Der angolanische Regisseur Fradique war im September als Schirmherr des 19. Afrika Film Festivals nach Köln eingeladen. Mit einem neuen Spielfilm und mehreren Kurzfilmen stand das zeitgenössische angolanische Kino im Fokus des Festivals. Mit dem Filmemacher und Begründer des Filmkollektivs „Geração 80" unterhielt sich Lothar Berger.
„Als ich in diese Stadt zurückkehrte, legte sich mein Rücken nie wieder ab. Luanda lehrt dich im Sitzen zu schlafen", sagt die Stimme des Mannes, der zum ruhigen Sound der Musik von Aline Frazão durch die Straßen Luandas schlendert. Sie gehört Matacedo, einem Wachmann. Als die Klimaanlagen in der Stadt auf mysteriöse Weise auszufallen beginnen, machen sich Matacedo und das Dienstmädchen Zezinha auf den Weg, um die Klimaanlage ihres Chefs zurückzuholen. Eine Mission, die sie durch eine Stadt voller Wunder und Vergessenheit führen wird, zu Kota Minos Elektroladen, in dem heimlich eine komplexe Maschine zur Wiederherstellung von Erinnerungen zusammengebaut wird.
„Air Conditioner" (Ar Condicionado, 2020, 72 Min.) ist der erste Spielfilm des angolanischen Filmemachers Fradique. Ein Film, der mit einer beruhigenden und doch beklemmenden Sprache die Poesie des Alltags im Herzen einer Stadt, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich ist, wiedergibt. Der Film wurde 2020 auf das Internationale Filmfestival Rotterdam eingeladen. Beim Imagine Science Film Festival wurde er als bester Film in der Kategorie Science New Wave und beim Internationalen Filmfestival Innsbruck als bester Spielfilm ausgezeichnet.
Fradique präsentierte „Air Conditioner" 2021 auf dem 18. Afrika Film Festival Köln und war für die 19. Ausgabe des Kölner Filmfestivals im September 2022 als Schirmherr der Veranstaltung eingeladen. „Ich bin in verschiedenen alten Gebäuden im Zentrum Luandas aufgewachsen und habe dort gelebt. Ein solches Gebäude sollte der Hauptgegenstand des Films werden", erzählt mir Fradique bei einem Gespräch im Rahmen des Filmfestivals. „In diesen Gebäuden träumt jeder von dem Haus, das er möchte, und kämpft um die Erinnerungen, die er nicht hat. Die Aufzüge sind aus Ziegeln und Bäume wachsen aus den Wänden – unser Neorealismus ist pure Magie", erklärt der Regisseur auf der Website des Films. Der Hausmeister und Wachmann Matacedo ist eine Figur, die den Zustand der Trägheit und gleichzeitig der Hoffnung Luandas verkörpert. Nicht die Klimaanlage sei die erste Idee gewesen, den Film zu drehen, verrät mir Fradique. „Hauptperson sollte eine Sicherheitsperson sein. Luanda ist eine Stadt voller Wachmänner. Das sind Arbeiter, von denen viele Veteranen des früheren Bürgerkriegs waren. Ihre Geschichte wurde bisher nicht erzählt, ihre Meinung war nicht gefragt. Unser Hauptziel beim Schreiben und Produzieren des Films war, uns auf diese Charaktere, diese Angehörigen der Arbeiterklasse, zu konzentrieren, die in Luanda so präsent sind und vom Staat nicht nur vor Ort, sondern auch im Allgemeinen so sehr ignoriert werden."
Das Filmkollektiv „Geração 80"
Fradique hat sein Studium der Filmwissenschaften in den Vereinigten Staaten abgeschlossen und gilt als eine der talentiertesten und ausdrucksstärksten Stimmen des zeitgenössischen angolanischen Kinos. Vor seinem Spielfilm hat er einige Kurzfilme gedreht, die auf mehreren internationalen Festivals gezeigt wurden. Mit „Angola Independência" (2015) gewann er den Nationalen Filmkulturpreis Angolas, der als wichtiger Schritt zur Wiederherstellung des kollektiven Gedächtnisses des Landes anerkannt wird. Darüber hinaus hat er Musikvideos für angolanische Künstler:innen wie Nástio Mosquito und Aline Frazão produziert.
Zusammen mit zwei Kollegen hat Fradique 2010 aus Eigenmitteln die Produktionsfirma „Geração 80" gegründet. „Anfangs wollten wir eigentlich als ein Filmkollektiv starten. Doch es war unmöglich, davon leben zu können", erinnert sich Fradique. „Wir haben in Angola weder eine Filmförderung noch überhaupt Kulturfonds zur Unterstützung von Projekten. Deswegen haben wir uns entschieden, eher in eine kommerzielle Produktionsfirma zu investieren, mit der wir viele NGO-Dokumentationen, Firmenvideos und ebenso Werbefilme produzieren. Über diese audiovisuelle Arbeit können wir unser Filmkollektiv entwickeln." Mittlerweile ist das Projekt auf 30 Mitarbeiter:innen angewachsen.
