Heft 6/2022, Südafrika

Kohleboom statt Ausstieg?

Südafrika will bis 2050 klimaneutral sein und langfristig aus der Kohleindustrie aussteigen. Doch die Energiekrise in Europa lässt die Kohleexporte aus Südafrika wieder rapide ansteigen – mit alarmierenden Folgen für das marode Transportnetz.

Südafrika ist der zwölftgrößte Emittent von Treibhausgasen der Welt, 2019 hat es etwa 430 Magatonnen CO2 ausgestoßen, mehr als Mexiko oder Brasilien. Laut einem Szenario der Internationalen Agentur für Alternative Energien (IRENA) könnte es bis 2030 etwa 23 Prozent seines Verbrauchs durch alternative Energieträger abdecken. Doch noch erzeugt Südafrika als größte Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents seinen Strom zu 80 Prozent aus Kohle. Das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bedeutet also, möglichst rasch aus der Kohleindustrie aussteigen – eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass Südafrikas Stromversorgung zu 95 Prozent vom angeschlagenen Energiekonzern Eskom abhängt, der hoch verschuldet und für regelmäßige Stromabschaltungen verantwortlich ist.

Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 (COP26) hatte sich Südafrika mit den wichtigsten Industriestaaten auf eine Partnerschaft bei der Abkehr von der Kohle verständigt. Um es Entwicklungs- und Schwellenländern zu ermöglichen, einen schnelleren und sozial gerechteren Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu erreichen, wurde in Glasgow eine „Partnerschaft für eine sozial gerechte Energiewende" (Just Energy Transition Partnership, JETP) vereinbart. Ein ähnliches Vorhaben wollen die G7-Staaten mit Indien, Indonesien, Senegal und Vietnam angehen. In den kommenden Jahren soll damit der Ausstoß von bis zu 1,5 Gigatonnen CO2 verhindert werden. Im Rahmen dieser Partnerschaft wurden Südafrika für die kommenden fünf Jahre 8,5 Mrd. US-Dollar (rund 8,56 Mrd. Euro) für die Energiewende zugesichert.

Diese Zusage wurde auf der COP27 im ägyptischen Scharm el-Scheich durch die Europäische Union sowie Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die USA bestätigt, nachdem die südafrikanische Regierung noch rechtzeitig vor dem Klimagipfel Anfang November ihren „Investment Plan for the Just Energy Transition" (JET), mit dem der Ausstieg aus der Kohle angegangen werden soll, vorgelegt hatte. Nach Angaben des Bundesentwicklungsministeriums hat Deutschland für das Programm bereits 700 Mio. Euro bereitgestellt und im Oktober bei den in Pretoria abgeschlossenen Regierungsverhandlungen weitere 320 Mio. Euro für die kommenden zwei Jahre zugesagt. Unterstützt wird von Berlin unter anderem der Bau von Solar- und Windkraftanlagen sowie Leitungen zur Übertragung von Ökostrom. Auch Programme zur Umschulung ehemaliger Kohlearbeiter und zur Ausbildung in den in der Energiewende dringend benötigten Berufen werden von Deutschland gefördert.

Auch die Weltbank hat Südafrika im November eine Finanzierung von 497 US-Dollar gewährt. Damit soll das Komati-Kraftwerk, eines seiner größten Kohlekraftwerke, stillgelegt und mit Sonnen- und Windquellen auf erneuerbare Energien umgestellt werden.

Alles auf sauberem Weg?

