,66 26,9 23,94
EEF 10,31 8,19 -
IFP 5,64 4,25 3,57
FF+ 2,34 0,77 0,45
ActionSA 2,33 - -
Independent 1,73 1,14 1,13

Quelle: Independent Electoral Commission, https://www.elections.org.za/pw/

ANC rutscht unter absolute Mehrheit
Die beiden Hauptparteien Südafrikas, der ANC und die Democratic Alliance (DA), haben erhebliche Stimmen eingebüßt. Der ANC konnte zwar 161 Gemeinden – vorwiegend in ländlichen Gebieten – gewinnen, doch die Anzahl von Gemeinderäten, bei denen keine der Parteien eine klare Mehrheit aufweisen kann, hat sich von 18 auf 70 vervierfacht. Seit den Kommunalwahlen von 2006, bei denen der ANC 65 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, geht es mit der Regierungspartei ständig bergab. Gegenüber 2016 hat der ANC über 8 Prozent eingebüßt und steht jetzt bei 45,6 Prozent – deutlich unter der absoluten Mehrheit.

Lediglich in Buffalo City (früher East London) in der Ostkap-Provinz konnte sich der ANC mit über 60 Prozent behaupten, in allen anderen Metropolen musste er zum Teil empfindliche Verluste hinnehmen. Deutlich zu spüren bekam er dies in KwaZulu-Natal, in eThekwini (Durban) war der Einbruch mit knapp 14 Prozent besonders hoch. Damit verlor er seine bisherige absolute Mehrheit in der 3,7-Mio.-Einwohner-Metropole.

Schmerzlicher noch dürfte für den ANC der Stimmrückgang in den drei Gauteng-Metropolen Johannesburg (-10,9 %), Tshwane (-6,7 %) und Ekurhuleni (-10,4 %) sein. Denn hier hatte er überwiegend seinen mit Präsident Cyril Ramaphosa und Vizepräsident David Mabuza prominent besetzten Wahlkampf geführt. Die Botschaft kam in den Johannesburger Townships nicht an. Allein in seiner Hochburg Soweto verlor der ANC 18 Prozentpunkte an Stimmen. Im Großraum Johannesburg mit knapp 5 Mio. Einwohnern ist die Unterstützung für den ANC in den letzten 10 Jahren um 26 Prozent auf nunmehr 33,6 Prozent zurückgegangen. Profitieren konnten davon aber weder die DA, die bei 26,1 Prozent über 12 Prozent Verluste in Johannesburg einstecken musste, noch die EEF (10,6 %, -0,5 %). Stattdessen holte die noch junge Partei ActionSA aus dem Stand 16 Prozent in der Metropole. Die Partei war im August 2020 von dem früheren Johannesburger Bürgermeister Herman Mashaba (DA) gegründet worden, ihm schlossen sich später mit der DA unzufriedene Stadträte an. Auf Mashaba lastet zwar der Vorwurf, während seiner Amtszeit in Johannesburg für eine Reihe von fremdenfeindlichen und verfassungswidrigen Razzien verantwortlich gewesen zu sein. Doch seine Mitte-Rechts-Partei konnte nicht nur in wohlhabenden Vierteln und der Innenstadt Johannesburgs in die DA-Wählerschaft eindringen. Auch in einigen Townships erzielte ActionSA beachtliche Ergebnisse. Darüber hinaus konnte die Partei in den beiden anderen Gauteng-Metropolen Tshwane und Ekurhuleni mit 8,6 bzw. 6,6 Prozent ANC und DA Stimmen abnehmen.

DA verliert, EEF profitieren kaum
Die DA ist die zweite Verliererin der diesjährigen Kommunalwahlen. Statt sich als ernsthafte Alternative zum ANC zu etablieren, erlebte die Partei 2019 die Demontage ihres Parteiführers Mmusi Maimane durch die überwiegend weiße Parteielite und verlor mit dem Austritt weiterer hochrangiger schwarzer Mitglieder ihre Unterstützung unter schwarzen und „Coloured"-Mittelschichtgemeinden. Das Kalkül der konservativen Führung unter John Steenhuisen und der DA-Aufsichtsratsvorsitzenden Helen Zille, weiße Wähler:innen zurückzugewinnen, ging nicht auf. Einen Teil ihrer „weißen" Wählerschaft verlor sie an die mehrheitlich von afrikaanssprachigen Buren gewählte Freedom Front Plus (FF+), die gegenüber 2016 ihren Stimmenanteil verdreifachen konnte.