Der Name „Geração 80" deutet darauf hin, dass es sich um eine Generation handelt, die nach der Unabhängigkeit 1975 geboren wurde. Es sind die Kinder des Bürgerkriegs, der zwischen der regierenden MPLA und der Unita herrschte und den Alltag in Angola über so viele Jahre belastet hat. Die Kriegserlebnisse wie auch die Erfahrungen mit dem Nachkriegsalltag und der zunehmend globalisierten urbanen Welt sind der Stoff, aus dem die Produzenten und Regisseure von „Geração 80" ihre Kurzfilme, Musikvideos, Dokumentarfilme und Spielfilme produzieren.
Es ist nicht so, dass Angola keine Tradition im Filmemachen hätte. Mit „Sambizanga", ein 1972 von der Regisseurin Sarah Maldoror gedrehter Film, war Angola das erste lusophone afrikanische Land, das einen Spielfilm produzierte. Der Film basierte auf dem literarischen Werk von Luandino Vieira. Es waren auch Dichter wie Mário Pinto de Andrade oder der spätere Präsident Agostinho Neto, die damals den Kampf um Angolas Unabhängigkeit führten. Die Filmemacher:innen aus der Zeit des Befreiungskampfs gegen die portugiesische Kolonialmacht machten nicht nur den Dokumentarfilm, sondern auch das künstlerische Kino zu einem Instrument der Befreiung. Namen wie Antonio Olé, bekannt für seine Fotokunst, und der 2010 verstorbene Autor und Filmemacher Ruy Duarte de Carvalho stehen für diese Zeit.
Kino mit Überlebensinstinkt
Wenn es in der Zeit der Anfangsjahre des unabhängigen Angola eine aufstrebende Filmindustrie gab, so ist von dieser nach den verheerenden Jahren des Bürgerkriegs nicht mehr viel übrig geblieben. Filmemacher hatten nicht nur mit dem Trauma des Krieges und dem Schweigen, das ihn umgibt, zu kämpfen, sondern auch mit den unglaublich schwierigen Bedingungen der Filmproduktion, schreibt Katy Stewart in einem Essay über das angolanische Kino (Cinema Escapist, 17.7.2018). Die einst prachtvollen Kino- und Theatersäle, die während der Kolonialzeit Europäern vorbehalten waren, sind zerfallen.
Die frühen Anfänge einer Filmindustrie mögen durch den langen Bürgerkrieg dezimiert worden sein, aber das angolanische Nationalkino ist ein „Kino mit Überlebensinstinkt", wie Katy Stewart es ausdrückt. Es ist schon aufgrund der fehlenden Filmförderung ein unabhängiges Kino, was für fast alle Länder des globalen Südens gilt. „Jeder, der einen Film macht, kommt mit eigenen Mitteln und kleiner Besetzung", sagt Fradique. Neben „Geração 80" gibt es in Angola auch andere Filmemacher und Filmkooperativen. „Interessanterweise ist das in den letzten fünf Jahren angewachsen. Natürlich kommen bei dieser Entwicklung von Leuten, die investieren und versuchen, Filme zu machen, verschiedene Stile hervor und es zeigt sich ein unterschiedliches Herangehen ans Filmemachen. Ich würde sagen, der größte Vorteil, den wir davon zurzeit haben, ist diese Vielfalt von verschiedenen Filmemachern."
Allerdings konzentriert sich das ganze Filmschaffen auf die Hauptstadt Luanda. „Zum Glück war eines unserer ersten Projekte ‚Angola Independência', eine Dokumentation über Angolas Unabhängigkeit. Mit diesem Projekt konnten wir durch das ganze Land reisen, um die Geschichte von Menschen zu erzählen, die am Befreiungskampf teilgenommen haben. Doch heute sollte es auch zu unseren Zielen hören, Spielfilme außerhalb der Hauptstadt zu drehen."
Diskussionen um die Dominanz städtischer Filme und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kennt Fradique auch unter anderen afrikanischen Kolleg:innen. Die Verbindung mit ihnen, wie sie ein Forum wie das Kölner Afrika Film Festival bietet, ist ihm wichtig: „Ich denke, wir sollten uns aus den Regionen entfernen, die uns die Kolonisatoren aufgedrückt haben. Da gibt es anglophone, frankophone und lusophone Länder. Ich denke, afrikanische Filme sollten diese Regionen überwinden."
Eine Allegorie über Macht
Es sind auch Themen wie der zunehmende Einfluss chinesischer Migrant:innen auf das gesellschaftliche Leben, das afrikanischem Filmschaffen Nahrung gibt. Fradiques Kollege Ery Claver, der bei „Air Conditioner" die Kameraführung übernommen hat, konnte in diesem Jahr in Köln seinen ersten Spielfilm „Nossa Senhora da Loja do Chinês" („Unsere liebe Frau vom chinesischen Laden", 2022, 98 Min.) präsentieren, eine neue Produktion von „Geração 80", bei der Kamy Lara als Regieassistentin fungierte. Ein chinesischer Händler verkauft Madonnafiguren aus Plastik in seinem Laden in einem Viertel von Luanda, eine trauernde Mutter sucht nach Frieden, ein Friseur gründet eine neue Sekte und ein verzweifelter junger Mann sinnt nach Rache für seinen verlorenen Freund. Ein Film, der von einer von Politik und Religion permanent manipulierten frustrierten Gesellschaft erzählt – eine Allegorie über Macht, die Ery Claver schon in seinen erfolgreichen Kurzfilmen thematisierte.