Man werde dazu beitragen, dass die „sauberen Energien in Südafrikas Wirtschaft gedeihen", ließ US-Präsident Joe Biden zu der JETP-Vereinbarung übermitteln. Ins gleiche Horn bliesen Bundeskanzler Olaf Scholz, der in Scharm el-Scheich mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa eine Zwischenbilanz der Energiewende-Partnerschaft zog, der französische Staatschef Emmanuel Macron, der britische Premierminister Rishi Sunak oder EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Doch es ist wie stets bei solch wohlfeil angekündigte Initiativen: Es gibt zahlreiche Hürden und Widersprüche zu überwinden. Das erste Hindernis ist fehlendes Geld: Ramaphosa wies darauf hin, dass die zugesagten 8,5 Mrd. US-Dollar bei weitem nicht ausreichten, „um das Ausmaß unserer Ziele zu erreichen". Unter Berücksichtigung der erwarteten Investitionen der multilateralen Entwicklungsbanken und des Privatsektors dürften in den nächsten fünf Jahren 39 Mrd. US-Dollar fehlen. Südafrikas größte Sorge ist dabei die Aufnahme zu vieler Schulden, wie Umweltministerin Barbara Creezy warnte: „Wir müssen vorsichtig sein mit der Klimafinanzierung, die die Verschuldung der Entwicklungsländer erhöht." Nur vier Prozent des 8,5-Mrd.-Dollar-Pakets werden als Zuschüsse gewährt. Für den Rest wird das Land Zinsen zahlen müssen.

Eine weitere Hürde ist die für das Gelingen der Energiewende unabdingbare Einbindung der Zivilgesellschaft. Organisationen aus der Klima- und Umweltschutzbewegung kritisieren, dass Einzelheiten der JETP-Vereinbarung mit Südafrika verborgen bleiben und der Durchführungsprozess durch Geheimhaltung und Nicht-Konsultation gekennzeichnet sei. Entgegen der ursprünglichen Zusagen wurden sie trotz wiederholten Anmahnens bisher nicht in die Umsetzung eingebunden. Die Kampagne Life After Coal, zu der die Umweltgruppen groundWork, Friends of the Earth, Earthlife Africa und das Centre for Environmental Rights gehören, begrüßt zwar die Veröffentlichung des Investitionsplans für eine gerechte Energiewende (JET), doch auch das 200-Seiten-Dokument gibt keine Einzelheiten des Abkommens preis.

Sie weisen darauf hin, dass das von der Klimakommission des Präsidenten entwickelte und vom Kabinett angenommene Rahmenwerk auf dem Papier zwar die Grundsätze der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit beim Energiewandel betont, doch es müsse „sichergestellt werden, dass die Menschen in den von der Kohle betroffenen Gebieten und in der Umgebung der Ölraffinerien, von denen viele seit Jahrzehnten giftige Luft einatmen, sowie die Menschen, die in klimatisch gefährdeten Gebieten leben, unmittelbar von diesem Investitionsplan profitieren werden", wie es in einer Stellungnahme der Life After Coal-Kampagne heißt. Deswegen drängen sie auf einen ordentlichen Konsultationsprozess mit den betroffenen Gemeinden. Und das sind nicht wenige, denn viele Menschen sind insbesondere in den südafrikanischen Regionen Mpumalanga, KwaZulu-Natal und Limpopo für ihren Lebensunterhalt vom Kohlesektor abhängig. Der Strukturwandel beim Übergang zu einem dekarbonisierten Energiesystem muss zukunftssichernde Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesen Kohleregionen berücksichtigen.

Bremser Kohlefan Mantashe

Derzeit noch problematischer scheinen die politischen Hürden. Mit Gwede Mantashe hat Südafrika einen Energieminister, der sich bislang als glühender Verfechter von Kohle gezeigt hat und sich selbst als „Kohlefundamentalist" bezeichnet. Er war jahrelang als Gewerkschafter in der Kohleindustrie tätig und erweckt eher den Eindruck, die Kohlelobby zu unterstützen, als die Energiewende einzuleiten. Die Energieversorgung des Landes mit Kohle zu sichern scheint verlockend. Liegen doch Schätzungen zufolge unter dem östlichen Highveld des Kohlegürtels 60 Mrd. Tonnen an abbaubaren Kohlereserven. 200.000 Menschen sind zudem in den Minen, den Kraftwerken und dem Kohletransport beschäftigt, 90.000 davon direkt in der Kohleproduktion. Die Arbeitskräfte im Kohlebergbau stellen für den ANC eine wichtige Wählerschaft dar.