Der Wahlkampf der DA war von Rassismusvorwürfen überschattet. In Phoenix, einem überwiegend von der indischen Gemeinde bewohntem Gebiet in KwaZulu-Natal, in dem während der Unruhen im Juli 36 schwarze Menschen getötet wurden, hängte die Partei Plakate auf, auf denen es an die Adresse der indischen Bevölkerung hieß: „Der ANC nennt Euch Rassisten, die DA nennt Euch Helden". Dieser eindeutig rassistische Unterton goss Feuer ins Öl der Spannungen zwischen den Gemeinden in Phoenix und führte zu einem Sturm der Entrüstung in den Sozialen Medien. Schließlich sah sich die DA gezwungen, die Plakate wieder abzuhängen.

Der Partei fehlt es an einer klaren Orientierung in Bezug auf ihre Wählerschaft. In ihrer Hochburg, der Provinz Western Cape, hat die DA viele „Coloured"-Wähler:innen an neue Parteien wie GOOD oder den Cape Coloured Congress verloren. Sie hält zwar in der Metropole Kapstadt mit 58,3 Prozent weiterhin die absolute Mehrheit, büßte aber gegenüber 2016 8,3 Prozent ein.

Von den Verlusten von ANC und DA konnten die Economic Freedom Fighters (EEF) kaum profitieren. Bislang konnte die Partei seit ihrer Gründung 2014 bei jeder Wahl zulegen, doch nun blieben die EEF mit knapp über 10 Prozent (+2,1 %) weit hinter den eigenen hochtrabenden Erwartungen zurück, den „Elefant ANC" eines Tages „aufzufressen". So hatte der umstrittene populistische Parteiführer Julius Malema, früherer Chef der ANC-Jugendliga, zuvor noch großspurig von möglichen 65 Prozent Stimmen schwadroniert! Nach den Kommunalwahlen von 2016 bildete seine Partei keine Koalition, sondern unterstützte Minderheitsregierungen der DA in Tshwane, Johannesburg und Nelson Mandela Bay, die alle drei schnell auseinanderfielen.

Kleinparteien und Unabhängige
Zu den Wahlgewinnern kann sich neben ActionSA und der FF+ auch die von den Zulus dominierte Inkatha Freedom Party (IFP) zählen. Die IFP nutzte die Plünderungen und Unruhen im Juli, von denen KwaZulu-Natal stärker als alle anderen Regionen betroffen war, als Wahlkampfthema aus. Nach jahrelangem Abwärtstrend konnte die IFP in einigen Gemeinden die Mehrheit zurückgewinnen und kann künftig 16 Stadträte in KwaZulu-Natal kontrollieren. Mit 24,2 Prozent der Wählerstimmen wurde die IFP hinter dem ANC (41,4 %) zweitstärkste Kraft in KZN, wo sich 95 Prozent ihrer Wählerschaft befinden. Pikanterweise gewann sie die Gemeinde Nkandla, Heimatgemeinde von Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma, dessen Gefolgschaft die Juli-Unruhen nach seiner kurzfristigen Verhaftung aus politischem Kalkül angefacht hatte.

Unter den zahlreichen kleinen Parteien, die landesweit alle unter einem Prozent blieben, stach die mit Geldwäsche und Korruptionsvorwürfen verbundene Patriotic Alliance (PA) früher etablierte Kleinparteien wie die United Democratic Party (UDM) und den Congress of the People (Cope) aus. Die Hälfte der 325 angetretenen Parteien konnte mindestens einen Gemeindesitz erringen.