„Ein sehr poetischer Film, der nicht nur darüber redet, wie Religion in Beziehung zur Regierung und zur Politik in Luanda gelebt wird, wie dieser Makrokosmos von Politik das Leben verschiedener Menschen in der Stadt beeinflusst. Es war eine große Freude zu sehen, wie dieses Projekt verwirklicht wurde", so Fradique über das Werk seines Kollegen.
Gleich zu Beginn des Films ist eine Stimme in Mandarin aus dem Off zu hören. Die Idee, einen Chinesen zum Protagonisten des Films und zum distanzierten Beobachter der Szenen zu machen, hat damit zu tun, dass chinesische Einwanderer:innen ein immer größerer Bestandteil afrikanischer Städte werden, erklärt Fradique. „In den letzten zehn Jahren sind diese als Reisende und Arbeitende Teil der Gesellschaft geworden. Deshalb macht es absoluten Sinn, dass auch diese Immigration zum Bestandteil der afrikanischen Geschichte gehört."
Die Dreharbeiten zu dem Film begannen mitten in der Covid-19-Pandemie von 2020, es wurde bewusst mit nur zwei Schauspielern und einer reduzierten Crew gedreht. Doch zum Höhepunkt des Films, den Aufnahmen in einer Stierkampfarena, hatte die Produktion ihre größte Herausforderung zu bestehen: Mehr als hundert Menschen mussten zusammenkommen, um den Innenraum des Stadions zu füllen – ein Stelldichein von extra geladenen angolanischen Schauspielern und Intellektuellen. Heraus kommt eine Szene von surrealem Charakter, ein grotesker Parteitag in einer Stierkampfarena, in der anstelle von Zuschauer:innen Wäsche über den Rängen aufgehängt ist. Die politische Elite stopft sich an einer großen, überladenen Tafel mit Essen den Magen voll. Als Europäer muss man an „Das große Fressen" von Marco Ferreri denken. Doch es ist wohl vor allem eine satirische Kritik an der regierenden MPLA. „Die Idee war zu zeigen, wie leer unsere Politik ist, wie wir während fast der ganzen vergangenen 50 Jahre abgetrennt waren, nicht nur vom Zuhören der Öffentlichkeit, sondern auch von den Reden der Politiker", erklärt Fradique. „Wir befinden uns in Angola in einer sehr wichtigen Phase, wir hatten gerade Wahlen und die Leute in Angola, in Luanda, zeigen, dass sie mit ihrer Stimme Wandel wollten, sie hören mehr zu als die Leute, die gerade das Sagen haben."
Hat es je Probleme beim Drehen, Probleme mit Zensur seitens der Regierung gegeben?, frage ich nach. „Nein, zum Glück hatten wir damit noch nie Probleme", sagt Fradique, der sich bewusst ist, dass es eine starke Repression gegen Aktivist:innen der Zivilgesellschaft und gegen Journalist:innen gibt. Im Kulturbereich habe es aber lange Zeit eher Selbstzensur gegeben, wenn es darum ging, eine Geschichte zu verfilmen. „Wir haben Angst davor, was die Leute wohl denken könnten. Ich glaube aber, dass die Zeiten sich ändern. Der Film wurde gerade erst im öffentlichen Fernsehen gezeigt. Ich bin gespannt zu hören, wie er aufgenommen wurde."
Der Bedeutung der Förderung von Kunst und Kultur wie auch von Investitionen in Erziehung und Gesundheit werde leider viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, beklagt Fradique. „Wir investieren immer noch viel zu viel in Verteidigung und Sicherheit, in die Ölinfrastruktur, wir investieren aber nicht in Bildung, Kultur, Kunst, Gesundheit und Umwelt. Als Filmemacher, Künstler und angolanischer Bürger glaube ich, dass eine zukünftige Regierung sich darum kümmern sollte, denn das ist der einzige Weg, um aus der Armut herauszukommen und eine bessere Zukunft zu haben."
Luanda
Já não sei em que metade acreditar
Quem vem do sul
Pode ver
De um lado, teu recorte elaborado, na fronteira com o mar
És a mais bela varanda de deus
De outro lado, o teu lar abandonado à sua sorte
Rezando p'ra enganar a fome e a morte
E eu queria tanto te romantizar
Musa, deixa-me ficar
Em ti
Luanda
Ich weiß nicht, welcher Hälfte ich glauben soll
Wer aus dem Süden kommt
Kann es sehen
Auf der einen Seite dein kunstvoller Schnitt, an der Grenze zum Meer
Du bist der schönste Balkon Gottes
Auf der anderen Seite dein Zuhause, seinem Schicksal überlassen
Beten, um Hunger und Tod zu besiegen
Und ich wollte dich so sehr romantisieren
Muse, lass mich bleiben
in dir
Text und Musik: Aline Frazão
Uma Música Angolana, CD 2022, flowfish records