Mantashes Position steht freilich im krassem Gegensatz zur öffentlich erklärten Energiepolitik des ANC, die sich zum „gerechten Übergang" bekennt. Der Vorstandsvorsitzende von Eskom, André de Ruyter, wies laut Daily Maverick (29.11.22) darauf hin, dass es praktisch unmöglich sei, sich in Zukunft auf die Kohleverstromung zu verlassen. Die „Steinzeit endet nicht aus Mangel an Steinen", wie er es ausdrückte. Er bespreche die Energiepolitik nicht direkt mit Mantashe, führe aber mit Spitzenbeamten eine „lebhafte Debatte".

Unabhängig davon, ob Gwede Mantashe nach der noch im Dezember anstehenden ANC-Wahlkonferenz Energieminister bleibt: Die Zeichen stehen auf Erneuerbare Energien, denn Kohle ist nun mal der klimaschädlichste Energieträger. Das weiß auch der Rest der Welt, und dennoch setzt gerade ein Run auf Südafrikas Kohle ein, der die Abkehr vom fossilen Brennstoff in weitere Ferne rückt, als noch so ambitionierte Umbaupläne versprechen.

Europas Gier nach Kohle aus Südafrika

Europas Energiekrise infolge des Ukrainekrieges Russlands und das Sanktionspaket der EU-Länder gegen Moskau, das ein Kohleembargo ebenso einschließt wie ein Ölembargo, hat den dringend nötigen Energieumbau mehr als ausgebremst. Während die Kohle Zuhause lieber in der Halde bleiben soll, sind Europas Unterhändler längst aktiv geworden, um sich auf dem Weltmarkt nach Kohle umzuschauen. Die europäischen Länder, die zuvor fast die Hälfte ihrer Kohle aus Russland importiert hatten, tauschen nun teures Erdgas gegen Kohle aus Kolumbien, Australien, den USA und Südafrika aus. Letzteres ist fünftgrößter Kohleexporteur der Welt. Insbesondere Frankreich, Spanien und Polen lassen neben Deutschland, der Niederlande und Italien Kohle aus Südafrika importieren. Deutsche Versorger hatten schon unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar ihre Kohlehändler nach Südafrika geschickt, um mit der Aussicht auf langfristige Abnahme Mengen abzuwerben, die normalerweise von Kunden im asiatisch-pazifischen Raum aufgekauft werden.

Der Run auf Südafrikas begehrte Steinkohle hat dazu geführt, dass der Kohleverkauf in die EU nach Angaben des Kohleexporteurs Thungela Resources in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 780 Prozent, also fast um das Achtfache, gestiegen ist.

Südafrikas Kohleexporte werden größtenteils im Kohleterminal Richards Bay in KwaZulu-Natal an der Ostküste des Landes verladen. Richards Bay verfügt über den tiefsten natürlichen Hafen des afrikanischen Kontinents. Die gesamten Kohleexporte aus Südafrika auf dem Seeweg erreichten 2021 65,7 Mio. Tonnen, was einem Rückgang von 5,9 Prozent gegenüber 2020 entspricht. Der Rückgang der letzten Jahre war verschiedenen Faktoren wie der Covid-19-Krise, rückläufiger Kohlenachfrage aus ostasiatischen Märkten, Problemen mit der maroden Kohleflotte und Beschränkungen bei Produktions- und Transportkapazitäten geschuldet. Hauptabnehmer südafrikanischer Kohle ist Indien. Doch mittlerweile ist die EU mit einem Anteil von über 20 Prozent wieder zweitgrößter Bestimmungsort für das schwarze Gold vom Kap geworden.