51 Wahlkreise gingen an unabhängige Kandidat:innen. Viele der zahlreichen Bürgerbewegungen und Kleinstparteien hatten sich auf bestimmte Themen konzentriert und standen zumeist nur lokal begrenzt zur Wahl. Unabhängige Bürgerbewegungen konnten den Paragraph 15a des Wahlgesetzes nutzen, der es einer Organisation erlaubt, zu Wahlen anzutreten, ohne als traditionelle politische Partei registriert zu sein. Der Paragraph erlaubt es den Unabhängigen auch, sich als Konglomerat registrieren zu lassen, um in den Genuss des Verhältniswahlrechts zu kommen. 12 unabhängige Bewegungen und 250 Kandidatinnen und Kandidaten wurden von der 2020 neugegründeten Bewegung „One South Africa" unter der Leitung des ehemaligen DA-Oppositionsführers Mmusi Maimane unterstützt. Maimane, der sich für ein angemessenes Grundeinkommen für Arme stark macht, will „die Kommunalverwaltung von den Fesseln der politischen Parteien befreien." Zumindest für zwei der von OSA unterstützten Bewegungen könnte das zutreffen: Die Bürgerbewegung von Cederberg (Cederberg Eerste) konnte in ihrer Gemeinde im Westkap mit 27,5 Prozent den zweiten Platz hinter dem ANC erringen, die Knysna Independent Movement gewann in ihrer Westkapgemeinde 7,9 Prozent.

Schwierige Koalitionsbildung
In 30 Prozent der Gemeinden, darunter fünf der acht „Metros", gibt es wegen fehlender Mehrheiten Hängepartien, die nur durch Koalitionen oder tolerierte Minderheitsregierungen gelöst werden könnten. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen allerdings, dass sich hier unüberbrückbare Gegensätze auftun. Es war absehbar, dass die 2016 gebildeten Minderheitsregierungen der DA in Tshwane, Johannesburg und Nelson Mandela Bay an den ideologischen Gegensätzen einer neoliberalen DA und den von „sozialistischer" Rhetorik getriebenen EEF scheitern mussten. Ungeachtet dessen sehen die „Freedom Fighters" immer noch den ANC als Hauptgegner und versuchen alles, um zu verhindern, dass er die Macht über die fünf umkämpften „Metros" erlangen kann. Erste Gespräche mit dem ANC haben sie schnell wieder verlassen, nicht ohne den hämischen Hinweis, dem ANC „eine Lektion zu erteilen", so Malema.

Für stabile Mehrheiten fehlen dem ANC auch andere Koalitionspartner. Sowohl ActionSA als auch die IFP haben kommunale Regierungsbündnisse mit dem ANC kategorisch ausgeschlossen. Man werde nicht um jeden Preis in Koalitionsgespräche gehen, äußerte sich Präsident Ramaphosa. Wenn keine stabilen Koalitionen gebildet werden können, sieht die ANC-Führung lieber Neuwahlen, eine Option, die von den politischen Gegner:innen umgehend abgelehnt wurde.

Am Ende stand der ANC mit leeren Händen da. EEF und die anderen Parteien stimmten bei der Wahl zu den Bürgermeisterämtern geschlossen mit der DA. Johannesburg wird jetzt von der DA-Bürgermeisterin Mpho Phalatse regiert, seit 2016 höheres Ratsmitglied der größten „Metro" Südafrikas. Und auch in eThekwini, Nelson Mandela Bay und Ekurhuleni kann der ANC seine Koalitionsbemühungen begraben. Die EEF haben einmal mehr eine 180-Grad-Kehre gemacht und ihre eigene Anhängerschaft brüskiert, die den ANC-Positionen in vielen Aspekten näher steht als denen der DA.

Der Politologe Steven Friedman sieht in dem erneuten Umfallen Malemas eine Kultur der Täuschung in Südafrikas Politik aufkommen: Versprechungen von gestern sind heute nichts mehr wert. Für den ANC bedeutet das für die nächsten allgemeinen Wahlen 2024 nichts Gutes, solange sich alle potenziellen Koalitionspartner gegen ihn verschworen haben. Um in der Wählergunst nicht noch weiter abgestraft zu werden, muss er die Zeit nutzen, verlorenes Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, die von den scheinbar endlosen Geschichten über Korruption, Vetternwirtschaft und Missständen in der Verwaltung die Nase voll haben. Mit der Einbeziehung der Gemeinden bei der Auswahl und und Überprüfung der Bewerber:innen für Stadträte und Bürgermeisterämter hatte der ANC bereits einen Anfang zu mehr Transparenz gemacht. Gemeinden und Nachbarschaftskomitees ernst zu nehmen und sie in die lokale Politik einzubinden, erfordert freilich einen langen Atem.

Lothar Berger