Heft 6/2022, Editorial

Europas Energiekrise und die Klimawende erfordern eine Neubegegnung mit Afrika

Der Klimagipfel von Ägypten hat für die Verbesserung des Klimas nicht viel gebracht, vieles blieb beim Alten. Die Vereinbarung eines Umweltfonds zum Klimaschutz für die Entwicklungsländer blieb unzureichend. Das Verhandlungsthema „Verluste und Schäden" hat für die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten hohe Bedeutung, dennoch konnte sich die Staatengemeinschaft insbesondere auf viele Finanzierungsaspekte des Themas nicht einigen. Ganz zu schweigen von der Verfolgung von Umweltsündern und der Einrichtung eines globalen Umweltgerichtes. Warum lässt unser globales System dies nicht zu?

Die Kolonialisierung und Christianisierung Afrikas durch die Europäer von mehr als 500 Jahren hat zu mancher Verschmelzung sozialer und kultureller Werte geführt. Beide Kontinente sind sich gegenseitig näher gekommen, näher als jeweils zu China. Der Krieg in der Ukraine hat Europa ökonomisch und sozial erschüttert. Neue Orientierung muss her – eine Gelegenheit für Europa, Afrika neu zu begegnen – diesmal aber auf Augenhöhe. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen beiden Kontinenten.

Europa macht sich mit zweideutigem Handeln unbeliebt in Afrika. Da werden Haushalte von diktatorischen Ländern und Polizeistaaten finanziert, gleichzeitig ignoriert man wachsende Konflikte, anstatt schnell zu reagieren und bei der Konfliktlösung zu helfen. Demokratische Rahmenbedingungen und Rechenschaftspflichten sind heute in den meisten afrikanischen Ländern Fehlanzeige, Gemeinwohl und Rechtsstaat sind Fremdwörter.

Ein positives Zeichen der Neubegegnung aus Europa wäre in Afrika willkommen, eine funktionierende Staatsverwaltung in afrikanischen Ländern ist genauso von europäischem Interesse. Der Vorwurf seitens Afrikas von der Einmischung in „interne Angelegenheiten" zieht ebenso wenig wie der Vorwand Europas, sich hier nicht einmischen zu können. Wenn Flüchtlinge aus Afrika an der Küste Italiens ankommen, liegen Verantwortung und Problemlösung auf beiden Seiten, Afrika wie Europa. Das gleiche gilt für Umwelt-, Klima- und sozio-ökonomische Fragen wie auch für Menschenrechte.

Als Verhandlungspartner braucht Europa eine neue Haltung für neu gestaltete wirtschaftliche Kooperationen und gemeinsame Entwicklungsstrategien, die sich auf die globalen Zukunftsfragen ausrichten. Starke Wirtschaftsbindungen müssen für Afrika auch Absatzmärkte in Europa bieten. Die kolonialen althergebrachten Denkszenarien europäischer Dominierung und Ausbeutung sollten der Vergangenheit angehören und die Türen für ein neues Afrika-Europa-Verhältnis öffnen. Von den Abkommen zu Rohstoffen aus Afrika profitieren in der Regel die europäischen Länder, nun ist die Zeit gekommen, auf Augenhöhe zu verhandeln. Das Marktpotenzial Afrikas sollte nicht China überlassen werden. Das gilt nicht nur aus marktstrategischen Gründen, sondern aus historischen Prinzipien und „Wiedergutmachung".

Die Vorstellung von Europa als Insel ist in der globalisierten Welt nicht haltbar. Es hat in Afrika anders als China Wurzeln hinterlassen. Europa wird und muss sich mit der brutalen Vergangenheit in Afrika konfrontieren. Das muss anerkannt und verarbeitet werden. Gleichzeitig bedarf es afrikanischer Regierungen, die Probleme wie Armut, Entwicklungsbedarf oder Klimawandel nicht nur als Gelegenheit nutzen, um an Geld und Investitionen zu kommen, sondern diese auch konkret für Entwicklungsmaßnahmen der eigenen Länder einsetzen.

Europa und Deutschland fehlt es an Arbeitskräften, auf dem Arbeitsmarkt sind Auszubildende „Mangelware". Mit selbstgebauten Booten kommen Flüchtlinge aus Afrika nach Europa. Doch sie werden anders behandelt als Ukraine-Flüchtlinge, obwohl sie ebenfalls zu den so dringend benötigten Arbeitskräften für die europäische bzw. deutsche Wirtschaft beitragen können. Europa sollte die Gelegenheit nicht verpassen, sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozio-ökonomisch und kulturell nach Afrika hin zu orientieren und seine Bindung zu Afrika zu stärken. In seinem Positionspapier plädiert der BDI, dass Afrika nicht nur ein Chancenkontinent sei, sondern es gehe auch darum, die Abhängigkeit von China zu verringern.

Es ist Zeit für einen Neubeginn der Beziehungen zu Afrika, der eine Win-win-Situation anstrebt. Es wäre kritisch zu sehen, wenn eine Annäherung an Afrika nur das Ziel hätte, Rohstofflieferungen und Absatzmärkte ausschließlich für Europa zu erzielen und das Gleichgewicht zwischen Europa und Afrika außer Acht zu lassen – zukunftsstrategisch, sozial- und klimagerecht.

Sultan Mussa