Gefährliche Kohletransporte

Die Energiekrise hat die Preise für Kohle rapide steigen lassen. Mit dem Transport lässt sich viel Geld verdienen. Das hat zu einem wahren Wettrennen von LKWs auf der N2, der Kohleroute zwischen Pongola und Piet Retief geführt. Südafrikas Transnet-Eisenbahnsystem ist seit geraumer Zeit durch Sabotage und Plünderungen zerstört. Das setzt die Trucker unter Druck, in Rekordzeit von den Kohlefeldern in Mpumalanga nach Richards Bay zu gelangen. Dabei kommt es immer wieder zu schrecklichen Unfällen durch unbedachte Überholvorgänge. So mussten am 19. September 19 Schulkinder und zwei Erwachsene bei Pongola ihr Leben lassen, als ein Sattelschlepper auf einen Kleinbus stieß, was einen Aufschrei der Empörung über die Gefahren durch die wachsende Zahl von Lastwagen auf dieser Strecke auslöste. Videos von Verkehrsteilnehmern zeigen unendlich lange Schlangen von Transportern, deren Anzahl Berichten zufolge von 1.000 auf 5.000 pro Tag gestiegen sind.

Seit dem tödlichen Vorfall dürfen die Kohletransporter nicht mehr über Pongola fahren, sondern müssen auf andere Routen ausweichen, die für einen solchen Verkehr nicht geeignet sind. Im Oktober haben Organisationen und Gruppierungen aus betroffenen Gemeinden in Städten und umliegenden Gebieten die Zufahrt für tausende LKWs aus Mpumalanga blockiert. Sie weisen darauf hin, dass viele Lastwagen über die maroden Straßen führen, die offensichtlich fahruntüchtig seien. Für die Schulkinder, die täglich zwischen Schule und Zuhause hin und her gefahren werden, sei die Lage besonders gefährlich.

Der Kohletransport muss langfristig wieder auf die Schiene verlegt werden, sagen nicht nur die betroffenen Gemeinden, auch die Minenunternehmen klagen über die hohen Kosten, die Kohle auf den Markt zu bringen. In der Vergangenheit hatte Transnet Freight Rail den Großteil der südafrikanischen Kohleexporte zum privaten Richards Bay Coal Terminal transportiert. Doch das Eisenbahnnetz ist in einem derart katastrophalen Zustand, dass es riesiger Investitionen bedarf, die Kohlexporte wieder auf die Schiene zu bringen, wohin sie eigentlich gehören.

Anfang des Jahres sah sich Präsident Cyril Ramaphosa angesichts der anhaltenden Zerstörung des mehr als 22.000 Kilometer langen südafrikanischen Eisenbahnnetzes mit der Forderung konfrontiert, diese als kritische Infrastruktur zu bezeichnen. Täglich werden kilometerlange Eisenbahnlinien und Oberleitungen gestohlen, oft am helllichten Tag. Nach Angaben von Portia Derby, CEO von Transnet, hat die Sabotage am Schienennetz derartige Ausmaße angenommen, dass alleine im Zeitraum 2021/22 nach über 4.300 Diebstahldelikten 1.506 Kilometer Kabel ersetzt werden musste, was einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 30 Mrd. R (1,6 Mrd. Euro) und Einnahmeverluste in Höhe von 2,1 Mrd. R zur Folge hatte. Hundert Kilometer Schienen wurden ausgeschnitten und entwendet, um sie als Schrott zu verkaufen, von 590 Bahnhöfen sind laut Derby derzeit nur 129 funktionsfähig. Jetzt soll nicht nur die Polizei die kritische Infrastruktur schützen, Verteidigungsminister Thandi Modise erwägt sogar, das Militär dort einzusetzen.

Die Rehabilitierung von Transnet dürfte eine ebenso große Mammutaufgabe sein wie die Sanierung von Eskom. Dessen CEO de Ruyter wies auf den Spagat hin, den es bedarf, den Niedergang von Eskom so weit wie möglich aufzuhalten. „Andererseits müssen wir die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich in großem Umfang einsetzen."

Ohne den Druck der Straße wird das nicht geschehen. Klimaaktivist:innen haben auf der COP27 in Ägypten mit Plakaten „Don't Gas Africa" deutlich gemacht, was sie davon halten, dass viele Staaten die Energiekrise mit neuen Öl- und Gasprojekten in Afrika abfedern wollen. Bleibt zu hoffen, dass auch der Griff nach Südafrikas Kohle bald so unrentabel wie überflüssig wird, weil in Europa selbst die Energiewende zu greifen beginnt.